Syrien: Israel sieht nach Sturz der Regierung Assad Chance, langgehegte Pläne umzusetzen und kooperiert mit neuen Machthabern
Von Wiebke Diehl – 12. Dezember 2024 – Foto: Graffiti auf Kreta
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Man habe »nicht die Absicht, sich in die inneren Angelegenheiten Syriens einzumischen«. Das behauptete der israelische Premier Benjamin Netanjahu am Dienstag, nachdem die israelische Luftwaffe das Nachbarland nach eigenen Angaben rund 480mal angegriffen hatten, seit am Sonntag morgen bewaffnete extremistische Gruppen unter der Haiat Tahrir Al-Scham (HTS) die Hauptstadt Damaskus eingenommen hatten. Im Norden, Osten, Westen und Süden zielen israelische Jets insbesondere auf Militäreinrichtungen. Flächendeckend wurden syrische Luftabwehrsysteme, Militärstützpunkte, sämtliche Militärflughäfen und Marinestützpunkte sowie Panzer, Hubschrauber, Schiffe, Waffen- und Munitionsdepots, Fabriken und Forschungseinrichtungen zerstört. Auch Geheimdienst- und Zollbüros im Damaszener Stadtteil Kafr Sousa wurden zum Ziel. Für den am Dienstag zunächst ebenfalls Israel zugeschriebenen Angriff auf den Flughafen Kamischli übernahm später jedoch die Türkei die Verantwortung.
Der israelische Regierungschef habe »die Bombardierung strategischer militärischer Einrichtungen des syrischen Militärs« genehmigt, damit diese »nicht in die Hände der Dschihadisten fallen«, erklärte Netanjahus Büro am Dienstag abend. Zuvor hatte bereits Verteidigungsminister Israel Katz frohlockt, die syrische Marine sei versenkt worden. Netanjahu sandte zudem eine Warnung in Richtung der neuen Machthaber: Sie dürften kein Wiedererstarken des iranischen Einflusses in Syrien und keine Waffenlieferungen an die libanesische Hisbollah zulassen. Nicht zuletzt zu diesem Zweck hat die israelische Luftwaffe in den vergangenen Monaten bereits die Grenzübergänge zwischen Syrien und dem Libanon bombardiert und damit Hunderttausenden Libanesen den Fluchtweg vor den israelischen Bombardements im Zedernstaat versperrt.
Allerdings stehen die Terroristen, die jetzt in Syrien die Macht übernommen haben, gerade nicht im Verdacht, Iran-nah zu sein. Vielmehr begreifen sie die Islamische Republik und die libanesische Hisbollah als Erzfeind. Als die israelische Armee im September den Generalsekretär der Hisbollah, Hassan Nasrallah, tötete, brachen in Idlib bei der HTS Jubelfeiern aus. Tel Aviv hat seit spätestens 2013, genau wie die CIA, die Golfstaaten und die Türkei, die bewaffnete extremistische Opposition in Syrien unterstützt – darunter auch die heutige HTS, damals noch Nusra-Front. Für deren Kämpfer soll Israel gar seine Grenze geöffnet und ihnen Zugang zu seinem Territorium gewährt haben. Bis zu zwölf Kampfeinheiten wurden heimlich finanziert und bewaffnet, Kämpfern ein monatliches Gehalt gezahlt und verletzte Dschihadisten medizinisch versorgt. Eine der ersten Stellvertreterorganisationen Tel Avivs im Syrien-Krieg waren die Forsan Al-Dscholan, was deren Anführer auch ganz unverblümt zugab. Neben der Kooperation mit Dschihadisten versuchte Tel Aviv auch über die drusische Gemeinschaft, die sich allerdings zu großen Teilen nicht von ihrer Unterstützung von Präsident Baschar Al-Assad abbringen ließ, Syrien zu destabilisieren und zu zerteilen.
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