Von Günter Rexilius – März 2024.
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Das rechtsextreme »Geheimtreffen«, dessen Geheimnisse inzwischen weitgehend gelüftet sind, hat unerwartete Folgen: Zehntausende sind bundesweit auf den Straßen, um »gegen rechts« zu demonstrieren. Angesichts der Tatsache, dass jede Menge Nazis diesem Land in vielen gesellschaftlichen Bereichen nach 1945 ihren Stempel aufgedrückt haben, ohne dass massenhaft protestiert wurde, klingen Parolen wie »Kein Platz für Nazis« ermutigend. Niemand will mit Neo-Nazis zu tun haben, so wenig wie mit Kopfschmerzen oder Durchfall. Halten solche Symptome an, wird, der Vernunft folgend, ärztlicher Rat eingeholt, um dem Krankheitsgeschehen auf den Grund zu gehen, damit therapeutische Maßnahmen ergriffen werden können. Neo-Nazismus ist wie ein Geschwür am gesellschaftlichen Körper, dem die Demonstrierenden den Kampf ansagen. Nun müsste die kollektive Vernunft fragen, welche gesellschaftliche Krankheit dieses Symptom hervorgebracht hat – was sie unterlässt: Ergebnis ist die Realitätsverleugnung eines jahrzehntelangen gesellschaftlichen »Rutsches nach rechts«, der dem Reflexions- und Handlungshorizont der Protestierenden fernbleibt.
»Remigration« im großen Stil, anscheinend ein zentrales Thema bei dem ausgespähten Treffen in Berlin, ist zum Impulsgeber für viele Menschen geworden – und wurde inzwischen zum »Unwort des Jahres« gekürt. Remigration meint Rückwanderung von Menschen in ihre Heimatländer, wenn sie ein Gastland verlassen wollen, freiwillig, den eigenen Lebensplanungen entsprechend. Die Asylpolitik der EU und Deutschlands in den letzten Jahrzehnten hat ein repressives Definitionskriterium ergänzt: erzwungene Entfernung von Menschen aus der Gesellschaft, aggressive Vertreibung von schutz- und asylsuchenden Menschen, ob sie schon hier leben oder die EU bzw. Deutschland zu Zielen ihrer Flucht gewählt haben. Feindselig gegen »Fremde«, ist diese Politik unvereinbar mit Flüchtlingskonventionen und Menschenrechtschartas. Zehntausende, die auf dem Boden des Mittelmeeres als Opfer der europäischen Repulsionspolitik ihr Grab gefunden haben, in Nordafrika an den Zäunen der spanischen Exklaven und in den Wüsten verreckt, im Osten Europas verhungert, erfroren oder von Stacheldraht zerfetzt worden sind, wie auch die künftig – noch perfekter gesetzlich legitimiert – Gequälte und Getötete, werfen drängende Fragen auf. Ihr Schicksal ist zugleich Antwort: Es gibt keine substanziellen Unterschiede zwischen dieser in Gesetzesform gegossenen, asylpolitisch legalisierten Remigration und jener, über die irgendwelche rechtsradikalen Fantasten sinnieren. Die Demonstrierenden »gegen rechts« irritiert offensichtlich nicht, dass der gewaltsame Rauswurf heute euphemistisch hinter dem Etikett »Rückführung« versteckt wird.
Ja, aber, werden Demonstranten antworten, wir geben Menschen aus vielen Teilen der Welt doch Perspektiven, Einbürgerung wird erleichtert, Arbeitserlaubnisse können schneller erteilt werden, während die Rechten alles, was wir an Gutem tun, »plattmachen« wollen. Sie übersehen, dass im sogenannten »Asylpaket« ein rassistisches Modul steckt, das die Demonstrierenden per aktiver Akklamation gutheißen: »Menschenmaterial« für eigene Interessen und Bedürfnissen zur Verfügung zu haben, ist für das wohlstandsverwöhnte Denken und Handeln selbstverständlich. Die Rekrutierung von Fachkräften, Pflegepersonal, Lückenfüllern in den Berufen, in denen deutsche Arbeitskräfte fehlen, erinnert fatal an eine kolonialistische Sklavenhaltermentalität, die in Südeuropa in der Landwirtschaft und hier in Mitteleuropa im Menschenhandel, etwa im Bereich der Prostitution, seit Jahrzehnten wiederbelebt worden ist. Dienstbare Verfügungsmasse wird aus Gegenden des globalen Südens herangeschafft: Ihre Zukunft, ihr Auskommen, ihre Lebensperspektiven, ihr Zuhause wurden durch neo-liberale »Schock-Strategie« (Naomi Klein) landschaftlich und sozial verwüstet, vom – auch deutschen – Neo-Kolonialismus in Besitz genommen. Sie kommen als Opfer legalen, aber in seinem Kern rassistischen Zwangs, auch wenn »Dienstpersonal rekrutieren« im heutigen Politsprech »Arbeitskräfte anwerben« heißt: noch ein rechtslastiger Euphemismus, der demonstrativ im Taumel »gegen rechts« untergeht.
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