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Besatzung als Geschäftsmodell

    Israel – globaler hot spot der digitalen Überwachungs-Industrie

    Von Werner Rügemer.

    2005 verließ Shalev Hulio die israelische Armee. Er war Hauptmann, 24 Jahre alt,  blieb Reservist. Er hatte mehrere Einsätze gegen die zweite Intifada absolviert. Er machte das, was tausende andere junge Ex-Militärs schon vor ihm gemacht hatten. Er gründete mithilfe seiner militärischen Kenntnisse ein high tech-start up. Zuerst war das MediAnd. Dann gründete er Comitech, finanziert von einem israelischen start up-Investor. Das israelische Militär war von Comitechs Späh-Software begeistert.  Deshalb gründete der Reservist 2014 den neuen start up NSO Group und brauchte größere Kredite. Die kamen aus den USA, vom Risikokapital-Investor Francisco Partners aus dem Silicon Valley.

    NSO entwickelte die Cyberware Pegasus: Sie wurde unbemerkt in alle Smartphones in Gaza und Westjordanland installiert und meldete alle Anrufe, SMS, Bewegungen der Palästinenser an die israelischen Geheimdienste. Daraus wurde ein globales Exportgeschäft: Vor dem Untersuchungsausschuss des Europäischen Parlaments sagte NSO 2022 aus: Wir haben die Cyberware Pegasus auch an 60 Großkunden in 45 Ländern geliefert, vor allem an staatliche Dienste, zur Bekämpfung von „Terroristen und Kriminellen“.

    Dieser Pegasus-Skandal war durch einen internationalen Medien-Verbund – Guardian, Süddeutsche Zeitung, Washington Post usw. – bekannt, wurde aber gar kein Skandal, wurde vergessen.

    „Kill first!“

    „Die jungen Soldaten, sie sind 18 oder 19 Jahre alt, erhalten in den riesigen Entwicklungsabteilungen, die das Militär gegründet hat, alle Freiheiten, um in der digitalen Welt an der Spitze zu sein.“ So berichtete Ronen Bergman, Chefkorrespondent für Militär- und Geheimdienstfragen der israelischen Tageszeitung Yediot Acharonot, schon vor fünf Jahren in seinem preisgekrönten internationalen Bestseller Rise and Kill First. The Secret History of Israels Targeted Assasinations (Random House, London 2018).

    Die start ups werden meist von jungen Ex-Offizieren hochgezogen, oft beginnen sie schon in der Armee damit. Danach, oft mithilfe von Stipendien von Google & Co., überführen sie ihre Erfahrungen bei der Fern- und Nah-Erkennung, Bekämpfung und gezielten Tötung von Palästinensern in unternehmerische Form. Diese Soldaten und Soldatinnen werden in Israel als Helden und nationale Elite gehätschelt, weil sie bisherige Regularien und Moralvorstellungen brechen. „Innovative Disruption“ heißt das in der Digital- und Plattformindustrie. „You break things“, „You are software Ninjaneers“ – so werden Gründer-Soldaten gelobt.

    „Wer in einer der bekannten Eliteeinheiten dient, bringt wertvolles Wissen mit und macht sich damit nicht selten ein paar Jahre später selbständig“, so berichtete bewundernd ebenfalls schon 2018 die bundesdeutsche Unternehmer-Postille Handelsblatt. Die völkerrechts- und menschrechtswidrige Praxis des jahrzehntelangen Besatzungsregimes ist ein Trainingscampus der moralfreien Disruption. Millionen Menschen werden als Versuchskaninchen benutzt. Das Militär ist der „Innovationstreiber“ der wichtigsten Wirtschaftsbranche Israels.

    Seit dem Einsatz ferngelenkter Tötungs-Drohnen bei der ersten Intifada entwickelt der militärisch-industrielle Digital-Komplex Israels immer neue und bessere Technologien. Dafür werden alle Arten von menschenbezogene Daten erfasst, nach Zieleingaben integriert und in höchster Geschwindigkeit für nachfolgende Operationen ausgewertet: akustische, optische, sprachliche, nichtsprachliche, farbliche, haptische, gestalt- und bewegungsförmige, interaktionelle, umgebungsbezogene, elektronische, digitale Daten.

    Antreiber und Investoren aus den USA

    Israel mit seinen dauerhaft besetzten Gebieten ist das höchstentwickelte, digitale Lebend-Labor des US-geführten Kapitalismus für die flächendeckende Überwachung der Bevölkerung, für die Bekämpfung von Aufständen und nicht zuletzt für die gezielte Tötung von Menschen, die ohne Gerichtsurteil als Terroristen bezeichnet werden. So ist auch keine Wirtschaft, keine Verwaltung, keine Medienbranche, keine Politik der Welt so militarisiert wie die israelische.

    Diese Entwicklung wurde auch nur möglich durch die Kooperation mit US-Digital-Konzernen, US-Rüstungskonzernen und US-Kreditgebern. Amazon, Facebook/Meta, Microsoft, Google/Alphabet, Apple, Nvidia, Cisco fördern und kaufen in Israel laufend erfolgreiche start ups auf – bekannte Namen sind Anobit, LinX, PrimeSense, SlickLogin, Waze. So wurde etwa Annapurna, 2011 gegründet, schon 2015 von Amazon aufgekauft. Zum Beispiel Google unterhält auf dem Campus der Universität Tel Aviv eine eigene start up-Area, nach dem Vorbild der Silicon Valley-Eliteuniversität Stanford. Mit bisher etwa 7.000 start ups, die mehrheitlich von US- Konzernen gekauft wurden, hat Israel die höchste start up-Dichte pro Einwohner. 

    Die Produkte und Dienstleistungen gehen vor allem in den Export, in die USA, in die EU und bis nach Südkorea, Australien und Taiwan.

    Schon bevor US-Präsident Donald Trump die Mauer zu Mexiko noch weiter ausbauen ließ, holte sich die US-Regierung unter Präsident Barack Obama israelische Überwachungstechnologie für die tausenden Kilometer des High Tech-Zauns an der Grenze zu Mexiko. Vorbild ist die 700 Kilometer lange und bis 9 Meter hohe Mauer Israels auf der Grenze zum besetzten  Westjordanland.

    Das Pentagon hatte in den 1980er Jahren erkannt: Die vom staatlichen Rüstungskonzern Israel Aersospace Industries (IAI) entwickelte Drohne Scout zur Ausspähuung der ersten Intifada ist eine geniale Erfindung! Die können wir selbst brauchen! Die muß weiterentwickelt werden! US-Verteidigungsminister Caspar Weinberger vergab einen Riesenauftrag an IAI: Die verbesserte Folgeversion Pioneer wurde entwickelt und dann auch vom US-Militär eingesetzt. Weitere gemeinsame Verbesserungen der Drohne folgten: bessere Kameras und Laser, größere Reichweiten, tragfähig auch für Bomben und Raketen.

    Der folgende Technologie-Schub bestand darin, die Ausspähung mit der sofortigen Zerstörung von Gebäuden, Fahrzeugen und immer zielgenauerer Tötung von freihändig definierten Terroristen zu kombinieren. Der Einsatz galt dann nicht nur für die besetzten Gebiete, sondern auch in benachbarten Staaten wie dem Libanon. Die aktuellste Drohnenversion Heron TP erreicht eine Geschwindigkeit von 370 Stundenkilometern, kann 36 Stunden in der Luft bleiben. Heron TP wird weltweit exportiert. Auch die deutsche Bundeswehr ist Kunde. Sie kauft jetzt auch die israelische Rakete Arrow 3 für 3,6 Mrd. Euro.

    Mit Intel 1974 hatte es begonnen …

    Der führende Chip-Gründungskonzern des Silicon Valley war Intel. Intel eröffnete dann 1974 sein erstes ausländisches Design- und Entwicklungszentrum – nicht irgendwo, sondern in Israel, in Tel Aviv. Intel war im Silicon Valley vor allem durch Militäraufträge groß geworden: Das größte Unternehmen dort war (und ist) der Rüstungskonzern Lockheed. Der brauchte (und braucht) ständig die leistungsfähigsten Chips für seine Interkontinental-Raketen und Kampfjets. Und beschleunigt durch die erste und dann die zweite Intifada hat Intel seine israelischen Filialen mit inzwischen 14.000 Beschäftigten zum größten privaten Unternehmen und Exporteur Israels ausgebaut.

    Und so geht es weiter: Seit einigen Jahren erweitert Israel die Kooperation mit dem größten Chiphersteller der Welt, TSMC aus Taiwan – TSMC ist der größte Zulieferer der US-Digitalkonzerne und des US-Militärs, und Taiwan ist ein ähnlicher von den USA aufgerüsteter Konfliktherd.

    Im Juni 2023 kündigte der israelische Regierungschef Netanyahu an: Jetzt kommt die bisher größte ausländische Investition nach Israel überhaupt, nämlich die 25 Milliarden Dollar schwere, neue Chip-Fabrik von Intel in Kirjat Gat.

    Werner Rügemer, Köln. Buchveröffentlichung unter anderem: Die Kapitalisten des 21. Jahrhunderts, 4. Auflage Köln 2024, auch in englischer, französischer, italienischer, russischer und chinesischer Ausgabe.

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