Von Ped – 4. Juli 2023.
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Während sich im März des Jahres Xi und Putin trafen, sucht(e) der im Westen beheimatete Tiefe Staat, einen Keil zwischen beide Länder zu treiben. Diese Spaltungsversuche sind nicht neu und originell sind sie schon gar nicht. Im konkreten Fall kamen die Spalter jedoch ordentlich ins Schwimmen, als sie den privaten russischen Militärdienstleister Wagner in ihr Skript aufnahmen, besser gesagt, erneut aufnahmen. Hat Russlands Informations-Management daran möglicherweise sogar eine Aktie? Wagners „kleine Geschichte“ ist ohne Kenntnis der „großen Geschichte“ nicht zu verstehen.
„Gute“ Propaganda versucht alles für sich auszureizen, und mit allem, was ihr an Informationen zur Verfügung steht, dem Gegner zu schaden. Fehlen die notwendigen Informationen, dann wird sie diese erschaffen. Dabei geht sie nach einem ausgeprägten Schwarz-Weiß-Schema vor. Zwar kann sie dieses Schema auch subtil betreiben, ist aber nicht fähig, „dazwischen“ zu operieren. Die Unfähigkeit zur Differenzierung lässt sie scheitern, wenn sie ein und denselben Aspekt einerseits als Feinbild und andererseits als Verbündeteten zu nutzen versucht.
Das erscheint schlüssig. Man beschreibt zwei Subjekte — und Beziehungen zwischen diesen, welche sich antagonistisch, gern sagt man auch dialektisch, gestalten. Ohne die eigene gute Seite kann es keine andere schlechte Seite geben. Das ist so simpel gedacht, wie es realitätsfremd ist. Spätestens wenn ein drittes Subjekt in die Arena tritt, weicht das Simple dem Komplexen. So gern man auch die Dinge weiter schön einseitig beschreiben möchte. Ab diesem Punkt bricht Schwarz-Weiß-Denken, rational gesehen, in sich zusammen. Für den emotionalen Aspekt des Ganzen lässt sich das leider nicht behaupten.
Die derzeitig den Informationsraum beherrschenden politischen Gestalter im „Wertewesten“ sehen sich nach wie vor als selbstredend guten, alternativlosen Nabel der Welt. Entsprechend betrachten sie Gesellschaften, die sich an diese Sicht nicht halten und eine tatsächlich eigenständige Politik anstreben, als Konkurrenten, wenn nicht gar als Feinde. „Anstreben“ bedeutet: Allein der Versuch, ja die geäußerte Absicht, ist strafbar. Der „Nabel der Welt“ äugt misstrauisch auf seine „Partner“, denen er in Wirklichkeit maximal die Rolle von Vasallen zuspricht.
Diese Denkweise ist zudem kaum in der Lage, zu reflektieren. Vor allem zu reflektieren, was sie selbst (unbewusst) projiziert. Denn ihre Mitglieder unterstellen mit großer Selbstverständlichkeit, dass Vasallen und Feinde ganz so ticken wie sie selbst. Es gar nicht anders sein kann. Aus dieser Sicht heraus berechnen sie auch die zukünftigen Handlungen ihrer Objekte. Objekte deshalb, weil man die Anderen nicht als wirkliche Subjekte, sondern immer nur als benutzbare Objekte, Mittel zum Zweck, versteht.
So weit die Theorie, kommen wir nun zur Praxis.
Wagner, Russland, China und Indien
Im März des Jahres besuchte der chinesische Präsident Xi den russischen Amtskollegen in Moskau. Dieses Treffen wurde westlicherseits von einer orchestrierten, durch deren Geheimdienste gespeiste Kampagne begleitet, die aus drei Strängen bestand. Die strategische Ausrichtung solcher Nachrichten (von Nachrichtendiensten) ist unverändert eine der Spaltung. Das tut man, in dem fortwährend Misstrauen, Angst und Hass geschürt wird. Im Falle des russisch-chinesischen Gipfels wurden im Frühjahr die folgenden Narrative verbreitet:
- Russland ist zum chinesischen Vasallen geschrumpft.
- Indien ist zurück in die Arme des „Großen Bruders“, also denen der USA, zurückgekehrt und damit ein Verbündeter gegen China.
- Russen schlachten in Afrika Chinesen ab.
Keine der verbreiteten Geschichten wird durch die Realität bestätigt. Vielmehr werden Zielszenarien, die Wunschvorstellungen der kreativen Zerstörer, dargestellt. Für die kreativen Zerstörer ist es ein Traumszenario, wenn sie ihre Objekte, ihre Opfer, soweit gebracht haben, dass diese nicht mehr erkennen, wer sie tatsächlich auszunutzen versucht, und sie sich dabei gleichzeitig gegenseitig zerfleischen.
Die beiden ersten der oben genannten Narrative wurden längst tief in den Köpfen der manipulierten Gesellschaften verankert. Daher mussten sie als Mittel zum Zweck nur durch geeignete Trigger wieder aufgefrischt werden. Das dritte Narrativ ist zwar neu, aber auch nicht sonderlich kreativ, denn es basiert auf seit Jahren verbreiteten Lügen. Und es baut auf den beiden anderen auf. Es möchte schockieren und das in den beiden anderen Narrativen vermittelte Bild von drei Nationen, die sich gegenseitig misstrauen und schaden wollen, stärken.
Schocks sind wichtig im Informationskrieg. Eine erst einmal durch Manipulation gefangene Gesellschaft lässt sich durch Schocks immer wieder in einen Kriegsmodus zurückführen. Das ist im Falle des Krieges gegen Russland sehr wichtig, denn „normale“ Propaganda ist auf Dauer auch ermüdend und verliert an Wirkung. Deshalb werden Machtbewusste die latent vorhandenen Narrative regelmäßig durch Schocks erzeugende Episoden aufzufrischen versuchen. Und die Episode, dass Russen angeblich Chinesen abschlachten würden, ist ein solche.
Wie gesagt sieht sich der „Nabel der Welt“ als alternativlos und einzigartig „gut“. Entsprechend ordnet er den Rest der Welt als reale oder potenzielle Konkurrenz ein. Ein solches Denken kennt keine Freunde. Der „Wertewesten“ sieht also nicht nur in Russland und China Konkurrenten. Er sieht sie auch in Indien — und in den afrikanischen Staaten.
Zwischen diese vier Staaten beziehungsweise Staatengruppen versucht man seit einiger Zeit, mit aller Macht neue Keile zu rammen. Daher lässt sich von einer konzertierten Kampagne sprechen, wobei die westlichen Massenmedien die ihnen auf den Leib geschneiderte Rolle von Zuhältern spielen und auch sofort den Zusammenhang der Narrative höchst selbst herstellen:
„Der Anschlag in der Chimbolo-Mine fiel mit einem Treffen zwischen dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping, der eine „harte Bestrafung“ für die Hintermänner des Anschlags forderte, und dem russischen Präsidenten Wladimir Putin in Moskau in dieser Woche zusammen. Ein Streit mit China wegen der Morde in Chimbolo ist etwas, das Putin unbedingt vermeiden möchte.“ (1)
Wir erkennen das bewährte Muster. Ein Gerücht wird kurzerhand zur finalen Wahrheit gekürt und als nicht mehr diskutierbar in den Raum gestellt. Es ist eine konstruierte Geschichte, die sich Versatzsstücken aus tatsächlich stattgefundenen Ereignissen bedient. Umgehend wird mit dieser Orwellschen Wahrheit ein politisches Szenario entwickelt, das man sich nur allzu gern herbeizaubern würde. Aus fehlerhaften „Annahmen“ wird ein Gebäude von Logiken entwickelt. Wie gesagt, hat das Ganze aber gar keine Grundlage!
„Während Russland wegen des Krieges in der Ukraine in einem militärischen und wirtschaftlichen Schlamassel steckt, hat sich China als Russlands größter diplomatischer, finanzieller und technologischer Unterstützer erwiesen. Die Behauptung, dass Wagner in den Angriff verwickelt ist, dürfte die Beziehungen zwischen Russland und China belasten, das Moskau während des gesamten Krieges „nicht-tödliche“ Hilfe geleistet hat und bisher keine Waffen geliefert hat.“ (1i)
Damit ist der Name Wagner gefallen — eingebettet in das westliche Narrativ eines verlängerten Armes des „russischen Despoten in Moskau“.
Wichtig ist, sich zu verinnerlichen, dass in Zeiten massiver Manipulation jede Nachricht darauf zu prüfen ist, wem sie nützt und wem sie schadet — nicht das Ereignis, die Nachricht! Das Ereignis können wir nicht ohne weiteres auf Echtheit überprüfen, aber den Wert der Nachricht sehr wohl. Das Ereignis könnte geschehen sein, aber die Nachricht macht es zu einer Wahrheit, einer emotionalen Wahrheit. Diese emotionale Wahrheit dringt in die Köpfe und sie verschwindet auch nie wieder ganz.
Wagner und die Zentralafrikanische Republik
Natürlich hat es ein Ereignis gegeben, auf dem die Nachricht fußt. Aber die Umstände und Täter dürften völlig andere sein als die vom Nachrichtengeber „gewünschten“. Möglicherweise hat man sogar dafür gesorgt, ein Ereignis geschehen zu lassen, das für die Nachricht benötigt wird. Man ist im Westen geschult, Verbrechen unter falscher Flagge zu begehen. Erinnern wir uns nur an Libyen und Syrien. Neben den Geheimdiensten spielten auch „Aktivisten”, „Rebellen” und „Aufständische” eine große Rolle für die geeignete Informationsbeschaffung.
Da Russland wie auch China hervorragende Beziehungen mit der Zentralafrikanischen Republik pflegen, so sehr westliche Medien diese Tatsache auch in den Dreck zu ziehen versuchen (2), ist das Land inzwischen fast zwangsläufig mit einem Netz von „Aktivisten“ und „unabhängigen Experten“ durchwoben, welche diese Entwicklung zu sabotieren versuchen. Leitmedien, welche am Tropf der Macht hängen, gesellen sich dazu. Sogenannte Nichtregierungsorganisationen (NROs) sind es, welche die dafür notwendigen Netzwerke mit Geld und Einflussnahme erschaffen (3). Der Widerstand von Staaten gegen den gesellschaftlichen Einfluss, den sogenannte NROs zu nehmen versuchen, wird in der westlichen Berichterstattung, moralisch verbrämt, umgekehrt:
„Die Lage hat sich verschlechtert, weil es zwei Länder mehr in der geschlossenen Kategorie gibt, nämlich Aserbaidschan und die Zentralafrikanische Republik.“ (4)
Welcher „Standard“-Konsument hierzulande kann erkennen, dass diese Kritik auf die Souveränität von Staaten abzielt? Doch genau das verbirgt sich hinter einem weiteren scheinheiligen Narrativ: Das von „Bürgerkriegen“ in „Entwicklungsländern“, von Gesellschaften, denen man sich zum „Helfen“ verpflichtet fühlte, denen man „Governance“, also „richtiges Regieren“, erst beibringen müsste.
Die westlichen Gesellschaften leben seit Jahrhunderten auf Kosten Afrikas. Und darum geht es. Darum, dass souveräne afrikanische Staaten dieser Plünderung früher oder später ein Ende bereiten könnten. Genau dieser Hintergrund wird jedoch komplett ausgeblendet — und auch wieder nicht. Denn wir erkennen sehr klar, dass hier Gründe gesucht, richtiger ausgedrückt, solche geschaffen werden, um sich die Legitimation für eine weitere dauerhafte Einmischung in die Politik afrikanischer Staaten zu verschaffen. Im folgenden Zitat wird das noch nicht so deutlich:
„Russische Söldner töten in Zentralafrika: Was steckt dahinter?“ (5)
Für diejenigen, die gelernt haben, zwischen den Zeilen zu lesen, wird es aber an dieser Stelle sonnenklar:
„Russische Söldner der Wagner-Gruppe […] haben in der Zentralafrikanischen Republik schwere Menschenrechtsverletzungen begangen. So lauten die Vorwürfe unabhängiger Experten, die im Auftrag der Vereinten Nationen die Aktivitäten von Söldnern in dem Bürgerkriegsland untersuchen. Sie haben ihren Bericht kürzlich dem UN-Sicherheitsrat vorlegt.“ (5i)
Haben „unabhängige Experten im Auftrag der Vereinten Nationen“ gleichermaßen die Aktivitäten von Söldnern aus NATO-Staaten in Afrika untersucht? Wurde dies außerdem ausführlich in den Massenmedien thematisiert und selbstredend emotionsstark verurteilt?
Erinnern wir uns auch an die Folgen, welche (unter anderem) die „Vorwürfe unabhängiger Experten“ oft nach sich zogen. Die Nachrichten aus Geheimdienstquellen gestalteten in diversen Fällen die Ouvertüre für völkerrechtswidrige Interventionen imperialistischer Staaten in diesen Ländern. Dabei gehörte es immer zum Prozedere, die Rolle von Tätern und Opfern zu verschleiern, vor allem die eigene Täterrolle. Stets wurde der Eindruck erweckt, man handelte aus einer dritten, „eigentlich“ nicht involvierten Position — einer, die von Altruismus getrieben würde. Im Sinne reiner Menschenfreundlichkeit wäre man demnach moralisch in die Pflicht genommen, in gesellschaftliche Strukturen und Prozesse anderer Staaten einzugreifen.
Die Rolle, anderen Gesellschaften nach Gutdünken „helfen“ zu dürfen, wird von der „Wertegemeinschaft“ allerdings auch als exklusiv angesehen. Gerade deshalb ist deren Empörung ob der russischen Intervention in der Ukraine von einer bemerkenswerten Hybris geprägt.
Man muss leider befürchten, dass dieses verlogene „Helfersyndrom“, gern als Responsible to Protect (R2P) tituliert, auch zukünftig zur „Gestaltung“ afrikanischer Staaten angewendet werden möchte, zum Beispiel der Zentralafrikanischen Republik (ZAR), in welcher man ein Ereignis kreierte und die passende Nachricht als vermeintliche Wahrheit erschuf. An dieser Stelle als Gegenentwurf eine Nachricht der anderen Art:
„Der Marsch am Mittwoch (dem 22. März 2023), der am Kreisverkehr Marabena begann und am Friedensdenkmal [E bata siriri na Béafrica] neben der Universität von Bangui endete, brachte die Unterstützung der Bevölkerung für diese beiden Länder zum Ausdruck, die wegen ihrer vielfältigen Unterstützung für die Zentralafrikanische Republik Verbündete sind. Auf den von Demonstranten gehaltenen Bannern war daher zu lesen: »Unterstützung für China in der Zentralafrikanischen Republik. Wir verurteilen die abscheuliche Ermordung der chinesischen Investoren. Rußland ist Wagner. Wir lieben Rußland, wir lieben Wagner«.“ (6)
Die im westlichen Informationsraum verbreiteten „Sorgen“ sind keinesfalls diejenigen Afrikas, werden aber so dargestellt. Die einseitige, ideologisierte Berichterstattung der westlichen Leitmedien kommt überhaupt nicht auf den Gedanken, Abweichungen von ihren „Sorgen“ als Nachricht an die Konsumenten weiter zu reichen. Eine Nachricht, die eine völlig andere Wahrnehmung der dramatischen Ereignisse in der ZAR sichtbar werden lässt. Freilich auch eine Nachricht, die das so schön simple Narrativ von Gut und Böse aufweichen würde.
Man muss halt wissen, dass die Militärs aus NATO-Staaten in einer zunehmenden Zahl afrikanischer Länder nicht mehr erwünscht sind. Unter der Obhut dieser Militärs erblühten dort radikale, extremistische Milizen und destabilisierten ganze Regionen. Dabei spielt man das Spiel der „guten Ritter“ und geizt — allemal überlegen in den Strategien propagandistischer Kriegführung — nicht mit Fingerzeigen auf angebliche Verbrechen von Konkurrenten, die ernsthaft drohen, das betriebene Kontrollmodell zur schrankenlosen Ausbeutung von Ressourcen des jeweiligen Staates zu beenden (7, 8). Wenn sich die Situation US-amerikanischer Konzerne wie auch die der Herrschaftsambitionen Washingtons in einem Opferland verschlechtert hat, dann klingt das bei der ARD-Tagesschau so:
„Die Sicherheitssituation hat sich seit der Machtübernahme der Militärjunta im August 2020 extrem verschlechtert“, folgert das »Africa Center for Strategic Studies« in Washington, einer vom US-Kongress geförderten Forschungseinrichtung.“ (9)
Längst ist verantwortungsvollen Politikern in Afrika ein Licht aufgegangen, welch hässliches Spiel da abläuft, um Afrika auch zukünftig profitabel ausweiden zu können. Dem „Wertewesten“ schwimmen nun auch auf dem afrikanischen Kontinent die Felle davon. Denn sowohl China als auch Indien und Russland pflegen und festigen ihre wirtschaftlichen, politischen und militärischen Beziehungen mit afrikanischen Staaten auf einer ganz anderen, mehr respektvollen und auf beiderseitigen Vorteil ausgerichteten Art und Weise.
„China wie auch Indien haben es sehr gut verstanden, sich als globale Netzwerker aufzustellen. Die afrikanisch-chinesische Kooperation hat sich deutlich vertieft, und damit haben sich auch die Spielräume der afrikanischen Länder erweitert, sich von der allzu großen postkolonialen Abhängigkeit von Europa zu befreien.“ (10)
Kommen wir erneut zurück zu Wagner. Propaganda gefällig? Bitteschön, und es ist ein Wort innerhalb einer kurzen Meldung, das unzweifelhaft die Propaganda aufdeckt. Erkennt es der Leser?
„Es sind immer mehr Söldner der berüchtigten Wagner-Truppe in Mali aktiv.“ (11)
Sie, liebe Leser, erhalten innerhalb der obigen Nachricht die unmissverständliche emotionale Botschaft, dass Sie Wagner als eine Inkarnation des Bösen zu betrachten haben. Sie sollen sich ein Vorurteil zu eigen machen. Womit jede objektive Betrachtung von Nachrichten über Wagner in der Zukunft ausgeschlossen ist. Es ist lediglich ein Wort, ein allerdings äußerst wirkmächtiges Wort, das Sie in diese Befangenheit führen kann: „berüchtigt“.
Private Söldnerarmeen aufzustellen, ist natürlich keine russische Erfindung. Warum Russland diese Erfindung ab den 2010er Jahren, an seine eigenen Interessen angepasst, adaptierte, lässt sich nur dann verstehen, wenn man um einige geschichtliche Hintergründe weiß. Das Gleiche gilt für die offensichtliche chinesisch-russische Kooperation in diesem Bereich.
Wagner und Mali
Unternehmen wir also eine weitere kleine Geschichtsreise. Desinformation besticht durch das Weglassen von Fakten, und zwar genau jener Fakten, die unerlässlich sind, um einen Gesamtkontext herstellen zu können. Im Falle Mali desinformier(t)en staatlich finanzierte Sender wie die Deutsche Welle systematisch, zum Beispiel so:
„Vor zehn Jahren zerfiel der malische Staat. Am 31. März 2012 fiel die Stadt Gao an Tuareg-Separatisten und islamistische Gruppen. Seither steckt Mali in der Krise.“ (12)
Diejenigen, die erst dafür gesorgt haben, dass Gewalt und Extremismus im Norden Afrikas ein weiteres Mal Einzug hielten, versuchten also nachfolgend, die Region zu stabilisieren? Hier wird eindeutig das westliche Medienpublikum gezielt in Verblödung gehalten:
„Mehrere internationale Militärmissionen versuchten in den vergangenen zehn Jahren, von Gao aus den Norden Malis zu stabilisieren und die lokalen Sicherheitskräfte beim Einsatz gegen Terrororganisationen zu unterstützen. […] Die Bundeswehr hat bis zu 1700 Soldaten im Rahmen einer UN-Mission (MINUSMA) und eines EU-Ausbildungseinsatzes (EUTM) in Mali stationiert. Doch diese Bemühungen gelten als gescheitert.“ (12i)
Was eigentlich war der offizielle Vorwand für die „UN-Mission MINUSMA“?
„Die Multidimensionale Integrierte Stabilisierungsmission der Vereinten Nationen in Mali (MINUSMA) wurde durch die Resolution 2100 des Sicherheitsrats vom 25. April 2013 eingerichtet, um die politischen Prozesse in diesem Land zu unterstützen und eine Reihe von sicherheitsrelevanten Aufgaben zu erfüllen. Die Mission wurde beauftragt, die Übergangsbehörden Malis bei der Stabilisierung des Landes und der Umsetzung des Fahrplans für den Übergang zu unterstützen.“ (13)
Wie nobel, mag da der manipulierte Medienkonsument ausrufen. Was er nicht weiß, nicht wissen soll (14) — und wohl auch gar nicht wissen möchte — sind die Gründe, die überhaupt zu einer Destabilisierung Malis geführt haben. So kann er nicht erkennen, dass die „helfenden Dritten“ selbst als die maßgeblichen Verursacher des instabilen Zustands in Mali auszumachen sind.
Die politische Desinformationsplattform Wikipedia verdreht und verzerrt auch im Falle Malis nach Kräften, um Ursachen und Wirkungen zu verschleiern. Um schließlich doch, freilich verklausuliert, die Katze aus dem Sack zu lassen (Achtung: „interner Konflikt in Libyen“ zeigt auf einen weiteren Propagandatrick):
„Laut der US-amerikanischen Analyseplattform Stratfor wurden bereits Jahre vor dem internen Konflikt in Libyen mehrere tausend Tuareg-Kämpfer in die militärischen Strukturen des libyschen Staates eingegliedert und kämpften schlussendlich auch an der Seite der nationalen Streitkräfte gegen die bewaffnete libysche Opposition und die Luftwaffenstreitkräfte verschiedener NATO-Staaten.“ (15)
Aha, die Instabilität Malis heute hat etwas mit der Aggression von NATO-Staaten gegen Libyen im Jahre 2011 zu tun! Jenen NATO-Staaten, die auch für die Bewaffnung einer ausgesuchten, über Jahre vorgehaltenen libyschen Opposition sorgten. Jenen NATO-Staaten, die gezielt die Destabilisierung Malis und des Niger einbezogen, als sie Libyen überfielen. Die Vorgänge des Jahres 2011 in Nordafrika und die Verstrickung diverser NATO-Staaten in die dortigen Geschehnisse wären auch heute noch ein ganz fetter Happen für den sogenannten Internationalen Strafgerichtshof (IStGH).
Es waren vor allem die politischen Rädelsführer in den USA, Großbritannien und Frankreich, welche Tod und Not über Libyen und verschiedene Staaten der Sahel-Zone brachten. Es war eben nicht nur Libyen, sondern auch Staaten wie Mali und der Niger, auf deren Boden man unter fadenscheinigen, altruistischen Gründen erneut seine Stiefel setzen wollte. Es ging und geht um handfeste Geschäftsinteressen internationaler Konzerne, so die der französischen Atomindustrie (16, 17) und des internationalen Finanzkapitals (18). DAS ist der wahre Grund für das „Engagement“ westlicher und vom Westen beauftragter Militärs in den genannten Staaten (13i, 19, 20).
Andere Staaten hatten und haben aber Interessen, die offenbar — wie schon weiter oben für China angedeutet — die Interessen der jeweiligen afrikanischen Staaten viel besser berücksichtigen. Was glaubt der Leser, wie das Kartell des „Wertewestens“ solche Interessen wahrnimmt? Die Antwort sollte nicht überraschen: Es deutet sie als latente Gefährdung der eigenen Interessen. China hat diesbezüglich so seine Erfahrungen, zum Beispiel in Libyen.
Wagner und Libyen
Als eine Allianz von NATO-Staaten Libyen überfiel, arbeiteten im Land 35.000 Techniker und Ingenieure aus China. Gleichzeitig importierte China eine beträchtliche Menge libysches Öl, das durch seine außergewöhnliche Qualität weltweit begehrt ist (21). Als der — Achtung: wertewestliches Narrativ — „Bürgerkrieg“ in Libyen ausbrach, musste China sein Personal aus dem Land abziehen. Es gab niemanden, der diese Menschen schützen konnte.
Sie wissen, dass seit einigen Jahren Wagner-Söldner im östlichen Libyen beauftragt sind, Infrastruktur, zum Beispiel Ölförderanlagen, zu schützen? Dazu wieder eine Portion aus dem Standardbaukasten der Propaganda gefällig?
„Söldner der berüchtigten Wagner-Gruppe etwa unterstützen den einflussreichen libyschen General Chalifa Haftar und sind in der Nähe der ostlibyschen Öleinrichtungen stationiert.“ (22)
Da haben wir es wieder. Das unscheinbare „berüchtigt“, mit dem die weitgehend ahnungslosen Medienkonsumenten in ihrer emotionalen Haltung gegenüber Wagner auf Kurs gehalten werden.
Es ist nicht Russland und es ist auch nicht China oder gar Indien, die für die Zerschlagung einer intakten Gesellschaft in Libyen, nebenbei gesagt auch noch eine mit für Afrika geradezu vorbildlichen Sozialstandards, verantwortlich zu machen sind. Es war eine Allianz des „Wertewestens“, die Libyen — unter fadenscheinigen Gründen, dem Völkerrecht Hohn sprechend — angriff und das Land in eine tiefe Spaltung trieb.
Nicht „Oppositionelle“ oder „Aufständische“, nein, der NATO-Westen hat damals eine legitime, völkerrechtlich anerkannte Regierung in Libyen gestürzt. Damit wurden auch Verträge null und nichtig, zum Beispiel Verträge mit chinesischen und russischen Unternehmen (23). In Folge des völkerrechtswidrigen, brutalen Angriffskrieges mussten hohe Investitionen in Infrastruktur sowie Öl- und Gaswirtschaft abgeschrieben werden (24).
Ein Jahr nach den dramatischen Ereignissen in Libyen (und auch Syrien) äußerte Russlands Präsident Wladimir Putin, dass PMCs (Private Military Companies), im Deutschen als Private Militär- und Sicherheitsunternehmen benannt, „tatsächlich ein Instrument zur Verwirklichung nationaler Interessen ohne die direkte Beteiligung des Staates“ seien könnten und ihr Einsatz in Betracht gezogen werden sollte (25). Damit war in Russland eine Entscheidung gefallen, welche in die Sicherung russischer Interessen auch militärische Mittel einbezog, jedoch ohne direkte Beteiligung der russischen Streitkräfte.
Die Ereignisse in Libyen und auch Syrien sowie die nachfolgenden, durch den „Wertewesten“ orchestrierten Geschehnisse in Mali, dem Niger, dem Tschad oder auch der ZAR haben die Grundlagen für eine Neuorientierung, verbunden mit einem tiefen Misstrauen gegenüber den westlichen „Helfern“, geschaffen. Das von der Friedrich-Ebert-Stiftung (SPD) herausgegebene Analyse-Portal IPG stellte erstaunt fest:
„Die ZAR schien dabei die Blaupause für eine Neuorientierung afrikanischer Staaten auf der Weltbühne zu geben, welche sich nun in Mali reproduziert. Zentralafrika ist jedoch nicht bloß Objekt internationalen Kräftemessens, sondern hat eine rational handelnde Regierung und Bevölkerung. Welche Motive verfolgte die Regierung der ZAR dabei, einen Pakt mit der berüchtigten [sic!] Wagner-Gruppe einzugehen? Warum hieß die Bevölkerung die russischen Söldner willkommen? Wurde hier der Grundstein für eine dauerhafte Partnerschaft gelegt?“ (2i)
Die Antwort auf diese Fragen liegt auf der Hand. Wagner handelt im Interesse von Investoren, welche wiederum auf der Basis zwischenstaatlicher Beziehungen zwischen der ZAR, Russland und China handeln. Sowohl die Tätigkeit der Investoren als auch die des Sicherheitsunternehmens und der bei diesem beschäftigten Söldner ist also — und das ist wichtig, zu betonen — legitimiert.
Wenn zwei das Gleiche tun, ist das nicht dasselbe. Die Arbeit des US-amerikanischen PMC Blackwater — später Academi, danach von Constellis übernommen — war im Irak in keiner Weise legitimiert (26). Auch nicht die anderer ähnlich gearteter Dienstleister. Die USA waren und sind mit ihrem Personal illegal im Irak (27). Der Krieg gegen den Irak hatte genauso wenig ein völkerrechtliches Mandat wie der gegen Libyen oder gegen Syrien. Für Afghanistan gilt übrigens das Gleiche. Über die Hälfte der Besatzungstruppen im Irak waren privat beauftragte Militärdienstleister.
Russische PMCs sind, wenn man so will, „Nachzügler“ (28). Die größte PMC der Welt kommt aus Großbritannien, heißt G4S und beschäftigt über 600.000 Menschen in über 100 Ländern und macht ebenfalls Geschäfte in Dimensionen von mehreren hundert Millionen US-Dollar im annektierten Irak (29). Solche Moloche wie G4S und Constellis sind eng mit Regierungsinstitutionen, Vermögensverwaltern und Banken (30) sowie sogenannten Nichtregierungsorganisationen verbunden und erhalten über diese Beziehungen lukrative, öffentliche Aufträge — selbstverständlich auch in Kriegsgebieten. Blackwater (Academi) wurde über diese staatlichen Aufträge überhaupt erst groß.
Nichts muss hier reingewaschen werden, auch nicht das Unternehmen Wagner. Doch der Bohei um Wagners Aktivitäten im Nahen Osten und Afrika ist völlig überzogen. Dafür ist die Legitimität für den Einsatz der Wagner-Söldner aus den weiter oben beschriebenen Gründen ungleich größer als die der Konkurrenten, vor allem aus den USA und Großbritannien.
Wagner in Russland und der Ukraine
Nun sind die Medien — sowohl die in Russland als auch die westlichen — voll von Berichten über den „Wagner-Aufstand“ (31). Was hat es damit auf sich?
Was zur Gründung solcher Unternehmen in Russland, wie Wagner eines ist, geführt hat, sollte weiter oben ausreichend genug erläutert worden sein. Russische Interessen, einschließlich die seiner Unternehmen, erhielten mit PMCs eine militärische Komponente, was seinen Grund vor allem in den Geschehnissen in Libyen und Syrien zu tun haben dürfte. Dabei verbanden sich die Interessen mit den Gastgeberstaaten ebenso wie mit denen Chinas und Indiens. Der Einsatz der „Wagnerianer“ im Ukraine-Konflikt lässt sich damit freilich nicht erklären.
Der Autor ist der Ansicht, dass die Entscheidung, Wagner in die SMO (Spezielle Militärische Operation; a2) einzubinden, nicht zum ursprünglichen Konzept zur Umsetzung der Operation gehörte, sondern, wie man so schön sagt, aus der Not geboren wurde.
Wagner konnte militärische Aufgaben lösen, für welche die russischen Streitkräfte nicht vorbereitet worden waren. Der Krieg entwickelte sich in eine vorher nicht ausreichend in Betracht gezogene Richtung. Aber die Wagner PMC hatte in den vergangenen zehn Jahren reichlich Erfahrungen in asymmetrischer Kriegführung in Konfliktgebieten im Nahen Osten und Afrika sammeln können. Das gilt im Besonderen für Kampfhandlungen in bewohnten Gebieten.
Die Opferbereitschaft innerhalb der Truppe ist höher als in der russischen Armee. So konnte Wagner letztendlich erfolgreich strategisch wichtige Städte wie Soledar und Artjemowsk (Bachmut) einnehmen. Der Autor sieht das nur bedingt als einen Erfolg an. Schließlich relativierten die hohen Verluste der Wagner-Einheiten — man spricht von bis zu 15.000 Toten — die wesentlich niedrigere Verlustrate der regulären russischen Armee. Außerdem ist es ein zynisches Zahlenspiel, diese Toten mit den ungeheuren Verlusten der ukrainischen Armee (hier in Soledar und Artjemowsk) zu „verrechnen“ und damit als Erfolg zu verbuchen.
Wagner konnte operativ offensichtlich in hohem Maße selbständig Entscheidungen treffen, was eine flexiblere Kampfweise als innerhalb der eher starren russischen Befehlshierarchie ermöglichte. Das wurde über mehrere Monate vom russischen Generalstab erlaubt und gefördert. Es war in einen Vertrag gegossen, der Ende April des Jahres endete und dann noch einmal um drei Wochen verlängert wurde (32). Die Selbständigkeit in den Operationen von Wagner schloss allerdings die militärischen Erfolge um den Preis hoher personeller Verluste ein.
Die Dinge sind nicht so einfach. Der Zynismus des Krieges, in dem man menschliche Verluste aufrechnet, erlaubte auf der anderen Seite den russischen Streitkräften, sich sorgfältig auf die zu erwartende Offensive der durch die NATO neu organisierten NATO-ukrainischen Armee vorzubereiten. Der Kampf um Artjemowsk verschlang bedeutende ukrainische Offensivkapazitäten, welche nicht ersetzt werden konnten. So betrachtet, kann man die Entscheidung der russischen Führung, Wagner das Management zur systematischen Vernichtung ukrainischer, militärischer Ressourcen zu überlassen, als einen geschickten strategischen Schachzug bezeichnen.
Wagner betrieb also den Kampf gegen die NATO-ukrainische Armee mit außergewöhnlichen Freiheitsgraden. Das gilt für die operative Kriegführung, den Zugang zu notwendigem Kriegsmaterial (qualitativ wie quantitativ), die Rekrutierung der Kämpfer wie auch für den Umgang mit diesen Kämpfern. Dabei ist Wagner ein privates Unternehmen, wurde aber in der Ostukraine vollständig mit Mitteln aus dem Staat versorgt: finanziell, technisch und logistisch (33).
Kontrollierter Ausstieg?
Wie schon erwähnt, sieht der Autor den Einsatz der Wagner PMC innerhalb des Ukraine-Konflikts als Teil einer flexiblen Kriegführung seitens Russland, innerhalb derer rasch ein offensichtlicher Mangel an Kompetenz und Personal für spezielle Einsatzzwecke ausgeglichen werden musste. Dabei dürfte von Beginn an klar gewesen sein, dass dieser Einsatz keine Dauerlösung werden durfte. Daraus folgt, dass auch der Abzug von Wagner einer gewissen Strategie unterworfen werden musste, welche die Ziele der (von Russland so genannten) SMO nicht gefährden durften.
Dass der Einsatz einer PMC mit quasi „Narrenfreiheit“ früher oder später Konflikte mit der russischen Militärführung hervorrufen würde, war also vorhersehbar. Erst recht, weil der Wagner-Chef Prigoschin, der kein Militär und auch nicht den Befehlsstrukturen der russischen Armee unterworfen ist, von seiner medialen „Narrenfreiheit“ großzügig Gebrauch machte. Die Perspektive für die Wagner-Kämpfer war also klar vorgegeben, und zwar bereits zu jenem Zeitpunkt, als sie das erste Mal auf dem ukrainischen Kriegsschauplatz in Erscheinung traten. Sie würden früher oder später in die Organisations- und Befehlsstrukturen der russischen Armee eingebunden oder ihr Mandat zurückgezogen werden.
Der Einsatz der Wagner-Truppe wurde von den russischen Medien als Erfolg dargestellt, und das war er wohl auch. Im Informationsraum kam das Russland zugute und es stärkte auch die Stimmen in Russland, die das Vorgehen ihrer Führung guthießen. Nun gibt es den „Fleischwolf von Bachmut“ nicht mehr. Was hinter dem Wagner-Erfolg ein Fragezeichen stellt. Russland ist grundsätzlich auf einem Kurs, der die eigenen Verluste minimiert und dem Gegner das Schlachtfeld aufzwingt. Tote Wagner-Kämpfer sind genau so tot und ihr Tod genauso tragisch wie der ihrer Kollegen in den russischen Streitkräften. Es stellt sich die Frage, ob die verlustreiche Einnahme von Bachmut tatsächlich so gewollt war. Schließlich wurde mit den großen eigenen Verlusten auch ein strategisch kontrolliertes Schlachtfeld begraben, auf dem sich bislang der Gegner aufgerieben hatte (34).
Unübersehbar zeigte Prigoschin zunehmend vom Ego getriebene Züge. Nicht nur, dass er auf Sonderkonditionen in Bezug auf die Versorgung seiner Truppen bestand, überhöhte er Wagner gegenüber den regulären russischen Streitkräften und griff den russischen Kriegsminister Schoigu sowie den Generalstabschef Gerassimow persönlich und wiederholt an. Andererseits war die Stilisierung der Wagner-Truppe auch in der russischen Gesellschaft weit getrieben worden.
Es bedurfte „triftiger Gründe“, um Wagner wieder aus der SMO herausnehmen zu können. Dem kam Prigoschins immer aggressiveres Auftreten in der Öffentlichkeit entgegen. Russland steht im Krieg. Die russische Armee und ihre Führer öffentlich als Gefahr für das Land zu diskreditieren, ist strafbewehrt. Aber Prigoschin wurden seine Eskapaden gewährt. Er selbst war es, der für ein Umdenken in der öffentlichen Meinung Russlands bezüglich der Rolle von Wagner sorgte.
„Dazu gehörten die ständigen und nachweislich falschen Anschuldigungen, dass er nicht genug Munition für den Kampf in Bachmut bekomme. Außerdem warf Prigoschin der Armeeführung vor, sie sei korrupt, weigere sich, seine Flanken während der Bachmut-Operation zu verteidigen, und verliere im Ukraine-Krieg massiv. Keiner dieser Vorwürfe war zutreffend.“ (35)
Die russische Militärführung hätte sich keinen guten Dienst erwiesen, wenn sie, getriggert von Prigoschins Eskapaden, mehr oder weniger spontan die Wagner-Einheiten aus Bachmut abgezogen hätte. Aber sie und die Regierung blieben nicht untätig und entwickelten ein handfestes Konzept für „die Zeit danach“. Daher steckt in diesem Ausschnitt einer ARD-Tagesschau-Analyse zumindest eine Teilwahrheit:
„Da aber war Prigoschin schon kaum noch zu kontrollieren, und der Konflikt mit der Armeeführung um Verteidigungsminister Sergej Schoigu und Generalstabschef Waleri Gerrasimow um Ausrüstung und Unterstützung eskalierte seit dem Herbst zusehends — bis hin zu angeblichen Angriffen der Armee auf Wagner-Soldaten und schließlich dem Aufstand vom Samstag.“ (36)
Allerdings hat dieser „Aufstand“ mit, meines Wissens, null Toten und Verletzten, samt eines „Marsches nach Moskau“ eine doch recht merkwürdige Note. Oder anders ausgedrückt: Diese in den Informationsraum gedrückten Nachrichten klingen völlig absurd.
Offen ist, ob die zunehmende mediale Präsenz des Wagner-Chefs Jewgeni Prigoschin einer Eigendynamik geschuldet oder Teil einer ausgeklügelten psychologischen Operation (PsyOp) ist. In der Regel liegt die Wahrheit dazwischen. Wurden hier der westlichen Meinungsmaschine Bälle zugeworfen, die von jener dankbar aufgenommen wurden? Den Konflikt zwischen Prigoschin und dem russischen Generalstab medial aufzublasen, könnte der russischen Seite viel mehr genutzt haben als der westlichen.
„Er [Prigoschin] forderte Verhandlungen mit Verteidigungsminister Schoigu und Generalstabschef Gerassimow. Er wirft Schoigu vor, Angriffe auf Lager der Wagner-Truppen angeordnet zu haben.“ (37)
Entweder ist der Wagner-Chef größenwahnsinnig geworden und Putins Regierung nicht mehr bei klarem Verstand, oder aber hier läuft ein ausgeklügeltes Spiel, mit dem man vor allem den Gegner an der Nase herumführt.
„Das wegen bewaffneten Aufstands gegen die Militärführung eingeleitete Strafverfahren gegen Prigoschin wird laut Kreml eingestellt. Prigoschin selbst werde unbehindert nach Belarus gehen, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow am Samstag nach Angaben der russischen Nachrichtenagentur Interfax. Als Garantien für den freien Abzug habe er »das Wort des Präsidenten«.“ (38)
Weißrussland ist durch eine Konföderation eng mit Russland verbunden. Offiziell ist das, was Prigoschin in den letzten Monaten und Wochen unternommen hat, ohne jeden Zweifel als Hochverrat einzuordnen. Nun gibt man diesem Mann ein Asyl in Weißrussland. Der „böse Putin“, der angeblich Verräter im Ausland mit Gift ermorden lässt, gibt einem Prigoschin, der bewaffnete Einheiten nach Moskau marschieren lässt, politisches Asyl. Das ist völlig unglaubwürdig.
Prigoschin und der Westen
Prigoschin war der Chef des Unternehmens Wagner, das seinerseits nur Teil eines Firmengeflechts darstellt, welches von Prigoschin mit kontrolliert wird. Als Unternehmer machte er innerhalb der SMO Geschäfte, sogar sehr gute Geschäfte. Jewgeni Prigoschin ist Unternehmer, kein Militär und kein Politiker. Prigoschin ist ein Oligarch, ein Mensch der durch ziemlich einzigartige Beziehungen extrem reich geworden ist, und nun politische Ambitionen hegt, um seinen Einfluss zu sichern oder gar zu vergrößern. Bis vor kurzem war er sozusagen der Marketing-Mann von Wagner.
Allein von Mai 2022 bis Mai 2023 bekam das Unternehmen Wagner 86 Milliarden Rubel für Barunterstützung und Anreizzahlungen aus staatlichen Töpfen. Dazu kamen Versicherungszahlungen von 110 Milliarden Rubel. Grob umgerechnet entspricht das einer Summe von einer Milliarde Euro. Ungeachtet dessen erhielt der Concord-Konzern, dem Wagner angehört, innerhalb eines Jahres weitere 80 Milliarden Rubel für Lebensmittellieferungen und Logistik für die Armee (33i).
Prigoschin bewarb sein Geschäft. Und war möglicherweise von der großen, meist positiven Wahrnehmung in der russischen Öffentlichkeit ergriffen. Aus Sicht des Autors hob Prigoschin ab. Russlands Führung hat offenbar die dadurch entstehenden Dynamiken für sich ausgenutzt. Deshalb durfte sich Prigoschin austoben. Prigoschins Rebellion kam zu einem Zeitpunkt kurz vor Ablauf eines Ultimatums:
„Die mögliche Eingliederung der Wagner-Einheiten in die reguläre Armee hatte schon vor dem Aufstand für Streit gesorgt. Prigoschin weigerte sich öffentlich, entsprechende Verträge bis zum 1. Juli zu unterzeichnen. Er begründete dies mit Unfähigkeit der Armeeführung, die Truppen organisiert zu kommandieren.“ (Hervorhebung durch Autor; 39)
Berauscht von seinen durch die Öffentlichkeit bestätigten Fähigkeiten, versuchte Prigoschin seine Freiheitsgrade, gleichzeitig Geschäfte innerhalb der russischen Militärstrukturen, zu bewahren. Die politische Führung Russlands steht seit längerem vor der Aufgabe, einerseits ganz allgemein die auch in Russland aus Sicherheitsunternehmen entstandenen „Privatarmeen“ (PMCs) mit ihren militärischen Potenzialen wieder unter die vollständige Kontrolle des Staates zu bringen. Diese PMCs werden von Oligarchen kontrolliert. Russische Oligarchen haben wiederum eine Affinität zu ihren Partnern in der westlichen „Wertegemeinschaft“.
Andererseits muss der mediale Einfluss von Leuten wie Prigoschin zurückgedrängt werden. Prigoschin, dem jetzt im Westen Sympathien entgegengebracht werden, weil er als Opponent Putins gespiegelt wird, hat eine ganz andere Art von Kriegführung in der Ukraine beworben als jene, die bis heute von Russland betrieben wird (40). Ihm fehlen die strategischen Fähigkeiten, die Wirkungen einer unkontrollierten Eskalation des Krieges mit der NATO-Ukraine in seinen Vorstellungen einzubeziehen.
Prigoschin ist auch nicht bereit anzuerkennen, dass Wagner ohne die Unterstützung des russischen Militärs, der Rüstungswirtschaft und vor allem der politischen und juristischen Unterstützung durch die Regierung niemals überleben könnte. Das gilt für Wagners Tätigkeitsfeld in Afrika und dem Nahen Osten genauso wie für das an Russlands Grenzen. Aber er ist ein Medienmann, und der Coup, der zum Aufstand aufgebauscht wurde, ist einer für die Medien. Eine militärische Operation dieser Dimension ohne Tote und Verwundete wäre ein absolutes Novum — Originalton Prigoschin:
„Sie wollten die Wagner PMC auflösen. Wir sind innerhalb eines Tages 200 Kilometer nach Moskau gelaufen. In dieser Zeit haben wir nicht einen einzigen Tropfen Blut unserer Kämpfer vergossen. Jetzt kommt der Moment, an dem Blut vergossen werden könnte. Da wir uns der Verantwortung bewusst sind, dass auf beiden Seiten russisches Blut fließen wird, drehen wir unsere Kolonnen um und ziehen uns wie geplant in die Feldlager zurück.“ (Hervorhebungen durch Autor; 41)
Sekundärquellen sagen etwas anderes. Danach sind 37 Piloten und Besatzungen russischer Hubschrauber sowie eines Transportflugzeuges von Wagner-Kämpfern durch Abschüsse getötet wurden (35ii, 42).
Damit ist das Wesentliche gesagt. Die russische Regierung hat mit Prigoschins Steilvorlage die Hände frei bekommen, das Problem mit den PMCs im Lande anzugehen und es im Informationsraum glaubwürdig begründen zu können (33ii). Ob Prigoschin ein begnadeter Schauspieler ist oder einfach — und das dürfte wahrscheinlicher sein — nur sein Ego ausgenutzt wurde, ist dabei zweitrangig.
Prigoschin ist nicht Wagner. Während ersterer möglicherweise, auch medial, bald in der Versenkung verschwinden wird, können wir davon ausgehen, dass die Wagner PMC auch weiterhin eine wichtige Rolle bei der Sicherung russischer Interessen im Ausland spielen wird.
Bitte bleiben Sie schön aufmerksam, liebe Leser.
Quellen & Anmerkungen
(a1) Übersetzungen unter Zuhilfenahme von DeepL.com.
(a2) In der Ukraine herrscht Krieg, daran gibt es auch für den Autor keinen Zweifel. Trotzdem hält er es für angemessen, bei Betrachtungen aus Sicht Russlands den Terminus einer Speziellen Militärischen Operation (SMO) zu verwenden.
(1) 23.03.2023; Daily Beast; Philip Obaji Jr.; Witnesses Unravel the Chinese Mass Murder Mystery That Could Ruin Putin; https://www.thedailybeast.com/witnesses-accuse-russias-wagner-group-of-killing-9-chinese-miners-in-central-african-republic
(2, 2i) 18.05.2022; IPG; Tim Glawion; Wacklige Partnerschaft; https://www.ipg-journal.de/regionen/afrika/artikel/wacklige-partnerschaft-5944/
(3) Open Society Foundations; Africa; https://www.opensocietyfoundations.org/what-we-do/regions/africa; abgerufen: 29.06.2023
(4) 06.02.2019; Deutsche Welle; Astrid Prange de Oliveira; Skepsis gegenüber NGOs wächst; https://www.dw.com/de/atlas-der-zivilgesellschaft-2019-skepsis-gegen%C3%BCber-ngos-w%C3%A4chst/a-47374340
(5, 5i) 07.07.2021; Deutsche Welle; Martina Schwikowski; Zentralafrika: Russische Söldner töten; https://www.dw.com/de/russische-s%C3%B6ldner-t%C3%B6ten-in-zentralafrika-was-steckt-dahinter/a-58194134
(6) 24.08.2020; IPG; Interview mit Robert Kappel; „Afrika hat Probleme, Europa die Lösung? Völlig realitätsfremd“; https://www.ipg-journal.de/interviews/artikel/afrika-hat-probleme-europa-die-loesung-voellig-realitaetsfremd-4581/
(7) 11.05.2022; CSIS; Catrina Doxsee, Jared Thompson; Massacres, Executions, and Falsified Graves: The Wagner Group’s Mounting Humanitarian Cost in Mali; https://www.csis.org/analysis/massacres-executions-and-falsified-graves-wagner-groups-mounting-humanitarian-cost-mali
(8) 25.06.2023; Deutsche Welle; David Ehl; Wagner-Gruppe in Südafrika: Viel mehr als nur Söldner; https://www.dw.com/de/wagner-gruppe-in-afrika-viel-mehr-als-nur-s%C3%B6ldner/a-64810830
(9) 03.09.2022; ARD-Tagesschau; Norbert Hahn; Wagner-Söldner verbreiten „Klima der Angst“; https://www.tagesschau.de/ausland/afrika/mali-wagner-101.html
(10) 22.03.2023; Par Erick NGABA; Par Ndjoni Sango;
RCA: une marche de soutien à la Chine et à la Russie à Bangui; https://ndjonisango.com/2023/03/22/rca-une-marche-de-soutien-a-la-chine-et-a-la-russie-a-bangui/
(11) 17.06.2023; Radio-Meldung der Funke Mediengruppe, Radio R.S.A.
(12, 12i) 10.03.2022; Deutsche Welle; Antonio Cascais; Mali: Zehn Jahre blutige Krise; https://www.dw.com/de/mali-zehn-jahre-blutige-krise/a-61291041
(13, 13i) MINUSMA; About; https://minusma.unmissions.org/en/about-minusma; abgerufen: 29.06.2023
(14) 05.11.2020; Bundeszentrale für politische Bildung; Christian Klatt; Mali; https://www.bpb.de/themen/kriege-konflikte/dossier-kriege-konflikte/175842/mali/
(15) deutsche Wikipedia; https://de.wikipedia.org/wiki/Konflikt_in_Mali_(seit_2012); abgerufen: 29.06.2023
(16) 14.01.2013; Wirtschaftswoche; Frank Doll; Der Rohstoffkrieg in Mali; https://www.wiwo.de/politik/europa/frankreich-der-rohstoffkrieg-in-mali/7629346.html
(17) 09.07.2007; taz; Dominic Johnson; Schmutziger Krieg um das Sahara-Uran; https://taz.de/Niger/!5198271/
(18) 03.05.2019; millenium state; Gold Dinar: the Real Reason Behind Gaddafi’s Murder; https://millenium-state.com/blog/2019/05/03/the-dinar-gold-the-real-reason-for-gaddafis-murder/
(19) 10.01.2023; Council of the European Union; EUCAP Sahel Mali: mandate extended until 31 January 2025; https://www.consilium.europa.eu/en/press/press-releases/2023/01/10/eucap-sahel-mali-mandate-extended-until-31-january-2025/
(20) Bundeswehr; Mali – MINUSMA; https://www.bundeswehr.de/de/einsaetze-bundeswehr/mali-einsaetze/minusma-bundeswehr-un-einsatz-mali; abgerufen: 29.06.2023
(21) 31.08.2011; ARD-Tagesschau; Ruth Kirchner; Welche Interessen hat die Welt in Libyen?, China befürchtet wirtschaftliche Nachteile; https://www.tagesschau.de/ausland/libyenhintergrund-ts-100.html
(22) 11.08.2022; Deutsche Welle; Cathrin Schaer; Libysches Öl als Preisbremse am Weltmarkt?; https://www.dw.com/de/libysches-%C3%B6l-als-preisbremse-am-weltmarkt/a-62768710
(23) Gazprom International; Libya; https://www.gazprom-international.com/operations/libya/; abgerufen: 30.06.2023
(24) 31.08.2011; Deutsche Welle; Evlalia Samedova, Olga Sosnytska; Russland kann Milliarden in Libyen verlieren; https://www.dw.com/de/russland-kann-milliarden-in-libyen-verlieren/a-6607515
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(30) 2020; G4S; Annual Report 2020; G4S plc, Annual Report and Accounts for the year ended 31 December 2020; S. 57;
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(41) 24.06.2023; Russland.News; Zur Situation mit Evgeni Prigoschin und dem Wagner PMC; http://www.russland.news/zur-situation-mit-evgeni-prigoschin-und-dem-wagner-pmc/
(42) 25.06.2023; Tsargrad; ЖЕРТВЫ БОЁВ С „ВАГНЕРОМ“: КТО ПОГИБ В РЕЗУЛЬТАТЕ ПОПЫТКИ МЯТЕЖА?; https://spb.tsargrad.tv/news/zhertvy-bojov-s-vagnerom-kto-pogib-v-rezultate-popytki-mjatezha_812266
(Titelbild) 13.04.2023; Wagner-tereno en la Ĉerviŝeva tombejo. Tjumeno, Rusio; Autor: https://commons.wikimedia.org/wiki/User:RG72; https://en.wikipedia.org/wiki/File:Wagner-tereno_en_la_%C4%88ervi%C5%9Deva_tombejo_01.jpg; This file is licensed under the Creative Commons Attribution-Share Alike 4.0 International license.