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1. September 2025: Briefe aus zwei Weltkriegen und die geheimen Goebbels-Protokolle

    Eine Geschichte darüber, dass untergeht, wer Hass sät und Krieg in die Welt bringt

    Von Petra Erler – 1. September 2025.

    Netzfund: https://petraerler.substack.com/p/1-september-2025-briefe-aus-zwei

    Auf dem Dachboden eines Hauses im Brandenburgischen fand der Journalist Frank Schumann 1986 ca.1500 Briefe, verfasst während des Ersten und des Zweiten Weltkriegs. Eine Auswahl davon gab Schumann 1989 kommentiert heraus: „Zieh dich warm an! Soldatenpost und Heimatbriefe aus zwei Weltkriegen“, Verlag Neues Leben, Berlin.

    Es sind Briefe einfacher, vom ländlichen Leben geprägter Menschen. Das vielleicht Eindrücklichste ist, dass selbst der Verlust eines Sohnes (Erich Donath) im Ersten Weltkrieg zwar zu tiefer Ablehnung dieses Kriegs bei der Mutter (Minna Falkenhain) führte, aber auch das nicht in grundsätzlicher Kriegsgegnerschaft mündete. Die ihr verbliebene Tochter, ebenfalls Minna genannt, heiratete einen Maurer, Otto Gasse. Dieser wurde im Zweiten Weltkrieg eingezogen. Gasse empfand das Soldatensein anfänglich als Erleichterung von der schweren körperlichen Arbeit. Er war im Hinterland als Pferdekutscher eingesetzt. Er glaubte, einer guten Sache zu dienen. Die Engländer werden sie abschießen, der Russe „seine Dresche kriegen”, so Gasse. Später hoffte er, dass die Angriffe der Engländer richtig „vergolten“ werden würden. Aber auch an Gasse gingen die Spuren des Kriegs nicht völlig vorbei. Sie solle bloß aufpassen, wem sie was sagt, warnte er seine Frau schon in einem der ersten Briefe. Später wünschte er sich vor allem, am Leben zu bleiben, „Soldatenglück“ zu haben.

    Gasse sollte den Krieg überleben, „diesen bösen Krieg“, wie seine Frau die Katastrophe nannte, die sie zwang, sich um alles kümmern und schließlich das Vieh zu verkaufen. Im März 1945 schrieb sie ihrem Mann: „Der Krieg ist doch gar kein Krieg mehr, es fehlen einem die Worte, um auszudrücken, was das ist: solche Grausamkeiten, die unsere Gegner verüben.“

    Man kann darüber rätseln, was in diesen Zeilen alles mitschwang, ein Gefühl von Schuld gewiss nicht.

    Ob sie je eine Antwort ihres Mannes erhielt, bleibt im Buch offen. Gasse geriet in amerikanische Kriegsgefangenschaft und verstarb im September 1945. Die einzige Tochter, Margot, die der Vater sehr geliebt hatte, blieb im Haus der Familie, bis sie 1986 starb. Über ihr Leben schwieg das Buch. Das Haus wurde abgerissen. Zwei Weltkriege hatten diesen Familienzweig abgebrochen.

    Das Buch lebt ebenfalls von der Kommentierung von Schumann. Im Vorwort fordert er die Leser auf, sich eigene Gedanken zum Hin- und Her der Briefe zwischen Front und „Heimatfront“ zu machen. Er wolle nicht das Denken abnehmen, schrieb er und begründete das wie folgt: „Mag sein, dass man damit nicht im „Trend“ liegt, weil es ja allenthalben Brauch geworden ist, auch das Denken als Dienstleistung anzubieten und uns weitgehend davon zu befreien.“

    Mit „uns“ war damals die DDR gemeint.

    Schuman fügte allerdings einen Rat hinzu: man solle das alles nicht aus der „Warte moralischer und intellektueller Überheblichkeit“ tun, sondern „mit der Nachsicht eines dialektischen Verstandes, der die Zeit aus sich selbst zu erklären vermag.“ Um diese Zeit besser zu erklären, fügte Schumann Kommentare bei. Er begriff die Briefeschreiber nicht notwendigerweise als Faschisten. Auf ihn wirkten sie wie paralysiert in ihren menschlichen Empfindungen, teilweise auch wie mit „mittelalterlicher Borniertheit“ geschlagen. Er glaubte, das wäre das Resultat von Kriegspropaganda, faschistischer Ideologie und fehlender gesellschaftlicher Kommunikation über Zusammenhänge.

    Das Kapitel zur Familienpost während des Ersten Weltkriegs schloss Schumann mit einer ernüchternden Statistik ab, die in den Grundaussagen auch heute noch zutreffend erscheint:

    Mehr als 65 Millionen Menschen wurden mobilisiert, davon etwa 10 Millionen getötet, 20 Millionen verwundet, einschließlich rund 5 Millionen Verkrüppelter. Vermisst blieben weitere 5 Millionen. Es wurden insgesamt zweimal soviel Menschen getötet, wie in vorhergegangenen Kriegen zwischen 1790 und 1913.

    Ein vergleichbarer Kommentar zum menschlichen Preis des Zweiten Weltkriegs fehlt im Buch. Bis heute wird um die exakten Zahlen gerungen, aber eines scheint unbestritten: Trotz der ungeheuren Verluste an Soldaten (22 bis 30 Millionen) wurde die Zivilbevölkerung zum Hauptopfer (40 bis 50 Millionen). Darin sind die Opfer des Holocaust eingeschlossen. Die Sowjetunion und China hatten die höchste Zahl an zivilen Opfern.

    Im Buch stellte Schumann einen Brief in den Kontext einer Erklärung von Hitler vom 9. Januar 1941 zu den deutschen Kriegszielen gegenüber der Sowjetunion, die er dem Kriegstagebuch des Oberkommandos der Wehrmacht entnahm: „Der russische Riesenraum berge unermessliche Reichtümer. Deutschland müsse ihn wirtschaftlich und politisch beherrschen, jedoch nicht angliedern. Damit verfüge es über alle Möglichkeiten, in Zukunft auch den Kampf gegen die Kontinente zu führen, es könne dann von niemandem mehr geschlagen werden.

    Da war der Krieg, der am 1.9.1939 mit dem Überfall auf Polen begann, nicht einmal zwei Jahre alt, hatte sich die Führung des faschistischen Deutschlands längst in den Wahn gesteigert, von Blitzsieg zu Blitzsieg zu eilen, einer triumphalen Weltherrschaft entgegen.

    Schumanns Kommentare erfassten auch die zunehmende Verschlechterung der sozialen Lage in Deutschland. Alles wurde rationiert, alles dem Krieg unterworfen. Im November 1943 notierte der SD (Sicherheitsdienst des Reichsführers SS) beunruhigt, es gebe Friedenssehnsucht in Deutschland. Eine kleine Anzahl, die für Frieden um jeden Preis sei, eine größere, die einen „Kompromissfrieden“ wolle. Da war die Kampagne gegen „Defätisten und Miesmacher“ schon längst auf vollen Touren. Im Jahr 1944 vermerkte der SD eine „Stalingradstimmung“ im Land. Man habe den Krieg „bis obenhin satt“. Der Krieg solle schnell enden, aber am Ende „für uns günstig“ sein. Ebenfalls festgehalten wurde, dass gerade in Städten Bevölkerungsteile in eine „fatalistische Ergebenheit in das Schicksal“ abrutschten. Große Teile hätten aufgegeben, sich ein festes Bild zu machen und ließen sich treiben.

    Schumanns Kommentare führten dazu, dass ich noch einmal das Buch „Wollt Ihr den totalen Krieg“ über die geheimen Goebbels-Konferenzen (1939-43) zur Hand nahm. Willi A. Boelcke gab es erstmals 1967 bei der Deutschen Verlagsanstalt Stuttgart heraus. Zunächst schlug Boelke vor, diese Protokolle, die im damaligen Deutschen Zentralarchiv Potsdam verwahrt wurden, in der DDR herauszugeben. Das stieß auf entschiedene Ablehnung. Boelcke interpretierte diese Ablehnung so, dass die Protokolle „allzusehr die Spielregeln auf(decken), derer sich totalitäre Staaten bedienen, die die freie Meinungsäußerung ausschalten und mit Hilfe von Sprachregelungen bestimmen und manipulieren, was gedacht, gesagt und gedruckt werden darf.“ Ostberlin habe offenbar den „naheliegenden Vergleich zwischen den Praktiken von Goebbels und den Methoden ihrer eigenen Agitation und Propaganda“ (gescheut).

    Weiterlesen: https://petraerler.substack.com/p/1-september-2025-briefe-aus-zwei

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