Von Nicolas Riedl – 23. April 2025.
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Von seinem Südthüringer Schloss aus wagt der als Prinz Chaos II. bekannte Florian Kirner mit „Freies Land!“ einen autobiografischen Ritt durch die Merkel-Ära und die (Post-)Coronazeit mit Weitblick und toten Winkeln.
Im Januar 2008 erwarb der bayerische Prinz Chaos II. ein altes Ritterschloss im südthüringischen Weitersroda bei Hildburghausen. 17 Jahre später veröffentlicht das Staatsunterhaupt mit dem bürgerlichen Namen Florian Kirner in autobiografischer Buchform einen „Bericht von einem, der auszog, in der innerdeutschen Fremde eine Heimat zu finden“, und das „fernab von Wessi-Klischees und ostdeutscher Nostalgie“. So verspricht es der Buchdeckel von „Freies Land!“. Doch lassen sich mit einer modernen Legende aus Südthüringen 300 Seiten füllen, die auch überregional das Interesse einer Leserschaft zu wecken vermögen? In Zeiten, da Wahlergebnisse und „Impf“-Quoten die ehemaligen innerdeutschen Grenzen wieder sichtbar werden lassen, kann dieses Werk zweifelsohne eine gewisse Aktualität für sich beanspruchen. Mit dem Untertitel „Prinz Chaos, die Thüringer und ein Schloss“ beinhaltet das Buch naturgemäß eine gewisse Nabelschau des exzentrischen Verfassers. Nichtsdestotrotz bekommt der Leser eine lebhafte Rückschau in das (Mittel-)Deutschland der Merkel-Ära. Es ist ein tragikomisch geschriebenes Buch über Bürokratismus, Freiheitsstreben, gescheiterte und geglückte Wohngemeinschaften, realisierte Träume, Illusionen und die soziale Reibungshitze zwischen Ost und West, Provinz und Stadt. Die dabei immer mitschwingende Ironie des Ganzen ist dem Titel eingeschrieben. Denn das Werk zeichnet 17 Jahre lang den deutschen Pfad in eine Richtung nach, in der die Bundesrepublik eines ganz gewiss nicht mehr ist: ein freies Land.
Der Name Prinz Chaos mag jenen noch ein Begriff sein, die freie und alternative Medien (was ich im Folgenden mit FAM abkürze) nicht erst seit Corona rezipieren. In der Tat war das selbst ernannte Staatsunterhaupt, der Liedermacher, Aktivist, Kabarettist und studierte Amerikanist Kirner, zwischen 2014 bis 2019 im Spektrum der FAM reichlich präsent, ehe er sich 2020 mit Corona „umorientierte“. Ein halbes Jahrzehnt nach seinem Rückzug aus dem Kosmos der FAM macht er mit seinem autobiografischen Werk „Freies Land! Prinz Chaos, die Thüringer und ein Schloss“ überregional auf sich, sein Schloss Weitersroda und seine Wahlheimat Hildburghausen aufmerksam.
Wer mag wohl die Zielgruppe dieses Werks sein? Das ist die übergeordnete Frage, die sich durch diese Rezension ziehen wird. Welche Bewandtnis hat dieses Buch für Menschen, die südlich von Coburg, östlich von Eisfeld, nördlich von Suhl und westlich der Röhn wohnen oder sogar leben und/oder keinen Bezug zu diesem Schloss haben? Der persönlicher Bezug zu diesem Ort ist für mich als Rezensent die Tatsache, dass ich zwischen 2016 und 2020 — alle verschiedenartigen Besuchsanlässe addiert — weit über einen Monat auf Schloss Weitersroda verbracht habe. Ich kenne das Schloss und die drumherum befindlichen Ländereien sehr gut. Doch für wie viele Menschen gilt das noch? Wie viele Menschen in diesem Land haben irgendeinen Bezug — ob einen guten oder einen schlechten — zu diesem Bauwerk? Und wer von denen, die keinen haben, hätten einen Grund, dies zu ändern? Diese Frage heben wir uns für das Ende auf und wenden uns nun dem Werk zu.
Ein Schloss in Bürokratistan
In Zeiten, da Buchcover zum maßgeblichen Entscheidungsfaktor für den (Miss-)Erfolg von Büchern geworden sind, kommt „Freies Land!“ mit seiner historischen Schlosszeichnung auf der Buchfront vergleichsweise unaufgeregt daher. Entsprechend beginnt das Werk nicht mit einer spröden Beschreibung der Immobiliensuche, sondern mit dem erzählerischen Vorgriff eines einprägsamen Erlebnisses des neuen Schlossherren: ein Nazi-Angriff auf Schloss Weitersroda im Einzugsjahr 2008. Dem Leser wird damit auf den ersten Seiten vermittelt: In dem kleinen Dorf Weitersroda fliegen nicht nur Heuballen, sondern auch mal Fäuste. Und damit wird er direkt hineingeworfen in das innerdeutsche Spannungsfeld zwischen Ost und West, zwischen ländlichen und urbanen Raum. Rückblickend aus dem Jahr 2025 wird sichtbar, was hierzulande bereits in den Nullerjahren gärte, um jetzt in den 2020ern seine bizarren Stilblüten zu entfalten. Doch dazu später mehr.
Nach dem heroischen „Cold Opening“ beginnt der Prinz chronologisch zu erzählen, was ihn als weltoffenen Bayer nach unzähligen Wohnortswechseln zwischen Köln und Japan dazu bewog, sich ein altes und hochgradig sanierungsbedürftiges Schloss im Süden Thüringens, nahe der nordbayerischen Grenze zu kaufen. Wie bei fast allen Städtern, die sich auf Landflucht begeben, war es auch beim Prinzen die Enge und die Entfremdung, die den Anstoß gaben, das Weite im Grünen zu suchen. Im Konkreten lauteten die Suchwörter „Thüringen“, „unter 100.000 Euro“ und „besondere Immobilie“. Das zu diesen Konditionen erwerbbare Schloss Weitersroda bei Hildburghausen bildete für den seit Kindheitstagen burgenvernarrten Florian Kirner ein „Match“, wie man neudeutsch sagen würde.
Das erste Fünftel des Buches ist ein Exkurs in Denkmalschutz und Gebäuderestauration sowie ein Ritt durch die Welt der unterschiedlichsten Behörden, der wider Erwarten recht amüsant ausfällt. Das ist nicht zuletzt dem unnachahmlichen Kabarett-Schreibstil Kirners zu verdanken.
Mit Ironie, augenzwinkernden Übertreibungen, unverbrauchten Formulierungen und eigentlich unausdenkbaren Wortneuschöpfungen läuft das Buch auf der Formebene nie Gefahr, zu trocken zu werden. So wird selbst den naturgemäß eher unspektakulären Behördengängen Witz und Farbe eingehaucht.
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