Von Oskar Lafontaine – 10. November 2025
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Als die französische Schriftstellerin Madame de Staël 1810 ihr berühmtes Buch „De l’Allemagne“ schrieb und Deutschland als Land der Dichter und Denker porträtierte, konnte sie nicht ahnen, welche Männer und Frauen die Bundesrepublik 2025 regieren würden. Schon das Kabinett des Olaf Scholz‘ wurde von vielen, die der zunehmenden Deindustrialisierung unseres Landes zusehen mussten, als die dümmste Regierung Europas bezeichnet, und die Mannschaft des Kanzlers Friedrich Merz hat sich diesen Titel in kürzester Zeit verdient. Von aller Welt belächelt, kämpft Deutschland, in einer sich neu formierenden multipolaren Weltordnung, gegen den US-Präsidenten, weil er in Anerkennung der heutigen Realitäten den Ukraine-Krieg beenden will, gegen Putin, weil er für Friedrich Merz ein Kriegsverbrecher ist, und gegen Xi Jinping, weil die USA das so wollen.
Die ängstlichen Vasallen in Berlin
Zu allem Überfluss hat die Bundesregierung immer noch nicht bemerkt, dass die Vereinigten Staaten in Deutschland einen Konkurrenten sehen, den es zu schwächen gilt, durch hohe Energiepreise, erschwerten Zugang zu Rohstoffen und die Behinderung des Handels mit China. Und damit die Deindustrialisierung auch wirklich gelingt, zerstörten die USA mit Unterstützung der Ukraine, Polens und der baltischen Staaten Deutschlands wichtigste Energieleitung, Nord Stream. Die ängstlichen Vasallen in Berlin haben nicht den Mut, dagegen aufzustehen, diesen Terrorakt aufzuklären und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen.
Der Bedeutungsverlust Deutschlands und seine Deindustrialisierung gehen einher mit einem Rückzug von Bildung und Intellektualität aus der deutschen Politik. Zwar war es auch nach dem Zweiten Weltkrieg eine Ausnahme, dass zum Beispiel der SPD-Politiker Carlo Schmid Baudelaires „Les Fleurs du mal“ übersetzen konnte, aber es gab in allen Parteien Politiker, deren Bücher und Aufsätze man lesen konnte und wollte. Für die CDU/CSU anfänglich Ludwig Erhard und Alfred Müller-Armack, dann Richard von Weizsäcker, Kurt Biedenkopf, Heiner Geissler oder Norbert Blüm. Heute ragt in der Union noch der Münchner Rechtsanwalt Peter Gauweiler hervor, dessen Aufsätze und Reden ein beachtliches intellektuelles Niveau haben. Den Ton geben aber Politiker an wie Roderich Kiesewetter („Wir müssen den Krieg nach Russland tragen“) oder Johann Wadephul („Russland wird immer unser Feind sein“).
Die SPD glänzte mit Willy Brandt und Helmut Schmidt, mit Egon Bahr, Peter von Oertzen, Horst Ehmke, Peter Glotz oder Erhard Eppler. Der 97-jährige ehemalige Hamburger Bürgermeister Klaus von Dohnanyi, damals ebenfalls Mitglied des SPD-Bundesvorstandes, erinnerte 2022 mit seinem Bestseller „Nationale Interessen“ daran, auf welchem Niveau im vierzigköpfigen Vorstand unter dem Vorsitz Willy Brandts diskutiert wurde. Heute wird die Partei von Lars Klingbeil geführt, der mit dem Satz „Wir müssen heute Sicherheit gegen Russland organisieren“ das Erbe des Friedensnobelpreisträgers Willy Brandt entsorgte, ohne dass es in der ausgelaugten Partei einen Aufschrei gegeben hätte.
Das Freiburger Programm der FDP wurde von renommierten Intellektuellen wie Ralf Dahrendorf, Karl-Hermann Flach und Werner Maihofer verfasst, also von Männern, die die heutige FDP-Führung alt aussehen lassen. Das Niveau der Liberalen prägt aktuell die Rüstungslobbyistin Marie-Agnes Strack-Zimmermann, die mit verrückten Aussagen wie „Putin hat Hunderte Millionen unter die Erde gebracht“ und „Die Ukraine ernährt 70 Milliarden Menschen“ auf sich aufmerksam macht.
Bei den Anfängen der Grünen waren Petra Kelly, Joseph Beuys, Carl Amery, Robert Jungk und Rudolf Bahro dabei. In den letzten Jahren bestimmten Robert Habeck („Ich kann mir vorstellen, dass bestimmte Branchen einfach aufhören zu produzieren […] dann sind die nicht insolvent automatisch“) oder Annalena Baerbock („Wir werden Russland ruinieren“) das geistige Niveau der Grünen.
Zählfehler und Verzögerungstaktik
Die Linke, heute immer noch als SED-Nachfolgepartei diffamiert, ist aus der ostdeutschen PDS und der westdeutschen WASG entstanden. Der PDS war es zu verdanken, dass der über ihre Liste in den Bundestag gewählte Schriftsteller Stefan Heym 1994 die Eröffnungsrede als Alterspräsident halten konnte. Sein Vortrag war ein Höhepunkt in der Geschichte des gesamtdeutschen Parlaments und zeigte, was für ein Gewinn es für eine demokratische Gesellschaft ist, wenn in ihr auch Dichter und Denker das Volk repräsentieren.
Die Linke war vor der Bundestagswahl schon abgeschrieben, hat aber, unterstützt von den Mainstream-Medien, dubiosen Organisationen wie Campact und den Algorithmen der amerikanischen Techkonzerne, innerhalb weniger Wochen bei der Bundestagswahl ein Ergebnis von 8,8 Prozent erreicht. Zum Dank half sie eilfertig, Friedrich Merz ins Amt zu bringen, stimmte im Bundesrat für unbegrenzte Aufrüstungsschulden und fordert noch härtere Sanktionen gegen Russland. Dass die Partei die Seiten gewechselt hat, zeigt besonders der Vorsitzende Jan van Aken, der EU- und NATO-treu den gewaltsamen Stopp der russischen Schattenflotte fordert, was in internationalen Gewässern einer Kriegserklärung an Russland gleichkäme und auf jeden Fall zu einer weiteren Steigerung der Energiepreise führen würde.
Bei der AfD prägen, nachdem die Gründer Bernd Lucke, Konrad Adam und Hans-Olaf Henkel ausgetreten sind, Alexander Gauland, Björn Höcke, Alice Weidel und Tino Chrupalla die Debatte. Alice Weidel lässt allerdings mit ihrer von der Partei unwidersprochenen Erklärung „Ich kann mir vorstellen, dass wir fünf Prozent des BIP für Rüstung ausgeben“ erhebliche Zweifel an der Kompetenz der AfD aufkommen.
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