Von Wolfgang Effenberger – 12.12.2024
Vierzehn Tage nach der überraschend eindeutig von Donald Trump gewonnenen Wahl lud der dänische Verteidigungsminister Troels Lund Poulsen für den 20./21. November die Verteidigungsminister der nordischen und der baltischen Länder, der Niederlande, Polens, Großbritannien, Deutschland und der Ukraine nach Kopenhagen zur Beratung über den Krieg in der Ukraine.
Gleich am ersten Tag bekräftigten die Verteidigungsminister des neuen Bündnisse „Nordgruppe Ukraine“ ihre unerschütterliche Unterstützung für die Ukraine und ihre Verpflichtung, die militärische Unterstützung Nordeuropas für die Ukraine fortzusetzen und auszubauen und die industrielle Zusammenarbeit zu verstärken“, so die offizielle Erklärung des dänischen Verteidigungsministeriums. „Dies wird die industriellen und technologischen Kapazitäten der Ukraine sowie das Potenzial der europäischen Verteidigungsindustrie stärken“(1), heißt es in der Erklärung weiter. Nach dem Treffen einigten sich die Verteidigungsminister der Nordischen Gruppe, darauf, „keine Friedensgespräche ohne die Ukraine“ zuzulassen.
„Ich bin meinem Freund, dem dänischen Verteidigungsminister, für seine Führung und Gastfreundschaft dankbar“, wird der ukrainische Verteidigungsminister Umerov zitiert. Das nächste Treffen der Gruppe soll in der Ukraine stattfinden. Da wird es dann wohl um die Aufrüstung ukrainische Kampfbrigaden mit schwerem Gerät gehen.
Die Gründung des Bündnisses erfolgte genau zwei Monate vor der möglichen Rückkehr von Donald Trump ins Oval Office, der die Unterstützung der USA für die Ukraine in Frage stellt. Anscheinend sind Deutschland, die Niederlande, Polen und Großbritannien nicht an einer friedlichen Lösung interessiert und wollen den Konflikt ohne die USA weiterführen – auf Kosten ihrer Nationen. Warum?
Eine neue „europäische Sicherheitsarchitektur“?
Von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt wird unter der Leitung der Bundesrepublik Deutschland – und im Geist des von Olaf Scholz am 16. Februar 2024 abgeschlossenen und vorläufig auf 10 Jahre festgelegten deutsch-ukrainischen Sicherheitspakts – gemeinsam mit elf weiteren Staaten und der Ukraine die sogenannte „Northern Group“ – eine Teilgruppe innerhalb der NATO – erneuert. Zunächst sollen diese zwei Länder – angeführt von Deutschland – zusätzliche Kriegsunterstützung für die Ukraine vorbereiten. Doch darüber hinaus wird auch über eine „Kriegsallianz“ – ohne USA – nachgedacht. Somit scheint eine Art EU-NATO nicht mehr ausgeschlossen zu sein. Das macht vor allem vor dem Hintergrund Sinn, dass sich die ab 20. Januar 2025 im Amt befindende Trump-Administration militärisch und auch finanziell aus Europa zurückziehen will. Die USA unter Trump werden sich voll auf China, den pazifischen Raum und auf sein Traum vom „America Great Again“ konzentrieren. Trumps Drohung vom 30. November 2024 auf X muss von Russland und China als Kampfansage verstanden werden:
«Die Idee, dass die BRICS-Staaten versuchen, sich vom Dollar abzuwenden, während wir zusehen, ist VORBEI. Wir verlangen von diesen Ländern die Verpflichtung, weder eine neue BRICS-Währung zu schaffen noch eine andere Währung zu unterstützen, um den mächtigen US-Dollar zu ersetzen, oder sie werden mit Zöllen von 100 % konfrontiert und sollten erwarten, sich von Verkäufen in der wunderbaren US-Wirtschaft zu verabschieden. Sie können sich einen anderen „Trottel“ suchen! Es gibt keine Chance, dass die BRICS den US-Dollar im internationalen Handel ersetzen werden und jedes Land, das das versucht, sollte sich von Amerika verabschieden.»(2)
Trump käme sicherlich nicht ungelegen, wenn sich eine „EU-NATO“ bilden sollte, wie sie sich bereits Strack-Zimmermann und Macron vorstellen.(3) Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat laut der Tageszeitung Le Monde mit seinem britischen Amtskollegen Keir Starmer über die Entsendung von Truppen in die Ukraine gesprochen. Während Großbritannien Biden pflichtbewusst in den ukrainischen Teufelskreis folgt, profiliert sich der französische Präsident als stärkster Befürworter eines härteren Kriegskurses. Damit riskiert er eine unkalkulierbare Eskalationsspirale.(4)
Die neue „europäische Sicherheitsarchitektur“ im Geiste der kriegsaffinen EU-Fraktion „Renew Europe“, der EU-Liberalen, über Österreichs NEOS bis hin zur „EU-Außenministerin“ Kaja Kallas. Sie sind auch die politisch-rhetorisch schärfsten Gegner Russland – Friedenslösungen auf lange Sicht ausgeschlossen.
Und alles ist letztlich im Einklang mit dem im September 2014 – ein gutes halbes Jahr nach dem vom Westen orchestrierten Maidan-Putsch – in Kraft getretenen US-Langzeitstrategiedokument „Win in a Complex World 2020-2040“ (unter Obama und Biden). Seit 2015 hat die militärische Aufrüstung der Ukraine beachtliche Formen angenommen. In jedem Jahr wurden die NATO-Manöver ausgeweitet. Von Ende Januar 2024 bis Mai 2024 wurde mit über 90.000 NATO-Soldaten der Angriff auf Russland geübt. Will man jetzt noch mehr Öl ins Feuer gießen? Zugleich strauchelt die deutsche Wirtschaft, während Scholz im Konzert mit den Grünen die Schuldenbremse noch weiter lockern möchte, um noch mehr Geld in die Ukraine zu schicken. Alles zur Freude des „Militärisch-digital-finanziellen Komplexes“, der gleichbedeutend ist mit der Finanzelite oder dem sogenannten „tiefen Staat“. Da es letztlich in allen Bereichen um Kapitalvermehrung geht, könnte man auch von der Finanzoligarchie oder –plutokratie reden, oder auf deutsch vom Geldadel.
Es darf nicht vergessen werden: Deutsche Politik wird in Washington gemacht. Alles was hier passiert ist so gewollt. Vielleicht nicht immer vom Weißen Haus, dafür aber vom „tiefen Staat“, der dann den westeuropäischen Transatlantikern direkt die Anweisungen gibt, wahrscheinlich so unkompliziert wie Pfizers SMS mit Ursula von der Leyen.
Die neue „Northern Group“ ist nicht „unter Ausschluss der USA“, sondern vermutlich nur „unter Ausschluss der neuen US-Regierung“ gebildet worden, aber mit Unterstützung der (vielleicht mächtigeren) US-Regierung, dem Tiefen Staat, der weiter im Hintergrund wesentliche, auch geopolitische Entscheidungen durchsetzt.
Und auch wie auch immer nun „der Westen“ und „Putin“ in der Zukunft agieren werden – die Menschen an der Spitze des militärisch-digital-finanziellen Komplexes werden sich „mächtig die Hände reiben“ können.
Alljährlich treffen sich im Tiroler Bergdorf Alpbach Referenten und Teilnehmer aus Wissenschaft, Wirtschaft, Politik, Kunst und Kultur aus allen Teilen der Welt, um Fragen der Zeit zu diskutieren und interdisziplinäre Lösungsansätze zu finden. Im August 2023 waren vom „Europäischen Forum Alpbach“ (EFA) folgende Themenbereiche vorgegeben: „Für den Klimaschutz eintreten, für die wirtschaftliche Souveränität Europas kämpfen, Europa in einer multipolaren Welt sichern sowie die Demokratie in Europa stärken“(5) Als Redner eingeladen waren zuverlässige Stützen des Systems wie Alexander Van der Bellen (österreichischer Bundespräsident), Ivan Krastev (Politikexperte), Michael Kofman (Militäranalyst und CNA-Direktor des „Russia Studies Program“), Sviatlana Tsikhanouskaya (belarussische Oppositionsführerin und Leiterin des Vereinigten Übergangskabinetts) sowie der damalige „Ständige Vertreter der EU-Kommission“ in Wien (heute „bilateraler EU-Botschafter beim Heiligen Stuhl“) Martin Selmayr, deutscher Jurist und EU-Beamter. Er war von November 2014 bis Ende Februar 2018 Kabinettchef des EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker. Selmayr sagte in einem Interview mit dem „Standard“ während des Forums: „Die Sicherheitsarchitektur Europas wird nicht durch eine nicht existierende europäische Armee gestützt werden. Die europäische Armee ist die NATO … Wir haben keine Zeit mehr, um eine eigene europäische Struktur aufzubauen“.(6)Und Österreich ist seiner Meinung nach dabei: „In Österreich tut man manchmal so, als ob die NATO eine fremde Organisation wäre … Österreich ist Gott sei Dank in der Partnerschaft für den Frieden dabei. Es wird von der Nato mitgeschützt.“(7) Was für eine Arroganz eines deutschen Diplomaten spricht aus diesem Satz. Die Neutralität Österreichs ist in der Verfassung als „immerwährende Neutralität“ verankert!(8) Den neutralitätsfeindlichen NATO-Kollaborateuren wird es in Österreich nicht gelingen, die Verfassung auszuhebeln.
Am 21.09.2022, dem Internationalen Tag des Weltfriedens, zeigten in Wien am Platz der Menschenrechte Soldaten des österreichischen Bundesheeres unterschiedlicher Ränge – Aktive, in Reserve, im Ruhestand – die Bedeutung der Immerwährenden Neutralität für Österreich auf. Sie forderten die Beibehaltung der gesetzlich verankerten Neutralität nach dem Muster der Schweiz und warnten davor, diese politisch infrage zu stellen und eine weitere Annäherung an die NATO anzupeilen. Sie betonten u.a., dass eine Abkehr von der immerwährenden Neutralität nur auf Basis einer Volksabstimmung zu akzeptierten wäre – nämlich dann, wenn sich der Souverän des Landes (also die österreichische Bevölkerung) mehrheitlich dafür ausspricht.
Auch ein ehemaliger Bundeswehroffizier würdigte die Bedeutung eines neutralen Österreichs.
Die Form der Immerwährenden und eben auch der bewaffneten Neutralität wurde nach den verheerenden napoleonischen Kriegen 1815 auf dem Wiener Kongress als effektive Möglichkeit zur Herstellung der damals notwendigen Machtbalance akzeptiert.
Leider hat inzwischen aber auch die Vorbildwirkung der Schweiz als klassisch-neutraler Staat im Herzen Europas etwas an Strahlkraft verloren. Auch dort sind Kräfte am Werk, welche hartnäckig den neutralen Status des Landes hinterfragen und diesen durch einen Bündnis-Beitritt ersetzen wollen.
Erinnerungsfoto von der Kundgebung „Soldaten für Neutralität“ am 21.9.2022 in Wien am Platz der Menschenrechte
General iR Günther Greindl(9) (auf dem Foto zweiter von rechts) hat seinen Artikel vom 22. November 2024 überschrieben:
Gerät der Krieg in der Ukraine außer Kontrolle?
Die Spirale der Eskalation im Ukraine Krieg drehe sich immer schneller. Die Gefahr eines dritten Weltkriegs wachse. Spätestens jetzt sei der Zeitpunkt gekommen, den Krieg auf diplomatischem Weg zu beenden. General Greindl fordert das neutrale Österreich auf, sich engagiert für den Frieden einsetzen.
Für Greindlist die EU bereits so auf den Krieg fixiert, dass sie nicht mehr fähig ist, in Alternativen zu denken. „Als Viktor Orbán zu Beginn der ungarischen Ratspräsidentschaft Gesprächskanäle zu Putin öffnen wollte, herrschte in der EU helle Aufregung. Sie befindet sich nämlich unter dem Einfluss der NATO auf einem geopolitischen Irrweg. Die EU hat ihren Grundgedanken einer Friedens- und Handelsmacht, die in Äquidistanz zu den Machtblöcken eine eigenständige Stimme hat, aus den Augen verloren. Sie beklagt, dass Russland die europäische Sicherheitsarchitektur angreift und vergisst dabei, dass eine dauerhafte Sicherheit in Europa nicht gegen, sondern nur mit Russland möglich ist.“(10)
Europa wird nach Greindl nur dann eine Rolle in einer künftigen Weltordnung spielen, wenn es Frieden mit Russland schließt. Wer diese Gedanken vertritt, wird nicht gehört oder sogar verunglimpft. Karel Schwarzenberg hat einmal gesagt, dass alle Probleme davon herrühren, dass Russland seine Grenzen nicht kennt. Es brauchte zwei Weltkriege, um im Westen die Grenzen so weit zu klären, dass Westeuropa seinen Frieden finden konnte. Braucht es einen dritten Weltkrieg um die Grenzen Russlands zu besiegeln? Gäbe es dann noch einen Sieger? Nach Carl von Clausewitz ist der Krieg die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln. Es ist die Kunst der Politik, den Zeitpunkt zu erkennen, wann man vom Krieg zur Politik zurückkehren muss. Die Fortsetzung des Kriegs in der Ukraine wird niemandem nützen.
Neue Sicherheitsarchitektur
Nach Beendigung des Kriegs in der Ukraine, so General Greindl, wird eine grundlegende Neuordnung der euro-atlantischen Sicherheitsarchitektur erforderlich werden. Eine unabhängige EU könnte mit den USA und Russland eine strategische Triade mit einen Friedensraum von San Francisco bis Wladiwostok bilden. Die OSZE sei eine auf Vertrauensbildung aufgebaute europäische Erfindung der kooperativen Sicherheit, deren Rahmen für die Verhandlung einer künftigen stabilen Sicherheitsarchitektur bestens geeignet sei. Die verloren gegangenen Errungenschaften der OSZE könne das Fundament einer neuen euro-atlantischen Sicherheitsarchitektur bilden.
„In diesem Sinne sollte Österreich als Sitzstaat der OSZE eine Initiative für eine Wiener Friedenskonferenz, einen zweiten Wiener Kongress, ergreifen. Diese Idee in der EU mutig zu vertreten könnte jener spezifische Beitrag der österreichischen Neutralität sein, von dem Alois Mock in seiner Erklärung anlässlich des Beitritts zur EU sprach. Jetzt, wo der Krieg droht, außer Kontrolle zu geraten, wäre für Österreich der Zeitpunkt gekommen, sich von der Kriegslogik zu verabschieden und die friedenspolitische Seite der engagierten Neutralität leuchten zu lassen. Wäre das nicht eine Politik für die man die österreichischen und europäischen Bürger begeistern könnte?,(11) fragt General Greindl
Für den ehemaligen britischen Diplomaten Alastair Crooke bildet die berühmte Sowjetdoktrin von Georges Kennan lange Zeit die Grundlage der US-Politik, die sich zunächst gegen die Sowjetunion und später gegen Russland richtete. „Kennans These aus dem Jahr 1946 lautete, dass die Vereinigten Staaten geduldig und entschlossen daran arbeiten müssten, die sowjetische Bedrohung zu vereiteln und die inneren Risse im sowjetischen System zu verstärken und zu vertiefen, bis seine Widersprüche den Zusammenbruch von innen heraus auslösen würden.“(12) Crooke kommt zum Schluss, dass sich Amerikanische Neokonservative und westliche Geheimdienste keine andere Meinung angehört haben, weil sie von Kennans Formulierung überzeugt waren und es vermutlich größtenteils immer noch sind: „Die amerikanische Außenpolitik konnte einfach nicht akzeptieren, dass eine solche Kernthese falsch sein könnte. Der gesamte Ansatz spiegelte eher eine tief verwurzelte Kultur wider als eine rationale Analyse – selbst wenn sichtbare Fakten vor Ort auf eine andere Realität hindeuteten. So hat Amerika den Druck auf Russland durch die schrittweise Lieferung zusätzlicher Waffensysteme an die Ukraine erhöht, durch die Stationierung nuklearer Mittelstreckenraketen immer näher an den Grenzen Russlands und zuletzt durch den Abschuss von ATACMS-Raketen auf das „alte Russland“.“(13)
Wird die Gefahr eines Nuklear-Kriegs von den USA billigend in Kauf genommen?
Der 40. US-Präsident (von 1981 bis 1989) und vormalige Schauspieler Ronald Reagan hielt in seinen ersten Amtsjahren die Möglichkeit eines für die USA gewinnbaren Atomkrieges für gegeben. Anfang November 1983 wurde in der NATO-Übung „Able Archer 83“ ein Krieg zwischen den beiden Supermächten inklusive des Einsatzes von Atomwaffen simuliert. Veröffentlichte Dokumente zeigen, dass die sowjetische Führung befürchtete, dass Able Archer der Deckmantel für einen Erstschlag des Westens war. Im selben Monat begannen die USA mit der Stationierung von Pershing-II-Raketen in Deutschland durch das 56. US-Artillery Command. Dieser Verband wurde im November 2021 im Raum Mainz-Kastel reaktiviert und bereitet die Aufstellung der US-Hyperschallraketen für 2026 vor.(14)
So scheint die US-Strategie immer noch auf der Überzeugung zu beruhen, „dass die USA einen Atomkrieg mit Russland führen und gewinnen könnten; dass Russland versteht, dass es „die Welt verlieren“ würde, wenn es Atomwaffen einsetzen würde. Oder, unter dem Druck der NATO, würde die Wut unter den Russen Putin wahrscheinlich aus dem Amt fegen, wenn er der Ukraine erhebliche Zugeständnisse machen würde. Aus Sicht der USA war dies ein „Win-win“-Ergebnis“(15), so Crooke.
Der die Welt überraschende erfolgreiche Angriff der mit 11 Mach fliegenden russischen Oreschnik-Rakete am 21. November 2024 auf den Yuzhmash-Komplex in Dnietropetrovsk hat nun gezeigt, dass Russland über ein Mittelstrecken-Raketensystem verfügt, das die nukleare Bedrohung durch den Westen effektiv Schachmatt setzt und Präsident Putin genau von der „Alles-oder-Nichts“-Entscheidung befreit, der Ukraine eine Verhandlungsbasis einzuräumen oder auf nukleare Abschreckung zurückzugreifen. Crooke sieht die George-Kennan-Falle praktisch implodiert. Selbstbewusst warnte Putin: „Wenn Sie erneut in Russland zuschlagen, werden wir mit einem Oreschnik-Angriff auf eine militärische Einrichtung in einem anderen Land reagieren. Wir werden eine Warnung aussprechen, damit die Zivilbevölkerung evakuiert werden kann. Sie können nichts tun, um dies zu verhindern; Sie haben kein Raketenabwehrsystem, das einen Angriff mit Mach 10 stoppen kann.“(16)
Diese Warnung hat die Briten nicht weiter gekümmert. Nach der Oreshnik-Demo wurde mit britischen Storm Shadow-Marschflugkörpern eine Hafenstadt am Asowschen Meer beschossen – die Briten scheinen weiterhin die roten Linien austesten zu wollen.
Westliches Europa ausschließlich Spielball von US-Interessen?
Am 23. November drängte die EU-Parlamentspräsidentin Roberta Metsola (seit 18. Januar 2022) Deutschland auf rasche Lieferung der „Taurus“-Marschflugkörper an die Ukraine. Dafür gebe es im EU-Parlament eine breite Unterstützung. Die Ukraine könne nicht ewig weiter warten. Als verbliebener Koalitionspartner der SPD sind die Grünen ebenso für eine Lieferung wie die Oppositionsparteien Union und FDP. Grünen-Spitzenkandidat Robert Habeck hat bereits angekündigt, dass er im Fall einer Wahl zum Regierungschef sofort „Taurus“ an die Ukraine liefern würde. Die FDP zieht nach ihrem Abgang aus der Bundesregierung in Erwägung, eine Abstimmung im Bundestag herbeizuführen. Zusammen mit den Grünen und der Union gäbe es rechnerisch eine Mehrheit. Selbst ein Bundestagsbeschluss würde aber nichts ändern. Die Entscheidung über die Lieferung von „Taurus“ liegt bei der Bundesregierung und damit letztlich bei Scholz, der die Richtlinienkompetenz hat. Mit dieser Lieferung von nuklear bestückbaren Marschflugkörpern in ein Kriegsgebiet könnte die Büchse der Pandora geöffnet werden – und hier soll kein Bundestagsmandat erforderlich sein? Erforderlich war dagegen der Segen des Bundestags bei den Einsätzen KFOR (Kosovo), UNIFIL (Seegebiet vor Libanon), SEA GUARDIAN (Mittelmeer) u.a. mehr.(17)
Wenige Tage später, am 28. November 2024, äußerte sich der russische Präsident Putin im Rahmen einer Pressekonferenz beim Besuch in Kasachstan zur Politik des westlichen Europas:
„Mir kommt es einfach so vor, als sei dieses Europa furchtbar tief gesunken. Es hat aufgehört, als unabhängiges Zentrum, als unabhängiges politisches, souveränes Zentrum der Weltpolitik zu existieren. Die tanzen beim ersten Pfiff der amerikanischen Regierung die Schmetterlingspolka, selbst zu ihrem eigenen Schaden. Ich habe manchmal den Eindruck, dass Leute auf sehr hoher Ebene, in der Bundesrepublik, in hohen Regierungspositionen, irgendeine Aufgabe des amerikanischen Geheimdienstes ausführen, aber dass sie nicht im Interesse ihres eigenen, in diesem Falle des deutschen Volkes arbeiten. Wie kann man allem zustimmen, was dort passiert?“(18) Dann verglich Putin die Energiepreise in den USA, die nur ein Drittel bis ein Fünftel von denen in Europa, beispielsweise in Deutschland, ausmachen. Ganze Betriebe, ganze Branchen schließen in Deutschland und ziehen in die USA. Für Putin tun sie es zielgerichtet.Er zeigt auf die Schließungen bei Volkswagen, von Stahlwerken, von Chemiefabriken und Glasfabriken. Tausende Beschäftigte, die auf die Straße geworfen werden. „Und nichts passiert, Stille. Nur irgendeine Aufregung über aktuelle innenpolitische Themen. Wie soll man mit solchen Partnern reden? Worüber verhandeln?,“ fragt Putin, um dann ein Fazit zu ziehen:
„Daher ist es nicht unsere Schuld, dass sich unsere Beziehungen zu Europa so sehr verschlechtert haben. Das ist auch das Ergebnis der inneren Verfassung des europäischen Establishments und der europäischen Politik.“(19)
Der ehemalige höchste Offizier der Bundeswehr und Ex-Vorsitzende der NATO-Militärkommission in Brüssel, Harald Kujat, kommt zu ähnlichen Erkenntnissen wie Putin.
In einem Interview beklagte Kujat, „dass die Europäer in Bezug auf ihre Teilnahme am US-Krieg in der Ukraine weder eine europäische noch eine nationale Strategie haben. Das gilt gleichermaßen für die EU- Führungsgremien in Brüssel als auch für die Regierungsvertreter der wichtigsten militärischen Mittelmächte der EU. Nach konkreten Zielen befragt, plappern die Europäer nur die US- Propaganda von der US-formulierten „regelbasierten Ordnung“ nach.“(20)
In seiner Rede am 26. März 2022 – vier Wochen nach dem Einmarsch Putins in die Ukraine – zitierte US-Präsident Biden in Warschau Lehren aus dem Europa des 20. Jahrhunderts und wies auf die dunkle Geschichte der Zurückhaltung der USA bei der Beteiligung an den Kriegen Europas hin als Beispiel dafür, wie die Sicherheit des Kontinents im nationalen Interesse der USA liege.
„Amerikas Fähigkeit, seiner Rolle in anderen Teilen der Welt gerecht zu werden, hängt von einem geeinten Europa und einem sicheren Europa ab“, sagte Biden bei seinem Treffen mit dem polnischen Präsidenten Andrzej Duda in Warschau. „Wir haben aus den traurigen Erfahrungen in zwei Weltkriegen gelernt: Wenn wir uns aus der Stabilität in Europa herausgehalten und uns nicht dafür eingesetzt haben, kommt es immer wieder zu Problemen in den Vereinigten Staaten.“(21) Wie wahr! Die späte Teilnahme an beiden Weltkriegen hat den USA jeweils eine boomende Wirtschaft und letztlich die Weltmachtstellung gebracht. Und aktuell muss diese unipolare Weltstellung gegen den Rest der Welt, der die Vormachtstellung der USA nicht mehr hinnehmen will, sondern eine multipolare Friedensordnung erstrebt, verteidigt werden. Der globale Süden will die illegalen Kriege der USA und die damit einhergehenden völkerrechstwidrigen Regime-Change nicht mehr. Der letzte vom Westen in der Ukraine orchestrierte Regime-Change hat in diesen aktuellen Stellvertreterkrieg geführt, für den auch nur wenige Monate nach dem Maidan die US-Langzeitstrategie in Blei gegossen wurde: TRADOC 525-3-1 „Win in a Complex World 2020-2040“
Darin werden die US-Streitkräfte angewiesen, sich in diesen beiden Dekaden darauf vorzubereiten, die Bedrohung durch Russland und China abzubauen. Das hat auch US-Verteidigungsminister Lloyd Austin bereits wenige Wochen nach Beginn der russischen Sonderoperation am 24. Februar 2022 in einer Rede in Warschau unumwunden zugegeben. Er erklärte, „dass das Ziel der US-amerikanischen Militär- und Finanzhilfe für die Ukraine in der „strategischen Schwächung Russlands“ bestand.“(22) Russland sollte so geschwächt werden, dass Moskau es nicht mehr wagen würde, sich außerhalb seiner Grenzen militärisch zu engagieren. Diesem friedensgefährdenden Ziel schlossen sich ohne großes Nachdenken die transatlantischen Polit- und Medien-„Eliten“ in Europa an.
Washingtons Offensive gegen Russland war gemäß TRADOC lediglich Teil der Vorbereitungen für einen ganz anderen, weitaus wichtigeren Konflikt war, nämlich den Krieg gegen China, der schon damals von US-Militärkreisen in aller Öffentlichkeit spätestens zum Jahr 2028 angekündigt wurde. Davor sollte Russland als wichtige Quelle moderner Waffensysteme für Peking und als zuverlässiger Lieferant von strategischen Rohstoffen ausgeschaltet werden.
Für Rainer Rupp, der als ehemaliger DDR-Agent (Deckname Topas) in seiner NATO-Top-Position 1983 während des US-Nuklear-Manövers Able Archer einen Atomkrieg verhindert hat, haben die USA bisher keines ihrer angeblichen Ziele erreicht. „Das Gegenteil ist der Fall, und das war bereits früh erkennbar. Schon vor einem Jahr waren sich westliche Experten, die nicht in den Taschen des „Tiefen Staates“ steckten, darin einig, dass die russische Armee in allen Bereichen, die für eine erfolgreiche Kriegsführung wichtig sind, stärker denn je ist. In der Zwischenzeit operieren die russischen Streitkräfte noch perfekter in der Zusammenarbeit der verschiedenen Waffengattungen („combined arms warfare“) und für die NATO sind sie unschlagbar, falls das Angriffsbündnis tatsächlich im Osten Europas mit Bodentruppen zur Offensive gegen Russland übergehen würde.“(23) Für Rupp hat sich die US-Strategie – die Ukraine und die Europäer zu benutzen, um Russland nachhaltig strategisch zu schwächen und als „Hilfstruppe“ für China zu neutralisieren – als gigantischer Rohrkrepierer herausgestellt
Er sieht viele Indizien darauf hindeuten, „dass dieser Krieg gegen Russland nur Mittel zu einem einzigen kardinalen Zweck ist – nämlich die Rückführung Europas in die US-amerikanische Vasallenschaft.“(24)
Paul Craig Roberts 2016: „EU and NATO are evil instituions createtd by USA“
Am 24. Juni, keine 24 Stunden nach der Brexit-Abstimmung, fragte Paul Craig Roberts – unter Präsident Reagan stellvertretender Finanzminister – auf der Website des von ihm gegründeten „Institute for Political Economy“: „The Brexit Vote – What does it Mean?“ und gab in seinem sprengstoffgeladenen Artikel eine eindeutige Antwort: „Hoffentlich ein Auseinanderbrechen der EU und der NATO und damit die Vermeidung des Dritten Weltkriegs“(25). Für den immer noch streitbaren Paul Craig Roberts sind die EU und die NATO „bösartige Institutionen“ (evil institutions), die von den USA kreiert wurden, „um die Souveränität der europäischen Völker zu zerstören. NATO und EU ermöglichen Washington die Kontrolle über die westliche Welt. Unter dieser Tarnung wird Washingtons Aggression erst möglich. Ohne EU und NATO kann Washington Europa und das Vereinigte Königreich nicht in einen Konflikt mit Russland zwingen. Ohne EU und NATO hätte Washington in den letzten 15 Jahren nicht sieben muslimische Länder zerstören können, ohne als Kriegsverbrecher gehasst und isoliert zu werden. Kein US-Regierungsmitglied hätte ins Ausland reisen können, ohne verhaftet und vor Gericht gestellt zu werden.“(26) Paul Craig Roberts´ vernichtende Analyse ist es wert, im historischen Kontext gesehen zu werden.
De Gaulle hatte schon früh durchschaut, dass es US-Amerikanern und Briten vor allem um die Anbindung der westeuropäischen Länder an die transatlantischen Pfeiler NATO und EU (damals EWG) ging. Schon in den ersten Monaten des Jahres 1947 hatten die USA aus Resten der Kriegskommandostrukturen des Zweiten Weltkriegs zwei Kommandozentren behalten: im Osten Eurasiens das pazifische Militärkommando PACCOM und im Westen Eurasiens das europäische Militärkommando EUCOM. Am 4. April 1949 wurde die NATO gegründet mit dem Ziel, „die Russen draussen, die Amerikaner drinnen und die Deutschen unten zu halten“(27), so der erste NATO-Generalsekretär Lord Ismay. Und schon im Dezember des gleichen Jahres verabschiedete die NATO den Kriegsplan DROPSHOT, mit dem 1957 die Sowjetunion angegriffen werden sollte.(28) Diese imperialen Ambitionen verärgerten de Gaulle zutiefst. Für ihn ging Europa vom „Atlantik bis zum Ural“.
Auch wirtschaftlich sollte Europa geteilt werden.
Am 9. Mai 1950, den wir heute als „Europa-Tag“ feiern, kündigte der französische Außenminister Schuman zur Überraschung der Westeuropäer (Adenauer soll nur wenige Stunden zuvor davon erfahren haben) die Erschaffung einer europäischen „Gemeinschaft für Kohle und Stahl“ (EGKS) an.
John Foster Dulles als oberster Strippenzieher
Hinter diesem Plan stand ein ganzes Netzwerk von Politikern, Militärs, Bankern, Industriellen und Spekulanten. Als einer der Schattenstrategen sollte sich John Foster Dulles entwickeln. Die EGKS ging maßgeblich auf den französischen Unternehmer und Diplomaten Jean Monnet (1888-1979) zurück. Seit den Verhandlungen in Versailles (1918/19) verband Jean Monnet eine lebenslange politische und persönliche Freundschaft mit John Foster Dulles, damals Berater unter Bernhard Baruch, dem damaligen Chefrepräsentanten der US-Reparationskommission und Mitglied des „War Trade Board“ (Zentrales Büro für Planung und Statistik). Unter Baruchs Anleitung hat Dulles im Artikel 231 des Versailler Vertrages die deutsche Kriegsschuld (Alleinschuld) juristisch ausformuliert. Dieser Artikel war der wesentliche Grund für die erste deutsche Delegation unter Graf Brockdorff-Rantzau, die Unterschrift zu verweigern.(29)
Um die Zustimmung zur Unterzeichnung eines Friedensvertrages zu erzwingen, wurde die effektive Seeblockade nach dem Waffenstillstand vom 11. November 1918 fortgeführt. Nachdem am 28. Juni 1919 Außenminister Hermann Müller (SPD) und Verkehrsminister Johannes Bell (Zentrum) unter Protest ihre Unterschrift unter den Friedensvertrag von Versailles setzten, wurde die Blockade am 12. Juli 1919 aufgehoben.(30)
1921 war Dulles Mitbegründer des „Council on Foreign Relations“, wurde Mitglied der „Rockefeller Foundation“ und beteiligte sich am „Dawes-“ und am „Young-Plan“, mit denen die deutschen Reparationszahlungen geregelt werden sollten.(31)
Unter Dulles´ wichtigsten Kunden waren nach 1919 Unternehmen wie etwa „International Nickel Company“ oder „Overseas Security Cooperation“, aber auch Banken wie J.P. Morgan. Er beriet sie bei Kreditgeschäften und stand ihnen teilweise auch vor. John Foster Dulles und sein Bruder Allen vertraten im Rahmen ihrer Tätigkeit bei der Wirtschaftskanzlei Sullivan & Cromwell US-amerikanische ebenso wie deutsche und europäische Unternehmen. Hierzu zählten die Chase Bank, Ford, ITT, SKF, der I.G.Farben-Konzern sowie die Belgische Nationalbank“. Sie vertraten diese Unternehmen aber nicht nur rechtlich, sondern auch als verdeckte Platzhalter für Gesellschaftsanteile und als politische Lobbyisten. Während des Zweiten Weltkriegs war Dulles auch für die „Bank für Internationalen Zahlungsausgleich“ tätig.(32)
Die US-Außenpolitik war und ist also mit dem den Interessen der mächtigen Finanzelite eng verschränkt.
Im „Schwarzbuch EU & NATO“ liefert Wolfgang Effenberger die Nachweise, dass beide Organisationen alles andere als friedensstiftend sind. Der Autor hat ihre Ursprünge und Gründungsmythen untersucht und legt den eigentlichen Masterplan offen, der sich heute im Bündnis „Nordgruppe Ukraine“ manifestiert. Auf der Rückseite des Buches schrieb der Historiker und Friedensforscher Daniele Ganser: „Wolfgang Effenberger zeigt auf, dass die NATO keine Kraft für den Frieden ist, Diese Botschaft ist wichtig. Ich hoffe, dass immer mehr Menschen sie hören. Wir müssen lernen, im 21. Jahrhundert unsere Konflikte ohne Gewalt zu lösen. In Libyen und Afghanistan hat die NATO nur verbrannte Erde hinterlassen.“
Das Vorwort für „Schwarzbuch EU & NATO aus dem Juli 2020 stammt vom österreichischen Ethnologen, Historiker und Politikwissenschaftler Hermann Mückler, seit 2012 Präsident der Anthropologischen Gesellschaft in Wien, sowie Präsident des Dachverbands aller österreichisch-ausländischen Gesellschaften-PaN.(33)
Für Mückler haben die derzeitigen massiven globalen gesellschaftlichen Veränderungen, „die mit einem Wertewandel auf allen Ebenen des kulturellen, sozialen und politischen Zusammenlebens verbunden sind, vielfältige Ursachen, deren sichtbarste im steten Aufstieg und Fall von Mächten, um mit den Worten des britischen Historikers Paul Kennedy zu sprechen, begründet sind. Aber auch makroklimatische Veränderungen, ökologische Verarmung und demografischer Wandel sind, um nur einige Beispiele zu nennen, Aspekte, die als Brandbeschleuniger wirken.“
Gegenüber diesen längerfristigen Einflussfaktoren werde die Gegenwart von den meisten Menschen als eine sich beschleunigt wandelnde und durch Globalisierungstendenzen unübersichtliche Welt erfahren, „in der die Akteure weniger in politischen Gremien als vielmehr in den multinationalen, global agierenden Konzernzentralen zu verorten sind. Immer mehr Menschen haben das Gefühl, Getriebene zu sein und nurmehr reagieren statt agieren zu können.“
Für Mückler ist es schon fast nicht mehr erwähnenswert, dass Geschichte von Siegern geschrieben wird und dass aktuelle Macht- und Herrschaftsverhältnisse auf das, was den Menschen vermittelt wird, zentralen Einfluss haben. „Dass es aber einen Mangel an ausbalancierten, wissenschaftlich seriösen, aber eben zu anderen Schlussfolgerungen kommenden Veröffentlichungen gibt, ist evident. …Und man muss sich eingestehen, dass wir in der sogenannten freien Welt hegemonialen Deutungsmonopolen unterworfen sind, die sich nicht so leicht abschütteln lassen. Es bedarf also mutiger Autoren, um die Dinge beim Namen zu nennen, Liebgewonnenes kritisch zu hinterfragen und bei der Analyse der vorhandenen Faktenlage zu sachlich begründeten, zum Teil zu kanonisierten Interpretationen ergänzenden bzw. von ihnen abweichenden Aussagen zu kommen.“
Der Autor von „Schwarzbuch EU & NATO“ erlaubt sich zweierlei: „erstens einen interpretativen Rückblick auf historisch gewachsene Abhängigkeitsverhältnisse, Allianzen und Gewohnheiten, welche die europäischen Staaten auf politischer sowie militärischer Ebene betreffen, und zweitens eine behutsame, aber scharfsichtige Analyse der gegenwärtigen Entwicklungen, welche Auswirkungen auf das Schicksal und die Zukunft Europas haben werden.“
Im „Schwarzbuch EU & NATO“ liege der Fokus auf Europa, wobei die Kenntnis globaler Entwicklungen für Effenberger nicht nur hilfreich, sondern unabdingbare Voraussetzung dafür ist, Europa in der Welt zu positionieren und zu gewichten. Die spätestens mit dem Ersten Weltkrieg eingebüßte Vormachtstellung müsse also zu den inzwischen dominierenden Mächten in Relation gesetzt werden. Vor- und Nachteil unseres Kontinents sei die Vielstimmigkeit, die sich aus den zahlreichen Ländern mit zum Teil deutlich divergierenden außenpolitischen Interessen ergibt. „Im Zuge dessen kommt er nicht umhin, die angloamerikanische Welt als den großen Gegenspieler zu thematisieren und die Rolle Großbritanniens anzusprechen, welches seit Jahrhunderten zur Absicherung der eigenen Machtansprüche nur an einem in mehrere Gegenspieler aufgesplitterten Europa Interesse haben konnte“. Der besonders engen und für Europa in fataler Weise bedeutsamen Beziehung Englands zu den USA schenkt Effenberger schon deshalb Aufmerksamkeit, weil er auf der anderen Seite das Verhältnis europäischer Staaten zu Russland und insbesondere das Verhältnis Deutschlands zu Russland aufgreift und die grundlegenden, eine friedliche Koexistenz hemmenden geopolitischen Theorien und Diskurse beleuchtet – und damit die von Briten und Amerikanern gefürchtete Kooperation zwischen Europa und Russland respektive Europa und Asien. Dass Großbritannien und die USA in der Europäischen Union Wirkungsmacht entfalten und die NATO als Hebel benutzen könnten, Annäherungen von europäischen Staaten an Russland zu hintertreiben, ist inzwischen auch dem politischen Laien deutlich geworden. Vor diesem Hintergrund müsse man das US-amerikanische Agieren sowie das der NATO in den Kaukasusstaaten und in der Ukraine sehen, ebenso den Brexit.
Es werde deutlich, dass das europäisch-amerikanische Verhältnis keine Beziehung auf Augenhöhe war und ist und dass sich aus der Faktenlage . Aus der Darlegung der Faktenlage zwangsläufig unbequemen Fragen an die politischen Entscheidungsträger in den europäischen Staaten und in Brüssel ergeben.
Die traditionellen Bündnisse müssten neu bewertet und mögliche alternative Handlungsstrategien in Betracht gezogen werden, dass wir den Dingen andere, bessere Wendungen geben könnten. In diesem Sinn könne der Autor in einer Linie mit Noam Chomsky und anderen wichtigen Warnern, Aufdeckern und Freunden einer friedlichen Entwicklung der Weltgesellschaft gesehen werden.
Während sich das neue nordeuropäische Bündnis „Nordgruppe Ukraine“ für eine Auseinandersetzung mit Russland wappnet und weiter einem möglichen Armageddon entgegenstrebt, weitet sich in anderen Kriegsschauplätzen der Krieg aus und nimmt neue Formen an: „Der Libanon steht vorerst nur noch auf kleiner Flamme, aber die Türkei hat eine große Militäroperation (angeblich mit etwa 15.000 Mann) ausgelöst, bei der sie Aleppo mit Hilfe von in den USA und der Türkei ausgebildeten Dschihadisten und Milizen aus Idlib angreift. Der türkische Geheimdienst hat zweifellos seine eigenen Ziele, aber die USA und Israel haben ein besonderes Interesse daran, die Waffenlieferwege zur Hisbollah im Libanon zu unterbrechen.“(34) Der seit über einem Jahr andauernde Krieg Israels hat die Region (und den globalen Süden) brodeln und radikalisieren lassen. Zum Erstaunen der Welt blockieren seit Oktober 2023 die Huthis – jemenitische Aufständische – mit ihrem Arsenal ballistischer Raketen, die mittlerweile bis zu 1.900 Kilometer weit fliegen, den israelischen Nachschub.
Die Welt scheint nicht zur Vernunft zu kommen. Sie schläft und gebiert immer weitere Ungeheuer.
Was bedeutet das für Deutschland? Eine doppelte Belastung für den Steuerzahler ist nur der Anfang. Deutschland wird tiefer in den Konflikt hineingezogen und erhöht damit die Kriegsgefahr auf heimischem Boden. Russland hat nun die Freiheit zu wählen: Will es die NATO oder das neue Bündnis bestrafen? In beiden Fällen steht Deutschland im Fadenkreuz.(35)
Eine angebliche „Sicherheitsarchitektur“, die durch sinnlose Provokationen permanente Angst erzeugt, ist in Wahrheit eine Unsicherheitsarchitektur, die ins Verderben führt. Sicher sind nur die Gewinne für die Waffenindustrie.
»Lassen Sie sich nicht hineintreiben in Feindschaft und Hass gegen andere Menschen,
gegen Russen oder Amerikaner, gegen Juden oder Türken,
gegen Alternative oder Konservative, gegen Schwarz oder Weiß.
Lernen Sie miteinander zu leben, nicht gegeneinander.
Lassen Sie auch uns als demokratisch gewählte Politiker dies immer wieder beherzigen und ein Beispiel geben.
Ehren wir die Freiheit.
Arbeiten wir für den Frieden. Halten wir uns an das Recht.
Dienen wir unseren inneren Maßstäben der Gerechtigkeit.
Schauen wir am heutigen 8. Mai, so gut wir es können, der Wahrheit ins Auge.«
Richard von Weizsäcker zum 40. Jahrestag des Kriegsende am 8. Mai 1985
Wolfgang Effenberger, Jahrgang 1946, erhielt als Pionierhauptmann bei der Bundeswehr tiefere Einblicke in das von den USA vorbereitete „atomare Gefechtsfeld“ in Europa. Nach zwölfjähriger Dienstzeit studierte er in München Politikwissenschaft sowie Höheres Lehramt (Bauwesen/Mathematik) und unterrichtete bis 2000 an der Fachschule für Bautechnik. Seitdem publiziert er zur jüngeren deutschen Geschichte und zur US-Geopolitik. Zuletzt erschienen vom ihm:
„Schwarzbuch EU & NATO“ (2020)
sowie
„Die unterschätzte Macht“ (2022)
Anmerkungen und Quellen
2)Trump am 30. November 2024 auf X
3)https://tkp.at/2024/11/24/deutschland-bastelt-an-eu-nato/
5)https://www.alpbach.org/about/mission-history
6)Der Standard vom 03. September 2023
7)Ebda.
8)Das Neutralitätsgesetz hält fest, dass Österreich seine immerwährende Neutralität freiwillig erklärt und sie aufrechterhalten und verteidigen wird, https://www.parlament.gv.at/aktuelles/news/in-einfacher-sprache/archiv/j2022/064neutralitaet
9)Mag. DI Günther Greindl ist österreichischer Generalstabsoffizier im Ruhestand. Er war Leiter der Generalstabsgruppe für Sicherheitskooperation im BMLV und erster Militärrepräsentant Österreichs bei der EU und NATO. Er hatte verschiedene Auslandsverwendungen und war kommandierender General der Blauhelme in Syrien-Israel, in Zypern und in Irak-Kuwait. 2013 wurde ihm der „Egon Ranshofen-Wertheimer-Preis“ für Verdienste um das Ansehen Österreichs im Ausland verliehen.
10)https://libratus.online/de/geraet-der-krieg-in-der-ukraine-ausser-kontrolle
11)Ebda.
12)https://strategic-culture.su/news/2024/12/02/long-war-reaffirm-western-and-israeli-primacy-undergoes-shape-shift/ Die Übersetzung besorgte Andreas Mylaeus
13)Ebda.
14)https://thebulletin.org/facing-nuclear-reality-35-years-after-the-day-after/
16)Zitiert nach Alistair Cooke, Ebda.
18)Rainer Rupp: Das subtile Ziel der USA im Ukraine- Konflikt: Wiederherstellung der Dominanz über EU-Europa, unter https://x.com/Divo_Trader/status/1863621951509447048
19)Ebda.
20)Ebda.
21)Biden says Putin ‘cannot remain in power’
https://edition.cnn.com/2022/03/26/politics/biden-warsaw-saturday/index.html
Sat March 26, 2022
22)https://x.com/Divo_Trader/status/1863621951509447048
23)Ebda.
24)Ebda.
25)Paul Craig Roberts: The Brexit Vote – What Does it Mean? Friday June 24, 2016 http://www.paulcraigroberts.org/2016/06/24/the-brexit-vote-paul-craig-roberts/
26)Ebda.
27)Matthias Gebauer/Ralf Neukirch/Gordon Repinski/ Christoph Schult: „VERTEIDIGUNG: Fortschritt im Schneckentempo“ in DER SPIEGEL 9/2013 unter http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-91203385.html
28)Vgl. Wolfgang Effenberger: Das amerikanische Jahrhundert Teil1 „Die verborgenen Seiten des Kalten Krieges“ Norderstedt 2011.
29)Der Unfriede von Versailles. In: DER SPIEGEL Nr.28, 2009 (online).
30)Osborne, Britains Economic Blockade of Germany 1914-1919, S. 189;
Vgl. C. Paul Vincent: The Politics of Hunger: The Allied Blockade of Germany, 1915–1919. Ohio University Press, Athens, Ohio 1985
31)Der Young-Plan löste 1929 den Dawes-Plan von 1923 ab. Nun sollten Reparationen von 121 Mrd. Reichsmark im Laufe von 59 Jahren (also bis 1988) bezahlt werden. Durch die Weltwirtschaftskrise wurden die Transferzahlungen wesentlich behindert und 1931 im Rahmen des Hoover-Moratoriums vorläufig aufgeschoben. 1932 kam es auf der Lausanner Konferenz zur endgültigen Außerkraftsetzung des Young-Plans.
32)Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ; engl. Bank for International Settlements) wurde am 17. Mai 1930 im Rahmen einer Neuregelung der deutschen Reparationsverpflichtungen gegründet. Sie ist die weltweit älteste internationale Finanzorganisation. Siehe dazu
„Schweiz: Hitlers beflissene Hehler“. In: Der Spiegel vom 17. März 1997 (DER SPIEGEL 12/1997 online)
33)https://ksa.univie.ac.at/institut/mitarbeiterinnen/professorinnen/mueckler-hermann/
34)Strategic-culture.su – Mit freundlicher Genehmigung übernommen