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Der Staat im Kapitalismus

    von Hanns Graaf

    Marx und Engels beschrieben schon 1847 im „Kommunistischen Manifest“, wie sich die Bourgeoisie zur ökonomisch stärksten Klasse entwickelte und sich schließlich mit dem „modernen Repräsentativstaat die ausschließliche politische Herrschaft“ erkämpfte. „Die moderne Staatsgewalt ist nur ein Ausschuss, der die gemeinschaftlichen Geschäfte der ganzen Bourgeoisklasse verwaltet.“ (MEW 4, 464)

    Die Art und Weise, wie sich das Bürgertum gegen den Feudalismus durchsetzte, variierte von Land zu Land, und so unterschied sich auch der aus der jeweiligen Entwicklung hervorgegangene Staatsapparat. Er ist bedingt durch den Stand der Produktivkräfte, die Klassenstruktur, internationale Einflüsse und den Klassenkampf. Die konkrete Gestalt des bürgerlichen Staatsapparates entscheidet nach Marx und Engels darüber, ob das Proletariat diesen Staatsapparat in der Revolution zerschlagen muss oder „nur“ umzuwandeln braucht. So hielten sie es für möglich, dass die Arbeiterklasse in den USA und in England friedlich zum Sozialismus kommen könne, da es dort damals keine größere bürokratisch-militaristische Staatsmaschinerie gab. (MEW 18, 160) In einem Brief an Philipp van Patten schrieb Engels, dass das Proletariat den bürgerlichen Staat nicht zerstören darf. Vielmehr müsse es diesen in Besitz nehmen, ihn dann allerdings bedeutend verändern und zur Unterdrückung des Widerstandes der Kapitalistenklasse nutzen. (MEW 19, 344f) Marx und Engels bestanden aber darauf, dass der Staat in der nachkapitalistischen Ära absterben solle und könne.

    Mit der Epoche des Imperialismus änderte sich die Situation. Jedes entwickelte Land verfügt heute über einen Staatsapparat, der sehr umfangreich ist und mehr oder weniger repressiven Charakter hat. Allein ein Vergleich der Zahl der Ministerien heute mit der Zeit vor 100 oder 150 Jahren zeigt das. Damit geht einher, dass die Möglichkeiten demokratischer Selbstbestimmung und Einflussnahme sowie Strukturen von Selbstverwaltung zwar oft größer sind als damals, aber auch begrenzt sind. Für die Zwecke einer nicht-kapitalistischen Gesellschaft kann dieser Staatsapparat also keinesfalls in Gänze übernommen werden, er müsste so stark verändert werden, dass er eine völlig andere Struktur und Funktionsweise erhielte und damit letztlich qualitativ ein anderer wäre.

    Der bürgerliche Staat muss daher zerschlagen und durch ein Räte- und Selbstverwaltungssystem ersetzt werden. Ohne diesen qualitativen Bruch ist eine kommunistische Entwicklung und die dafür notwendige freie Selbstbestimmung der Menschen unmöglich.

    Für die Länder des europäischen Kontinents sahen Marx und Engels schon damals die Notwendigkeit des Zerschlagens der bürgerlichen Staatsmaschine, wie z.B. ein Brief von Marx an Kugelmann zeigt. „Wenn Du das letzte Kapitel meines „Achtzehnten Brumaire“ nachsiehst, wirst Du finden, dass ich als nächsten Versuch der französischen Revolution ausspreche, nicht mehr wie bisher die bürokratisch-militärische Maschinerie aus einer Hand in die andere zu übertragen, sondern sie zu zerbrechen, und dies ist die Vorbedingung jeder wirklichen Volksrevolution auf dem Kontinent.“ (MEW 33, 205)

    Wie Marx feststellte und wie die Geschichte beweist, hat der Kapitalismus die alte bürokratisch-repressive Staatsmaschine nicht zerbrochen, sondern nur modifiziert. Umfang und Einfluss des bürgerlichen Staatsapparats haben sich deutlich vergrößert, v.a. seit dem Übergang zum Imperialismus. Dafür gibt es mehrere Gründe. Zunächst ist der Kapitalismus eine auf Ausbeutung beruhende Klassengesellschaft, die den Staat benötigt, um das Proletariat u.a. werktätige Klassen zu beherrschen, sein System zu schützen und Konflikte mit anderen Staaten auszutragen. Daneben dient der Staat aber auch als „ideeller Gesamtkapitalist“ dem Managen, dem Ausgleichen von Konflikten zwischen den und innerhalb der Klassen, etwa zwischen verschiedenen Kapitalfraktionen oder in Gestalt des „Sozialstaats“ zur „Befriedung“ des Proletariats und der Sicherung der Reproduktion der Lohnarbeiterschaft.

    Mit dem Übergang zum Imperialismus Ende des 19. Jahrhunderts veränderte sich der Kapitalismus strukturell. Die Durchdringung der Gesellschaft durch Wissenschaft und Technik nahm gewaltig zu. Die wirtschaftlichen und sozialen Strukturen wurden komplexer. Deren Verwaltung übernahm weitgehend der Staat, dessen Verwaltungsorgane sich deutlich vergrößerten. Der Etatismus (vom französischen l´etat: der Staat), d.h. die Regulierung sozialer Prozesse, wurde allgegenwärtig. Auch auf die Wirtschaft hat der Staat großen Einfluss, obwohl dieser immer noch primär von Kapitalinteressen und der Marktkonkurrenz bestimmt wird. Im Ostblock entstand sogar ein staatskapitalistisches System, das sich v.a. dadurch vom (westlichen) Privatkapitalismus und dem Etatismus unterschied, dass dort das Staatseigentum dominierte.

    Die lohnabhängige Mittelschicht

    Schon vor über 170 Jahren beschrieben Marx und Engels im „Kommunistischen Manifest“ die Veränderung der Sozialstruktur des Kapitalismus: „In den Ländern, wo sich die moderne Zivilisation entwickelt hat, hat sich eine neue Kleinbürgerschaft gebildet, die zwischen dem Proletariat und der Bourgeoisie schwebt und als ergänzender Teil der bürgerlichen Gesellschaft stets von neuem sich bildet, deren Mitglieder aber beständig durch die Konkurrenz ins Proletariat hinabgeschleudert werden, ja selbst mit der Entwicklung der großen Industrie einen Zeitpunkt herannahen sehen, wo sie als selbständiger Teil der modernen Gesellschaft gänzlich verschwinden und im Handel, in der Manufaktur, in der Agrikultur durch Arbeitsaufseher und Domestiken ersetzt werden.“

    Doch der moderne Kapitalismus weist große Bereiche auf, die es in Umfang und Bedeutung zu Zeiten von Marx so noch nicht gab: Bildung, Wissenschaft, Medien, Verwaltung, Sozialsystem usw. Diese andere Struktur schlug sich auch in einer veränderten Klassenstruktur nieder. Während das Proletariat in den Industrieländern die größte soziale Gruppe stellt, spielt der Adel bzw. das Grundeigentum nur noch eine untergeordnete Rolle und die agrarische Bevölkerung ist stark zurückgegangen. Die Mittelklassen sind – anders als es Marx erwartet hatte – nicht geschrumpft, haben sich aber gewandelt. Während das bäuerliche Kleinbürgertum abnahm, veränderte sich die städtische Mittelschicht, verschwand jedoch nicht.

    Eine sehr wesentliche Änderung in der Klassenstruktur vollzog sich insofern, als die lohnabhängige Mittelschicht (LMS) enorm wuchs. Wir verstehen darunter Menschen, die über keine Produktionsmittel verfügen und lohnabhängig sind, jedoch – im Unterschied zum „normalen“ Proletarier – eine besondere Stellung im Gesamtsystem von Produktion und Reproduktion einnehmen. Diese besteht darin, dass sie eine Funktion des Managers, Organisators, Administrators, Ideologen einnehmen und für die Aufrechterhaltung des Kapitalismus direkt funktional sind. Sie stehen zwischen den antagonistischen Hauptklassen Bourgeoisie und Proletariat.

    Auch Lenin sah diese Veränderungen in der Klassenstruktur und verwies darauf, dass sich mit dem Imperialismus in der Arbeiterklasse bzw. in der Arbeiterbewegung eine Arbeiteraristokratie und eine -bürokratie herausbilden. Diese Schichten sind mit der LMS verbunden, aber nicht identisch. Die LMS ist eine direkte Folge und ein Erfordernis der modernen kapitalistischen Industriegesellschaft zum „Verwalten“ ihrer Probleme und Strukturen. Die LMS stellt das Gros oder zumindest einen großen und bestimmenden Teil des Personals in Politik, Verwaltung, Wissenschaft, Bildung, Medien und Sozialwesen. Als sozialer Block zwischen den Hauptklassen hat die LMS großen Einfluss auf soziale und politische Prozesse und Strukturen.

    Rudolf Hilferding beschrieb um 1900 die Auswirkung dieser Tendenz auf die Klassenstruktur: „Eine ganz andere Stellung nehmen jene Schichten an, die man (…) als ´neuen Mittelstand´ bezeichnet. Es handelt sich dabei um die Angestellten in Handel und Industrie, die durch die Entwicklung des Großbetriebes und durch die gesellschaftliche Form des Unternehmens eine außerordentliche Vermehrung erfahren haben und in hierarchischer Abstufung zu den eigentlichen Leitern der Produktion werden. Es ist eine Schicht, deren Anwachsen selbst das des Proletariats übertrifft. Der Fortschritt zu höherer organischer Zusammensetzung (des Kapitals, d.A.) bedeutet eine relative, in manchen Fällen und manchen Industriesphären sogar eine absolute Verminderung der Arbeiter. Dies muss aber durchaus nicht der Fall sein mit dem technischen Personal, das vielmehr mit dem Umfang des Betriebes, wenn auch nicht im selben Verhältnis, zunimmt. Denn Fortschritt der organischen Zusammensetzung bedeutet Fortschritt des automatischen Betriebes, Veränderung und Komplizierung der Maschinerie. Die Einführung neuer Maschinerie macht menschliche Arbeitskraft überflüssig, sie macht aber durchaus nicht die Aufsicht des Technikers überflüssig. Die Ausdehnung des maschinellen, großkapitalistischen Betriebes ist daher ein Lebensinteresse der technischen Angestellten aller Kategorien und macht die Angestellten der Industrie zu den leidenschaftlichsten Anhängern großkapitalistischer Entwicklung.“ (Das Finanzkapital, Dietz-Verlag, Berlin, 1947, 482 f)

    Wo ist die LMS stark vertreten?

    • Verwaltung in Staat, Kommunen und im Sozialwesen;
    • Management und Verwaltung in Unternehmen;
    • Bildung, Wissenschaft, Kultur, Medien;
    • Justiz, Politik;
    • Sicherheitsapparate.

    In diesen Bereichen gibt es aber auch viele Lohnabhängige sind, die zur Arbeiterklasse gerechnet werden müssen, sowie (in geringem Umfang) Angehörige der Bourgeoisie. Wir wollen an einigen Beispielen verdeutlichen, was konkret mit dem Begriff „lohnabhängige Mittelschicht“ gemeint ist.

    Mit der Einführung der Sozialgesetzgebung in Deutschland durch Bismarck entstand auch ein großer Apparat, um den „Sozialstaat“ zu verwalten. Heute ist das „Sozialsystem“ ein riesiges Geflecht von staatlichen, privaten und halbstaatlichen Strukturen. Allein die Existenz von hunderten Sozialkassen und -versicherungen bedeutet, dass Zehntausende damit befasst sind, diesen Dschungel zu verwalten. 2017 waren in Deutschland lt. Statistischem Bundesamt von rund 31 Mill. sozialversicherungspflichtig Beschäftigten über 12 Mill. in den Bereichen Unternehmensorganisation, Buchhaltung, Recht, Verwaltung, Gesundheit, Soziales, Lehre und Erziehung beschäftigt, d.h. über ein Drittel! Das Gros der dort Beschäftigten zählt zwar „an sich“ zum Proletariat, aber es ist oft direkt mit strukturell unterdrückerischen, ordnungspolitischen, staatlichen Funktionen verbunden und insofern – anders als klassische Fabrikarbeiter – auch stärker ideell mit dem Staat bzw. dem System verbandelt.

    2016 waren an allgemeinen (meist staatlichen) Schulen in Deutschland ca. 750.000 Lehrer in Voll- oder Teilzeit beschäftigt. Zusammen mit Lehrern anderer Schulen (z.B. Berufsschulen) sind damit 2-3% aller Beschäftigten in diesem Bereich tätig. Diese „kleine“ Schicht beeinflusst aber 100% der Bevölkerung, da jeder Mensch eine Schule besucht. Neben vielen „sachlich-neutralen“ Inhalten (Lesen, Schreiben, Rechnen usw.) vermittelt die Schule aber inhaltlich-ideologisch wie strukturell auch bürgerliche Werte und konditioniert die Schüler so für den Kapitalismus. Das trifft umso mehr auf die „höhere“ gymnasiale, berufliche und universitäre Bildung zu.

    Lehrer haben somit die doppelte Funktion (adäquat dem Doppelcharakter der Arbeit im Kapitalismus: Arbeit als Quelle von Gebrauchswert und von Tauschwert) der Vermittlung von Wissen, Fähigkeiten usw. und der Funktion als Vermittler von Werten und Normen des Kapitalismus. Dass das Kapital diese Rolle durchaus wertschätzt, zeigt sich u.a. in der Verbeamtung, d.h. der sozialen Besserstellung. Indem Lehrer – wenn auch in unterschiedlichem Maße – also Teil des Herrschafts- und Indoktrinations-Apparats sind, können sie nicht einfach – trotz ihrer Lohnabhängigkeit und ihrer auch grundsätzlich „beherrschten“ Lage – dem Proletariat zugerechnet werden. Sie stehen hinsichtlich ihrer sozialen Lage zwischen den Hauptklassen Bourgeoisie und Proletariat. Sicher ist aber die Kita-Erzieherin oder die Grundschullehrerin eher der Arbeiterklasse zuzurechnen bzw. ihr näher als etwa ein Schulleiter oder eine Professorin. Die Veränderung der Mittelschichten ist also tw. anders verlaufen, als Marx dachte. Die LMS ist ein wesentliches Strukturmerkmal des „modernen“ Kapitalismus und des Staates. Revolutionäre Politik muss diese Veränderungen berücksichtigen und sich die Frage stellen, wie auch die LMS erreicht werden kann.

    Die bürgerliche Demokratie

    Das Parlament, die Justiz und politische Gremien werden oft nicht als Teil des Staatsapparates gesehen, sind mit ihm aber eng verbunden. Der Marxismus benutzt für all diese Elemente (und die Ideologie, von der die Rechtsvorstellungen nur ein spezifischer Teil sind) den Begriff des „Überbaus“ der Gesellschaft, der sich über der „Basis“, d.h. den sozial-ökonomischen Verhältnissen erhebt.

    Die bürgerliche Ideologie, Schulen, Unis und Medien behaupten, dass der demokratische Staat neutral sei und dazu da wäre, eine zunehmend komplexere Gesellschaft zu verwalten, Interessenkonflikte zu regulieren und die Landesinteressen (die natürlich wesentlich die Interessen der nationalen Bourgeoisie sind) durchzusetzen. Ohne Staat würde die Gesellschaft im Chaos versinken. Doch diese Charakterisierung ist höchst einseitig, ja falsch und verschleiert das Wesen des Staates. So wird z.B. die enge Verbindung zwischen Kapital, Staat, Justiz und Politik oft verdeckt, indem man von der „politischen Klasse“ spricht oder eine Gewaltenteilung und eine „Unabhängigkeit der Justiz“ behauptet. Doch auch Politik und Justiz haben einen Klassencharakter und sind fest mit dem staatlichen Apparat verbunden, schon deshalb, weil jede bürgerliche Verfassung das Privateigentum als Grundlage des Kapitalismus schützt.

    Neben seinem Hauptzweck, Herrschaftsinstrument zu sein, hat der Staat aber auch die Aufgabe, miteinander konkurrierende Kapitale und das Verhältnis zwischen den Klassen zu „regulieren“, z.B. in Gestalt des „Sozialstaats“. Doch auch diese Funktionen übt er letztlich im Interesse und zum Nutzen der Bourgeoisie aus und agiert dabei repressiv und undemokratisch, allein schon, weil die Massen von diesen Prozessen weitgehend ausgeschlossen und nur deren Objekte sind. Allenfalls entscheiden sie bei Wahlen über die Darsteller auf der politischen Fassade.

    Größe und Bedeutung des Staatsapparats haben mit der Entwicklung des Kapitalismus zugenommen, insbesondere die Verwaltung. Der Übergang vom Feudalismus zum Kapitalismus hat, wie schon Marx hervorhob, den Staatsapparat nicht zerstört, sondern ihn nur modifiziert und der neuen herrschenden Klasse dienstbar gemacht. Die Form des Staates wechselt mit den Umständen und unter dem Einfluss der kämpfenden Klassen. So kann der bürgerliche Staat eine parlamentarische Demokratie sein, eine konstitutionelle Monarchie, eine Militärdiktatur, ein faschistisches Regime oder eine Kombination davon. Das Gros des staatlichen Apparats bleibt jedoch wesentlich gleich und dessen Zweck ebenfalls: er dient der Bourgeoisie. Trotzdem kann es der Arbeiterklasse und den Massen nicht egal sein, welches Regime, welche Art Staat „über ihnen“ steht. Sie müssen darum kämpfen, dass der Staat die für sie am wenigsten unterdrückerische Form annimmt, dass ihre sozialen und politischen Rechte möglichst groß sind und sie selbst Strukturen von demokratischer und Arbeiterkontrolle und Selbstverwaltung aufbauen können und dafür sorgen, dass ihre eigenen Organisationen (Gewerkschaften, Sozialverbände, Genossenschaften usw.) von Staat und Kapital möglichst unabhängig sind.

    Viele Länder sind heute parlamentarische Demokratien. Die bürgerliche Ideologie behauptet, dass das Volk so die Geschicke der Gesellschaft bestimmen würde. Doch das ist eine Lüge: 1., weil „das Volk“ sich in verschiedene Klassen teilt. 2. befinden sich die meisten Medien, das Bildungswesen und die Wissenschaft in der Hand von Kapitalisten oder des Staates und beeinflussen die „öffentliche Meinung“ in ihrem Sinn. 3. ist der Rahmen jeder Demokratie durch die Verfassung festgelegt, die z.B. das Privateigentum an den Produktionsmitteln garantiert. 4. finden Wahlen nur in längeren Abständen statt – permanente Kontrolle, Wählbarkeit und Einfluss auf die Exekutive durch „das Volk“ gibt es nur sehr beschränkt. 5. stehen die entscheidenden Strukturen der Gesellschaft überhaupt nicht zur Wahl: der Staatsapparat und die Verfügung über die Produktionsmittel. 6. liegt die wirkliche Macht nicht bei der Legislative, sondern in der Exekutive, dem Staatsapparat, und in den Händen der Bourgeoisie, die über den Reichtum der Gesellschaft gebietet und daraus ihren bestimmenden Einfluss auf sie gründet. Deshalb kann in der Demokratie letztlich nur darüber entschieden werden, wer den Kapitalismus verwaltet, doch selbst über das WIE sind sich die Parteien in den wesentlichen Fragen meist einig. Letztlich ist die Demokratie ein Betrug an den Massen, weil sie die wirklichen Machtverhältnisse verschleiert und die ökonomischen Grundstrukturen nicht antastet.

    Die moderne Demokratie wurde erst durch die Arbeiterbewegung und fortschrittliche Kräfte (darunter früher auch das revolutionäre Bürgertum) im Kampf gegen feudale Selbstherrschaft und reaktionäre Kräfte errungen und ausgebaut. Kämpfe für ein demokratisches Wahlrecht (für Jüngere, Frauen und Minderheiten) und gegen Einschränkungen desselben waren stets ein wichtiger Teil des Klassenkampfes. Trotzdem ist die Demokratie auch heute noch überall eingeschränkt und mit „undemokratischen“ Elementen durchsetzt. Dazu zählen etwa Beschränkungen des Wahlrechts nach Alter und Herkunft oder durch die Existenz verschiedener Institutionen (Königshäuser, Präsidialsysteme, Verfassungsgerichte) und Gesetze (Notstands- und Ausnahmegesetze), die der Bourgeoisie ermöglichen, ihre Herrschaft zu sichern, wenn diese bedroht ist.

    Trotz aller Mängel der bürgerlichen Demokratie muss die Arbeiterbewegung ihre Möglichkeiten darin nutzen, sie ausbauen und gegen reaktionäre Angriffe verteidigen. Sie darf jedoch nicht der Illusion aufsitzen, dass mittels der Demokratie eine grundsätzliche Änderung des Kapitalismus oder gar dessen Überwindung möglich wäre. Dazu ist eine Revolution nötig, die das Kapital enteignet, den bürgerlichen Staat zerschlägt, „aufhebt“ und durch Räte- und Selbstverwaltungsorgane ersetzt. Die Ausnutzung der Demokratie durch die Arbeiterbewegung muss sich an folgenden Zielen orientieren:

    • Entlarvung des betrügerischen Charakters der Demokratie;
    • Verteidigung und Ausbau demokratischer Errungenschaften;
    • Nutzung von Wahlen und Parlamenten als Tribünen für Sozialismus und Klassenkampf;
    • Etablierung von Arbeiterkontrolle und selbstverwalteten und genossenschaftlichen Strukturen.

    Die Massen haben schon immer auch einen Kampf gegen den Staat und für Selbstverwaltung und Genossenschaftsstrukturen geführt. Das schlug sich auch in der sozialistischen und Arbeiterbewegung nieder. Einige Frühsozialisten betrachteten den Staat als unverzichtbaren „Ordnungsfaktor“, der aber demokratischer sein und „wohltätigen“ Zwecken dienen sollte. Diesen Illusionen setzte Marx seine Konzeption von der Zerschlagung des bürgerlichen Staates und dessen Aufhebung in Gestalt einer Rätedemokratie entgegen.

    Staat und Ökonomie

    Zu Marx´ Zeit, im „Manchester-Kapitalismus“, war der Einfluss des Staates auf die Wirtschaft viel geringer als heute. Nicht nur der Druck der Arbeiterbewegung, sondern auch die komplizierteren Strukturen von Wirtschaft und Gesellschaft führten später zu einem stärkeren, „regulativen“ Eingreifen des Staates. Die seit dem 20. Jahrhundert wachsenden Konflikt- und Schadenspotentiale der kapitalistischen Produktionsweise, z.B. in sozialer, ökologischer oder friedenspolitischer Hinsicht (Faschismus, Weltkriege), ihre allgemeine reaktionäre Tendenz zwangen immer mehr dazu, den Staat auszubauen: zum Austragen von äußeren Konflikten wie zum „Managen“ der inneren Widersprüche.

    Die Einflussnahme des Staates auf die Wirtschaft erfolgt in der Form des Etatismus, nicht oder nur sehr beschränkt in der Form des Staatskapitalismus. Auch die „verstaatlichte“ Kriegswirtschaft des deutschen Kaiserreiches im 1. Weltkrieg war kein Staatskapitalismus, als den ihn Lenin verstand, sondern eine Form von Etatismus auf Basis des Privateigentums.

    Die ökonomische Rolle des Staates ist heute vielfältig: er ist ein wichtiger Investor (öffentliche Projekte, Staatsaufträge, Subventionen), er reguliert das wirtschaftliche Geschehen (Gesetze, Normen, Grenzwerte usw.) und den Arbeitsmarkt (Tarifsystem, Mindestlohn, Arbeits- und Sozialämter, Bildung usw.) und ist Interessenvertreter des nationalen Kapitals bzw. des Kapitals des imperialistischen Blocks. In Deutschland etwa ist die Energiewende (EW) ein Beispiel für etatistische Politik. Seit über 20 Jahren wird unter der ideologischen Prämisse der drohenden Klimakatastrophe v.a. das Energiesystem (Stromerzeugung) auf „Erneuerbare Energien“ (EE) umgestellt – ein riesiges Investprogramm im Umfang von 20-30 Mrd. Euro pro Jahr. Die staatliche EEG-Regelung stellt einen massiven Eingriff in die Wirtschaft und in die Marktbeziehungen dar. Doch auch schon davor war der Stromsektor – der wichtigste Sektor für Wirtschaft und Gesellschaft – stark staatlich reglementiert (Versorgungsauftrag, Konkurrenzverbot im Inland, Preisdeckelung usw.). Ohne diese gesamt-staatlichen Regelungen kann ein Stromsystem weder technisch noch im Sinne des Gesamtkapitals funktionieren.

    Mit der zunehmenden Technisierung und dem Sieg des auf der Großindustrie beruhenden Kapitalismus im 20. Jahrhundert entstanden immer mehr systemische technische Strukturen, die eine Vereinheitlichung und Vernetzung verlangten, die v.a. über den Staat hergestellt wurde. Dazu zählen etwa das Verkehrssystem, das Informationswesen oder das Energiesystem.

    Es ist falsch, von einem staatsmonopolistischen Kapitalismus (Stamokap) zu sprechen, da es keine Einheit oder Interessengleichheit zwischen Staat und Kapital bzw. Großkapital gibt. Sicher dient der bürgerliche Staat in letzter Instanz den Herrschafts- und Verwertungsinteressen der gesamten Bourgeoisie, doch die Interessenkonflikte zwischen verschiedenen Kapitalfraktionen, zwischen den Klassen und die relative Eigendynamik des Überbaus verhindern die Entstehung eines festen, „harmonischen“ strukturellen Gefüges zwischen Staat und Kapital – was nicht ausschließt, dass jederzeit, aber wechselnd bestimmte Kapitalfraktionen bzw. Klassenkräfte einen bestimmenden Einfluss ausüben. Im 21. Jahrhundert hat sich besonders der Einfluss des Finanzsektors und der IT-Konzerne ausgeweitet. V.a. diese Kapitalfraktionen befördern eine Strategie der „Großen Transformation“, die das weitere Funktionieren des Kapitalismus durch die Verstärkung des staatlichen bzw. quasi-staatlichen Handelns im Sinne eines stärkeren autoritären Durchregierens sichern soll. Sie geht mit massiven ideologischen Kampagnen, z.B. von der Klimakatastrophe, einher und ist mit einer Zunahme irrationaler Elemente in Politik, Kultur und Wissenschaft verbunden, die das Staatshandeln beeinflussen.

    Wie Lenin bereits 1916 in „Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus“ darlegte, ist dieser u.a. dadurch gekennzeichnet, dass er a) „Monopol-Kapitalismus“ ist, also von Großkonzernen geprägt wird; b) eine Verschmelzung bzw. eine enge strukturelle Beziehung von Industrie- und Bankkapital aufweist: das Finanzkapital; c) zur Neuaufteilung des Weltmarktes drängt. Ergänzend dazu – und tw. im Widerspruch zu Lenin, der v.a. die Niedergangstendenz betonte – ist für den Imperialismus eine deutlich dynamischere Entwicklung von Wissenschaft und Technik sowie eine Ausweitung des Staatsapparates und dessen engere Verbindung mit der Wirtschaft u.a. Bereichen der Gesellschaft feststellbar.

    Ein weiteres Merkmal des Imperialismus ist die Bedeutungszunahme internationaler „Staats“strukturen (EU, UNO, Nato u.a.). Diese sind einerseits Ausdruck der schwindenden Möglichkeit der Dominanz einer Führungsmacht, wie früher etwa Großbritannien oder die USA. Zum anderen sind sie erforderlich, um dem zunehmend globalen Charakter von Konflikten und Entwicklungen zu gerecht zu werden.

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