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Lasst die Tauben flattern

    Ein Bericht über eine Demonstration.

    Von Giuseppe di Cinquepettini.

    Ein friedvoll anmutender Tag, voller Sonnenschein und Zuversicht auf das sommerliche Wochenende. Dieser Samstag hatte Unterschiede, wie immer, weltweit. Während womöglich der Donner einer Panzerhaubitze 2000 aus deutscher Produktion im fernen Lugansk just durch die Wälder hallte, sahen wir bezeichnend ein Geflatter der Tauben um die St.-Hedwigs-Kathedrale. Denn am Sonnabend, dem 2. Juni 2022, gab es an ihrem Fuß, auf dem berühmten Bebelplatz in der Mitte von Berlin, eine friedliche Demonstration unter dem Motto „100 Milliarden für eine demokratische, zivile und soziale Zeitenwende statt für Aufrüstung“. Dass es friedlich bleiben würde, konnte man schon hoffen, denn hier wollten keine Bösen, keine Rechten und keine Bellizisten dabei sein.
    Das Gemeinsame werden der Friedenswunsch und das Linksverorten wohl gewesen sein. Es fiel nun leider auf, dass bei diesem wunderbaren Sonnenlicht besehen, und gar ohne diese schönen Umstände, mit 100 Milliarden keine Zeitenwende für den neoliberalen Imperialismus zu erkaufen sein wird, denn mit Geld allein und den ca. 2000 Demonstranten aus dem ganzen Bundesgebiet bleibt dieser lange Titel nur im Rahmen langgepflegter Utopien und des Wünschbaren.
    Ganz klar, die mehrheitliche Menge der deutschen Bevölkerung hat samstags anderes zu tun, als die mörderischen Geldverschwendungen ihrer Regierung zu kritisieren, wenn ggf. bei Kaufland gerade das Salatöl noch zum vierfachen Preis vom Vorjahr zu bekommen ist und keiner weiß, wie es am Montag dann schon damit ausschauen mag. Öl ist dem Verbraucher Öl, so sagte sich der Handel. Und vervierfachte zeitgleich zum leichten Rohölpreisanstieg des schwarzen Goldes und nach kurzfristigem Lieferkettenausfall des schwesterlichen Frittenfetts schnell einmal dessen Preis.
    Aber zurück zum Frieden. Also der Krieg ist in diesem Land nur noch eine Unterhaltungsserie im TV. Das Reale an ihm, zunächst viele Milliarden Verschwendung, jucken nur noch wenige. Oder vielleicht doch noch anders und wohlmeinender gesagt, man geht für solche „Sachen“ nicht mehr auf die Straße. Denn da laufen stets Gegner des Staates, also Rechte. Es sei denn, die Parteien rufen auf und es geht ums Klima oder das Böse in der weiten Welt. Es gibt auch Demos der Linken, aber das sind die Spielereien der ewigen Wohlstandsnörgler und Illusionisten. Als könne man mit einer Demo etwas erreichen.
    Aber am Sonnabend haben die es nochmals versucht. In anschaulicher Eintracht schwenkten die linken Parteien ihre Fahnen über dem geschichtsträchtigen Pflaster. Wo einst die Bücherverbrennung durch die Nazis den grauenvollen Umgang mit jüdischen Menschen, ihren deutschen Wohnungsnachbarn also, bildlich vorwegnahm. Ein Platz, der thematisch intellektuelle Toleranz einfordert, solange diese nicht der Intoleranz frische Wege bereitet. Ob DKP, MLDP, Die Linke oder verdi, es gab ein Ringelreihen der Rüstungsgegner. Ja, die SPD war jetzt hier nicht dabei, claro.
    Wir standen so frohen Mutes gut besonnt, jenseits der UV-Flüchter im Schatten, fast an zentraler Stelle des Platzes und ich packe meine Fahne der Freien Linken aus. An sich hätte der Umstand, dass ca. 5% der Anwesenden im Freien mit bestem Abstand aller zu allen FFP2-Masken trugen schon aufhorchen lassen müssen. Es bleibt somit ein Fakt, dass die Linken mit der Unterwerfungsgeste des Maskentragens weiterhin ihre größte Staatstreue anzuzeigen gedenken? Aber nein, weit gefehlt, als echter Linker trägt man die Maske für den Idealfall, dass man/frau/divers ein Virus in sich trägt und ggf. dieses bei unsachgemäßer Ausatmung und rechtslastiger Windlage in einen vulnerablen Hals einzufahren gedenkt. Selbst bei totalem Ausschluss dieser Wahrscheinlichkeit, also der Zero-Möglichkeit, ist es immer gut, zu zeigen, dass man die Solidarität bis in Abseitigste verteidigen mag. Erstaunlich nur, dass gerade dieser eine Herr, gänzlich mund- und nasefrei jäh an mir vorüberzischte. Er packte mit festem Griff einen Zipfel der Fahne und versuchte, mir diese zu entreißen. Der metallene Stab klatschte mir gegen den Kehlkopf und zerbrach. Ich stürzte dem friedvoll intendierten Friedensfreund hinterdrein und packte ihn an der Gurgel, um ihn wegzustoßen, und bekam die zerbrochene Fahnenstange damit frei. Worauf er entrüstet eine Kampfstellung einnahm und sofort von mehreren maskierten Jugendlichen eskortiert wurde. Man hatte also uns schon zuvor heimlich eingekreist. Es entbrannte ein heftiges längeres Streitgespräch. Ich wies die mich bezichtigende Körperverletzung durch meinen Halsgriff zurück – mit dem Hinweis auf den getroffenen Kehlkopf. Dann ging es hoch her. Und immer wieder um die laufend wiederholte Kernthese, dass wir hier nichts zu suchen hätten. Wir würden mit Rechten kooperieren und marschieren. Ja, das Thema kenne ich auch aus anderen Richtungen und internen Debatten. Ich habe davon genug. Ein Streitkordon arbeitete sich nun gegenseitig aneinander ab, rund um diese „Anklage“ und das damit verbundene „Verbot“ der Freien Linke auf diesem Platz. Bei argumentativen Feinheiten hielt sich die Gegenseite gar nicht auf. Selbst mein Vorwurf des Whataboutism traf sie nicht, denn sie wiederholten schlicht gebetsmühlenhaft, dass jemand, der mit Rechts kungelt, kein Recht hat, bei dieser Demo dabei zu sein. Haut ab! Haut ab!
    Nun muss man die Motivation dieser maskierten Jungs auch unter dem Verlust des Glaubens und der Angst vor der Leere beschauen. Das neoliberale Prinzip des „homo homini lupus“ reißt gerade die Jugendlichen in eine Ausweglosigkeit für die Entwicklung eines Selbstwertgefühls, welches, jenseits des barbarischen Konkurrenzkampfs um eine sichere Berufs- und Lebensentwicklung, Felder der Anerkennung sucht. Ein Feindbild ist da sehr dienlich. Jenes gegen Rechts hatte aber lange nur den ungleichen Kampf mit bärbeißigen Neonazis zu bieten. Wenn nun eine friedfertig ausschauende Weichzielgruppe als Rechts deklariert werden kann, und dann diese sich auch noch zum solidarischen Schutz von sterblichen Alten als Feindbild famos eignet, dann muss das die Erlösung aus der Leere sein. Und ihr Anführer, oder Lehrer des Tags, war eben jener Fahnenentreißer.
    Aber was war mit der Kundgebung? Mit den Reden? Ja, es gab eine Reihe davon, deren Inhalt ich aber wenig mitbekam. Bald erschienen unsere Mitstreiter von den Berliner Kommunarden und entrollten ihre weniger provokativen Banner. Deren Aussagen dann aber auch zum Teil Stein des Anstoßes wurden. Somit entzündeten sich abermals weitere Streitrunden, da die Angreifer nicht lockerlassen wollen. Hans zeigte eine großartige Leidenschaft im Disputieren. Ich hielt am anderen Ende das Transparent, so dass ich akustisch kaum etwas davon mitbekam. Unter denen gab es auch zwei vielleicht 14-jährige Jungen, die offenbar ihre Maske nicht dabei hatten. Meine zerbrochene Fahne wurde von Sarah standhaft weiter offen sichtbar getragen. Das war ein gutes Zeichen, dass wir uns nicht so leicht vertreiben lassen. Und somit hielten wir die Stellung und die Angriffe durch. Beim gemeinsamen Umzug über die Allee „Unter den Linden“ begleitete ich den Tross nur einige hundert Meter, um dann zum Maßnahmenkritiker-Fest im Friedrichshain zu radeln. Ein kleines Resümee mag ich mir nicht verkneifen. Wenn eine Fahne der Freien Linke solcherart Hass und Angriff bei einem Friedensaufruf erweckt, dann kann die Freie Linke nicht alles falsch machen. Sondern trifft einen Nerv der Verantwortlichen, die für die Erhaltung des parteipolitischen und gesellschaftskonformierten Narrativs, dass Maßnahmenkritik immer nur Rechts sein kann, Sorge tragen. Den Kampf gegen den Klimakollaps mit der Aufrüstung zu verbinden, und dies beides als Demonstrationsgrund zu betrachten, könnte auch bald irgendwie rechts sein.

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