Von Hanns Graaf – 13. Februar 2025.
Viele Linke und Antikapitalisten stellen sich momentan die Frage, ob sie die Partei Die Linke wählen sollten. Wir wollen hier darlegen, warum es falsch wäre, die LINKE zu wählen.
Die Arbeiterbewegung hat sich schon im 19. Jahrhundert darum Gedanken gemacht, wen man wählen sollte. Sobald es eine starke und damit auch wählbare Arbeiterpartei gab, stellte sich die Frage kaum: man wählte die SPD. Gibt es eine solche Arbeiterpartei aber nicht oder existieren mehrere, entsteht ein Problem. Mit dieser u.a. Fragen der Wahltaktik hat sich u.a. die Kommunistische Internationale (Komintern) in ihrer gesunden Phase vor ihrer Stalinisierung, die Mitte der 1920er begann, befasst.
Die Taktik der kritischen Wahlunterstützung
Für die Komintern wie für Revolutionäre heute war bzw. ist klar, dass eine „normale“ bürgerliche Partei generell nicht wählbar ist, sondern nur Parteien, die organisch mit dem Proletariat oder zumindest mit kämpferischen Sektoren verbunden sind. Auch dann geht es aber bei nichtrevolutionären, bürgerlichen Arbeiterparteien (politisch bürgerlich, aber sozial mit der Arbeiterklasse verbunden) wie der SPD oder (früher) der LINKEN nur um eine kritische Wahlunterstützung. Diese bedeutet einerseits, die reformistische oder zentristische Politik zu kritisieren, aber andererseits die Zusammenfassung von Kräften in der Aktion voran zu bringen und die proletarische Basis für eine revolutionäre Politik und Organisierung zu gewinnen. Dazu sollten z.B. konkrete Forderungen für Mobilisierungen an die zu wählende Partei gestellt und diese in der Praxis „getestet“ werden – um den Anhängern des Reformismus klar zu machen, dass die Führung ihrer Partei den Klassenkampf nicht oder nur sehr inkonsequent führen will. Die kritische Wahlunterstützung ist also eine besondere Form der Einheitsfrontpolitik, die praktische Kooperation und politische Auseinandersetzung verbindet. Der Effekt dabei, das Bewusstsein und die Organisierung der Lohnabhängigen zu verbessern, kann natürlich nur bei Parteien funktionieren, die über eine Verankerung im Proletariat verfügen. Das war z.B. auch früher bei den damals noch linkeren Grünen nie der Fall.
Die LINKE: eine Arbeiterpartei?
Ein Argument gegen die Wahl der Linkspartei ist, dass diese keine Arbeiterpartei mehr ist. Selbst zu Beginn, als sie noch PDS hieß, gab es eine gewisse Verankerung in der Arbeiterklasse nur in Ostdeutschland. Im Westen hatte sie auch nach der Fusion mit der WASG 2006 kaum Verbindungen zum Proletariat, was auch an ihrem schwachen Abschneiden bei Wahlen im Westen ablesbar ist.
Auch im Osten ist ihre proletarische Basis bei Mitgliedern und Wählern inzwischen weitgehend erodiert. Sie hatte diese Verbindung zur Klasse zudem v.a. über Sozialverbände, z.B. die Volkssolidarität und den Arbeitslosenverband, die aber heute für den Klassenkampf keine Rolle (mehr) spielen – wenn das überhaupt jeamals der Fall war. Weit stärker war die Verankerung der PDS bzw. der Linkspartei im Milieu von (Ex)-Funktionären, Akademikern und in der linken Szene. Es gab und gibt auch Verbindungen zu Teilen des Gewerkschaftsapparats und Basisstrukturen, v.a. von ver.di. Im sozialen Bereich (Krankenhäuser, Kitas) und tw. im kommunalen und im Kulturbereich ist die Linkspartei mit Aktivisten verbunden, oft aber auch nur dadurch, dass sich „radikale Linke“ in die Linkspartei begeben haben. Doch einerseits sind diese Verbindungen letztlich viel zu schwach, um eine Alternative zum immer noch dominierenden Einfluss der SPD auf den DGB-Apparat und die Betriebsräte darzustellen, andererseits ist die Politik der LINKEN selbst komplett reformistisch und allenfalls graduell vom Reformismus der SPD unterschieden. Heute ist die Linkspartei keine Arbeiterpartei mehr, sondern nur noch eine „links“-bürgerliche Partei – genau wie das BSW.
Politisches Scheitern
Die sehr schwache – und schwächer gewordene – Verankerung in der Arbeiterklasse und selbst in deren kämpferischer Vorhut ist Ergebnis der reformistischen Politik der LINKEN. Bei den wenigen Klassenkämpfen, die es gab, spielten die PDS bzw. die LINKE kaum eine aktive Rolle, sie waren allenfalls dabei, gingen aber nie voran. V.a. mangelte es der LINKEN an einer aktiven Politik gegen den vorherrschenden Einfluss des SPD-Reformismus in den Gewerkschaften. Dazu hätte es u.a. einer eigenen Fraktion im DGB bedurft. Auch die Rolle der LINKEN in der Bewegung „Deutsche Wohnen und Co. Enteignen!“ (DWE) zeigt beispielhaft ihren Reformismus. Zuerst sorgte die LINKE als Mitregierungspartei in Berlin dafür, dass massenhaft Wohnungen privatisiert wurden, was die Mietpreisexplosion mitverschuldet hat. Als dann DWE entstand – nicht zufällig nicht von der LINKEN initiiert -, machte sie halbherzig mit und sorgte dabei v.a. dafür, die Bewegung „demokratisch zu zähmen“. Zuletzt war die LINKE dann mit dabei, die Bewegung in einem parlamentarischen Ausschuss zu „entsorgen“.
Von all dem abgesehen, hat die Betonung „woker Themen“ – anstatt sich mit den realen Problemen der Lohnabhängigen zu befassen – dafür gesorgt, dass sich die Lohnabhängigen jenen Parteien zuwandten, die entweder wie die Grünen das „woke Original“ darstellten oder aber wie die AfD sich (wenn auch weitgehend zu unrecht) als „radikale Alternative“ für die „kleinen Leute“ ausgeben.
Die Linkspartei steht bei vielen Themen auf der falschen Seite der Barrikade (Coronahysterie, Energiewende, Klimahysterie, Atomphobie u.a.) verhält sich politisch widersprüchlich und inkonsequent (Ukrainekonflikt) und bleibt weitgehend inaktiv. Wirklich aktiv ist sie nur in der Kommunalpolitik.
Mit dieser zahmen, sich vollständig bürgerlichen Spielregeln anpassenden Politik ist gerade in Zeiten wachsender Polarisierung und wachsenden Unmuts über das System bzw. dessen Auswirkungen kein Blumentopf zu gewinnen – von einem Voranbringen des Klassenkampfes kann schon gar keine Rede sein.
Aufschwung?
Aktuell erlebt die LINKE (ähnlich wie die Grünen) einen Beitrittsboom, der die Mitgliederverluste der letzten Monate nach der Gründung des BSW mehr als wettmacht. Ca. 5.000 Menschen sind der LINKEN beigetreten. Das Gros von ihnen kommt aus dem „woken“ studentisch-akademischen Milieu und aus der linken und Antifa-Szene. Auch das zeigt, dass sich die Politik der LINKEN kaum geändert hat. Es ist kein Zufall, dass gerade jene Milieus, die – bei allen Unterschieden – in der Corona-Krise, zur Klimafrage, in der Frage der „Geschlechterpolitik“, zu Gaza oder zum Ukrainekrieg obskure, tw. reaktionäre Positionen vertreten. Mit diesem personellen Zustrom wird sich die Politik der Linkspartei nicht zum Besseren ändern – im Gegenteil. Die Mobilisierung gegen den AfD-Parteitag in Riesa, die stark von diesem Milieu geprägt war, zeigt das deutlich. Natürlich ist es korrekt, gegen die AfD zu mobilisieren, doch wenn das damit verbunden ist, sich kritiklos in die Regierungs-offizielle „Anti-Rechts-Kampagne“ einzureihen, dann ist das mehr als kritikwürdig. Wo waren all diese Leute bei den – ohnehin wenigen – Protesten gegen die Ampel und deren Kriegs- und Aufrüstungspolitik?! Sie gaben letztlich der Ampel eine Flankendeckung von „links“ – einerseits mit dem abstrusen Vorwand, dass eine „faschistische Diktatur“ durch die AfD zu befürchten sei, andererseits trug man zentrale Projekte der Ampel (Klima- und Energiepolitik, Atomausstieg, Ukraine u.a.) mehr oder weniger mit.
Die Linke steht momentan als einzige größere Partei gegen die von allen anderen forcierte Verschärfung des Asylrechts. Der Haken an ihrer Position ist aber, dass sie die objektiven Probleme, die mit der Massenmigration entstanden sind, weitgehend ignoriert. Und nicht nur das: mit ihrer Forderung nach „Offenen Grenzen“ vertritt sie eine völlig absurde Position, deren Umsetzung nicht nur bedeuten würde, die angehäuften Probleme nicht zu lösen, sondern noch weit mehr Migranten ins Land zu holen und die Probleme noch zu vergrößern. So reaktionär und populistisch die Union, die AfD u.a. Parteien bezüglich der Migration auch agieren – das Gegenteil eines Fehlers ist auch ein Fehler. Dass die massenhafte Migration von Menschen, die dem Islam folgen, schon jetzt vielfältige reaktionäre Folgen für unser Land hat, ist für die LINKE offenbar kein Problem, sondern gilt ihr völlig naiv eher als bunte, multikulturelle „Anreicherung“.
Historische Lehren
Fortschrittliche Politik erkennt man u.a. daran, dass sie sich gegen das Kapital und deren Regierung richtet. In der Zeit der Ampel war das anders. Die Mehrzahl der Proteste richtete sich gegen die AfD. Auch vor 1933 war der Hauptgegner der Arbeiterbewegung die NSDAP. Zu recht, denn die Faschisten stellten eine qualitativ größere Bedrohung für die Demokratie und die Arbeiterbewegung dar als jede andere „normale“ bürgerliche Regierung. Doch das trifft im Fall der AfD nicht zu, weil die AfD eben nicht faschistisch ist. Sie organisiert keine Aufmärsche, sie hat keine SA oder ähnliche Strukturen, sie setzt nicht auf Terror und benutzt auch keine pseudo-antikapitalistischen Floskeln wie einst die NSDAP. Sie bewegt sich im Rahmen der bürgerlichen Demokratie. Das zeigt, dass die AfD trotz aller rechten und tw. völkischen Gedanken keine faschistische Formation ist und auch nicht „einfach so“ zu einer solchen werden will und kann.
Die maßlos übertriebenen Charakterisierungen der AfD als „rechtsradikal“ taugen vielleicht für Schlagzeilen und als populistische Mobilisierungslosungen für politisch gutwillige, aber schlichte Gemüter – ansonsten sind sie meist völlig realitätsfern. Sie richten sich gegen einen künstlich aufgebauten „rechtsradikalen“ Popanz, auf den man genüsslich einschlagen kann. Die Kampagne gegen die AfD dient v.a. dazu, die Ampel-Parteien und die Union in ein besseres Licht zu rücken und als „demokratisch“, „wertorientiert“ usw. darzustellen. Tatsächlich stehen diese Parteien für Krieg, Aufrüstung, Zerstörung des Energiesystems und der Wirtschaft, für Inflation usw. usw.
Sicher: die AfD ist eine reaktionäre Partei, aber die Angriffe auf die Massen, die Kriegsbeteiligung Deutschlands und die Aufrüstung hat nicht sie, sondern die Ampel zu verantworten, weil die AfD nirgends (mit)regiert. Wenn die LINKE diesen Pseudo-Kampf „gegen Rechts“ mitträgt und so die Regierung aus der Schusslinie nimmt, dann ist auch das reaktionär. Schon aus diesem Grund kann die LINKE nicht gewählt werden.
Erneuerung oder Weiter so?
Der letzte Parteitag der LINKEN in Halle hat deutlich gezeigt, dass es keine Bemühungen gibt, die Krise der Partei, geschweige denn die Krise des Reformismus insgesamt zu analysieren und eine wirkliche Kurskorrektur vorzunehmen. Darin ist sich die LINKE auch mit dem BSW einig, das die reformistische Strategie der LINKEN mit wenigen Modifikationen fortsetzt.
Mit der Entstehung der LINKEN durch die Fusion der PDS mit der WASG traten auch viele „radikale Linke“, u.a. SAV, Linksruck bzw. heute Marx21 (und westdeutsche „Altlinke“), in die Partei ein und versuchten, sie nach links zu drängen. Ein Argument für diesen – allerdings auf völlig falsche Weise praktizierten „Entrismus“ – war die Behauptung, dass der Charakter der LINKEN noch offen wäre und sie keine durch und durch reformistische Partei sei. Fast 20 Jahre später dürfte klar sein, was an dieser Einschätzung stimmt: nichts! Die aktuelle Eintrittswelle offenbart daher nur, wie politisch verkommen und lernunfähig bestimmte Teile der „radikalen linken Szene“ sind. Ihnen fällt nach wie vor nichts anderes ein, als den linken Schwanz des Reformismus zu bilden und dabei zu glauben, dass der Schwanz mit dem Hund wackeln könnte. All das ist nichts anderes ein Ausweichen vor der grundlegenden Aufgabe, eine neue antikapitalistische Arbeiterpartei aufzubauen.
Wahlunterstützung?
Eine kritische Wahlunterstützung für die LINKE wäre dann sinnvoll, wenn diese in irgendeiner Weise für Mobilisierungen, für Kämpfe, für eine Kritik am Reformismus stehen würde. Doch das ist nicht der Fall! Die Mobilisierungen gegen die AfD sind v.a. Alibiaktionen. Manche Linke, hier pars pro toto die Gruppe ArbeiterInnenmacht (GAM), argumentieren nun etwa so: „Auch wenn die Partei objektiv ein Hindernis im Aufbau einer revolutionären Kraft ist, so stellt sie zugleich einen Attraktionspunkt für viele Aktivist:innen dar.“ (https://arbeiterinnenmacht.de/2025/02/04/ist-das-tot-oder-hat-das-zweck-kritische-wahlunterstuetzung-und-der-niedergang-der-linkspartei/)
Wer diese „vielen Aktivistinnen“ sein sollen, weiß wohl nur die GAM – wahrscheinlich meint sie damit die von ihr verteidigten Klimakleber, Baumhausbesetzer, „wertorientierte“ Mittelschichtler und eine letztlich unbedeutende Minderheit von linken „Radikalen“, die sich in der und um die LINKE tummeln. In Wahrheit gibt es keine relevante Verankerung der LINKEN in der Arbeiterklasse bzw. in den Gewerkschaften. V.a. aber ist die LINKE dort, wo Minderheiten aktiv sind, keine vorwärtstreibende Kraft, sondern sorgt immer und überall nur dafür, den Rahmen des Reformismus nicht zu verlassen. Insgesamt fehlt ihr die soziale Basis für die Anwendung der Taktik der kritischen Wahlunterstützung – denn diese dient weniger dazu, dass ein paar mehr Linke im Parlament sitzen, sondern dazu, den Klassenkampf voran zu bringen. Das von der LINKEN zu erhoffen, hieße wahrlich, von einem dreibeinigen Pferd den Sieg im Derby zu erwarten.