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Die Politikinszenierungen der Partei Die Linke zwischen konformistischer Auflehnung und rücksichtslosem Hedonismus

    Von Susann Witt-Stahl

    Netzfund: https://www.melodieundrhythmus.com/online-spezial/in-der-spassblase/

    In Regenbogenfahnen gehüllte Teenager stehen Schlange für ein Selfie mit Heidi Reichinnek. Die Spitzenkandidatin der Partei Die Linke für die Bundestagswahl 2025 war innerhalb weniger Monate zu einem Top-»Celebrity Crush« avanciert. Die Fanbase ist begeistert, wenn Reichinnek, wie etwa als Schirmherrin des CSD in Osnabrück, lauthals einstimmt, sobald Cindy Laupers »Girls Just Want to Have Fun« aus einem Lautsprecher ertönt und dabei auf und ab hüpft wie ein kleines Mädchen. Sie will stets als Powerpaket rüberkommen. »Ich weiß gar nicht, wohin mit meiner ganzen Energie«, sagt sie der Taz. Grenzenlos das Entzücken, wenn sie scheinbar »freche Dinge« wie »Fuck the Patriarchy!« ruft und die Zeilen »Du hast nie gelernt, dich zu artikulieren und deine Eltern hatten niemals für dich Zeit. Arschloch!« von der Band Die Ärzte mitsingt. Dass der »Antifa«-Hit voller Häme gegen die gesellschaftlichen Verlierer und damit alles andere als links ist, tut der überbordenden Freude keinen Abbruch – Hauptsache irgendwas »gegen Nazis«. Wer auf »die da oben« zeigt, gehört laut Reichinnek sowieso zu den »Wutbürgern«.

    Das Phänomen Heidi Reichinnek in Pink und Glamour ist pars pro toto des Line-ups einer Partei, die sich zunehmend kulturindustriell promotet. Dass Reichinnek Annalena Baerbock als »unfassbar intelligente Frau« bezeichnet hat, ist peinlich, aber kein Ausrutscher. Die Linke lässt seit 2024 auf Tik Tok und anderen Social-Media-Kanälen Tsunamis von Reels und anderen Videos dort los, wo die bauchlinke Gen Z mit gefühlter Affinität für die Grünen unterwegs ist. Die Message ist immer die gleiche: Die Linke ist die »Gute-Laune-Party-Partei« mit Lust auf die »gute Sache«, die mal der Mietendeckel, mal die Unterstützung der Queer-Community, mal ein bisschen mehr Besteuerung der »Superreichen« und gerechtere Verteilung ist.

    Warenförmige Selbstpräsentation

    Solange die Produktivkräfte der Tech-, Medien- und Unterhaltungsindustrie unter dem Kommando von Alphabet (Google), Meta Platforms, Microsoft und Co stehen, dienen sie der Erlangung maximalen Profits und der Reklame für die herrschenden Zustände sowie der Stabilisierung und dem Ausbau der Machtverhältnisse. Was sich mit Beginn des Zeitalters der technischen Reproduzierbarkeit, der Fotografie, dem Film im Kino, später Fernsehen entwickelte, kann seit der Digitalisierung mit dem Internet und Smartphone vollständig realisiert und 24/7 mobil vermittelt werden: die kulturindustrielle Inszenierung von Politik nach dem von Richard Wagner entfalteten gesamtkunstwerklichen Prinzip mit maximaler Stimulation der Sinne (und Anästhesierung des Verstands). Dabei »rücken die Gesamtheit aller Zeichensysteme, die von menschlichem Handeln ausgehen können, Mimik, Gestik, Proxemik, Paralinguistik, Kulissen und Requisitenkontext, in den Focus« der Vermittlungen, so der Politikwissenschaftler Thomas Meyer, der zur »Kolonisierung der Politik durch das Mediensystem« forscht. Die Bedeutung von Styling, Outfit, Personality nimmt zu. Der Politiker steht unter Zwang zur warenförmigen Selbstpräsentation. Die »Wunderwaffen« sind, laut Meyer, »Event-Politik (Scheinereignisse), Image-Projektion und Scheinhandlung«.

    Inszenierung von Politik hat es immer gegeben. Seit dem Wegfall des sozialistischen Konkurrenten aber sei »professionelle Selbstmediatisierung der Politik nach den Regeln theatraler Inszenierungslogik qualitativ und quantitativ zu einer der Hauptaktivitäten« des Systems und »zu einer Art Ideologieersatz« geworden, meint Meyer. Der Schriftsteller Peter Hacks warnte 1989/90 vor der »Exterminierung der Wirklichkeit der Welt«, ihrer »Ersetzung durch die Medienwelt« und deren »Manipulationsästhetik«. An die Stelle von Begriffen treten Bilder, anstelle von Fakten und Argumenten Emotionen und Affekte. Was Siegfried Kracauer und Walter Benjamin in faschistischen Regimes unter Hitler und Mussolini beobachtet hatten, totalitäre Propaganda und Ästhetisierung der Politik, vollzieht sich heute in Teilen unter dem Primat eines totalitären Kapitalismus auch in liberalen Demokratien (je invalider diese sind, desto rigoroser). Kritische Theoretiker sprechen längst von »ästhetischem Kapitalismus« und einer »Ästhetisierung der Welt«.

    Softpower der Placebo-Opposition

    Die Linken, die ihre welthistorische Mission abgebrochen haben und vom Antiimperialismus nur noch etwas wissen wollen, wenn es darum geht, ihn gegen die Feinde des imperialen Machtblocks in Stellung zu bringen, in den sie selbst längst inkorporiert sind, haben heute in der Abenddämmerung der bürgerlichen Demokratie objektiv vorwiegend eine Funktion: Sie agieren als Placebo-Opposition, die keinen Sand ins Getriebe des kapitalistischen Gesamtzusammenhangs streut, mit reformistischen Inhalten, die gut integrierbar sind. In Deutschland stehen Bündnis 90/Die Grünen dafür Modell als eine Partei, die sich sukzessive von linken Inhalten zurückgezogen und kulturindustrielle Formen angenommen hat, in denen sie meist fremdbestimmte, gegen die (Friedens- und Naturschutz-)Interessen ihrer ursprünglichen Klientel gerichtete Zumutungen wie »woken« Militarismus an den Mann bringt. Die einst auf ihren Wahlplakaten vorgezeichneten »neuen Wege« führten in ein regenbogenüberwölbtes Sonnenblumenfeld, aus dem die Panzerrohre des deutschen Imperialismus ragen.

    Unter dem Vorzeichen des gegenwärtigen militaristischen Staatsumbaus und rapide fortschreitenden Rechtsdrifts der deutschen und anderer westlicher Gesellschaften setzen sozialdemokratische und andere linksliberale Kräfte, die sich von der Anwendung marxistischer Ideologiekritik und Analysewerkzeuge verabschiedet haben, aus Verzweiflung, meist aber aus Opportunismus, vermehrt auf kulturindustrielle »Softpower« zur Fabrikation von wohlwollender medialer Aufmerksamkeit und Attraktivität für die Massen. Das funktioniert mit der Lüge, dass sich mit den standardisierten Formen, Gimmicks und anderen Mitteln der Kulturindustrie ästhetisch den Herrschenden unbequeme »progressive Inhalte« transportieren ließen (was tatsächlich nur die Kunst und Gegenkultur von unten können). Aber in Wahrheit werden diese verformt und zurechtgestutzt, die schlechten Nachrichten, die das Leiden anklagen, herausgefiltert, bis sie in die gleichen bunten Hüllen des Entertainments, der Reklame und Propaganda passen, in die gewöhnlich ungenießbare Ware, vom Popcorn bis zum imperialistischen Krieg, appetitlich verpackt werden. Die Kulturindustrie zielt auf Regression der Wahrnehmung der Wirklichkeit. Ihr Kerngeschäft ist neben Profitmachen, nicht, Möglichkeiten zur Flucht vor der Realität der kapitalistischen Gesellschaft zu schaffen – es ist, die Menschen von der Erkenntnis abzuschneiden, dass diese unerträglich ist.

    »Süßmäuse gegen rechts«

    Entsprechend werden in ihren Inszenierungen Emanzipationsversprechen durch Proxys ausgetauscht. Der postmoderne Girlie-Fun-»Feminismus«, den die Linkspartei von den Grünen übernommen hat und in ihren Tik-Tok-Reels feiert, ist ein Phänomen kulturindustrieller Infantilisierung. Er ist nicht kindlich (das wäre problematisch genug, weil Verbeugung vor dem Patriarchat, das unmündige Frauen bevorzugt), sondern kindisch. In der Inszenierung von Linken-Politikerinnen als aufmüpfige Teens drückt sich ein ähnliches Problem aus wie in der trotzigen Weigerung von Konsumenten standardisierter Popware, sich mit Kunst auseinanderzusetzen: »Ihre Primitivität ist nicht die des Unentwickelten, sondern des zwangshaft Zurückgestauten«, wie Adorno diagnostizierte. Der Girlie-Fun-»Feminismus« ist das regressive Surrogat für den unterdrückten Befreiungskampf der Frau, wie ihn Zetkin und Luxemburg vom proletarischen Klassenstandpunkt aus geführt haben, und genauso hilflos wie der Antifaschismus der Partei.

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