Ein Gastbeitrag von Pfleger Klaus.
Es könnte ganz schön sein.
Unendlich viele Patienten, ewige Zeit.
Erster Patient, Übergabe, zweiter Kollege hat keinen weiteren zur Übergabe, sind weniger geworden. 40 Minuten Ewigkeit sind rum.
Im Ganzen: Der Horror. Mein Zettel vollgeschrieben, kein gutes Zeichen.
Eine Stunde Verweigerung, dann nach Rundgang 1: Typisch, völlig übertrieben die Berichte, alle munter … wie immer. Immer selbst beobachten.
Der Nachtdienst ist immer schuld. (Nachtdienst bezeichnet zweierlei, die Schicht und die Person, die ihn macht.)
Der Nachtdienst ist lang. Einsam. Ohne Unterstützung.
Ein Notfall muss eingeplant werden in die Routine, Tablettenstellen, Kurvenschreiben, Kontrollieren, vorbereiten, Verwaltungs- und Organisationsaufgaben. Rundgänge. Hilfe bei Notdurften. Vitalzeichenkontrolle, Blutdruck, Temperatur, Atmung, Puls vor allem. Licht an! Ist da Blut? Ein Notfall dauert zwei Stunden, eine mit Loslegen, eine mit Nachräumen oder Kollegen unterstützen.
Können Sie mir eine Schlaftablette bringen? Nein, wir machen alle abhängig! Dann beklag ich mich über Sie, ich bekam gestern eine und der Arzt hats verordnet. Gut tut es Ihnen nicht, hier. Haben Sie Schmerzen? Nein. Der Schlaf ist verändert, wissen Sie, im Krankenhaus kann man eh nicht schlafen, könnte ich auch nicht. (Ich notiere, Pat. beharrt auf Schlafmittel, es nützt nichts, er ist gleich wieder wach.)
Ich schreibe in den Bericht: Pat. schläft sicher durch.
Weil er das Gegenteil behauptet.
Intensiv ruft an, oder ich die Intensiv, habt ihr Tablette soundso, Medikament soundso, nein, frag doch mal Station X, ja, ich schick es dir sofort, ich komm es holen.
Ich komm nach zwei Stunden in den Aufwachraum zur Übernahme, wo Patienten nach Narkose liegen und Schmerzmittel kriegen. Wär ich schneller gekommen, hätte ich zwei Stunden unbeherrschbaren Schmerznotfall auf Station gehabt, weil sie zu früh verlegt hätten aus ihrem Bahnhof.
Im dunklen Zimmer: Soll ich unter die Decke, in die Leiste, gucken, er wird wach, wenn nicht, kein Blut, weck ich ihn, wenn Blut, überseh ich es. Fußpulse waren da, Blut kommt am Ende an, aber dennoch. Nach Untersuchung durch die Leistenarterie. (Noch: Taschenlampen aus China funzeln!) Fußpulse messen und tasten, an beiden Füßen am Fußrücken, bedarf etwas der Übung.
ATL: Aktivität des täglichen Lebens, eine daraus, sich als Mann und Frau fühlen. Nein! Dafür bin ich bestimmt nicht zuständig. Es gibt Grenzen bei sinnfreien Theorien aus Amerika.
ATL ist Pflegetheorie, wir teilen den Patienten in seine Tätigkeiten ein, formulieren Probleme, Ressourcen – Ziele (realistische) – und Maßnahmen. Es gibt da mehrere, die das komplette Lebensgefühl (banales Tagesgeschäft) abbilden sollen. Es ist amerikanisch, oberflächlich. Dann sollen wir darauf basierend den Erfolg kontrollieren können. Nun ist bei Schlaganfälleñ die soziale Herkunft entscheidend. Ein ‚einfacher‘ Mensch hat keine Chance, ein stets selbstbewusster hoffnungsvoller, in Selbstveranwortung Gebildeter immer.
Den Jungen weck ich die ganze Nacht jede Stunde und messe öfter. Der hat eine Gehirnerschütterung, hat sich besoffen geprügelt. Der muss nicht schlafen.
Der Kieferbruch (ich weiß, darf man nicht sagen) kommt nach Entlassung wieder auf Station, möchte sich beschweren, 2×2 Meter, das Gebiss ist schief, der Arzt hat gepfuscht. Nein, du hast bei der Schlägerei einfach nichts mehr gespürt, so besoffen warst du. Arzt spricht. Er wieder ab, ratlos.
Licht an beim Infusion an- und abstöpseln, fällt der Verschluss ab, liegt der Patient in einer Blutlache mit Glück, mit Pech zieht der venöse Zugang Luft und die Luft verstopft die Blutbahn, der Kreislauf kommt zum Erliegen.
Bewusstsein, Motorik, Beweglichkeit, Hilfe beim Lagern, auch für die Lunge. Kurve schreiben, Metoprolol 47,5 mg 1-0-1-0, Folsan, 1-0-0-0, Pantozol 40 mg i.v 8:00, … John Coltrane, Shirley Scott, … Kärtchen kontrollieren, Zimmer 31, Fr. B. … Zi 35 Hr. K. … Zi 43 Hr. So … zwanzig Kärtchen zu richten, Ceftriaxon, Meropenem, 1 g , Tazobac 4,5 g, manche dreimal 8:00, 16:00, 24:00, Fraxiparine 0,8 ml s.c. (zwei Tote) (subkutan, unter die Haut in den nicht vorhandenen Speck, durch Epidermis, Lederhaut an Blutgefäßen, aspirieren!!!, und Nerven vorbei. Nicht reiben!!!) …
Morgen eher anfangen, ich kann mich schlecht konzentrieren.
Ernährungsbeutel intravenös, lebertoxisch aber hype. Tabletten zuordnen, Tropfen richten, Pülverchen und völligen Schmarrn.
Was für ne Batterie, wie in der Cocktailbar.
Zum Glück ist das Modell Mensch stets das gleiche, Lunge, Leber, Hirn und noch ein paar Organe, mit bekannten nachlassenden oder manchmal überschießenden Reaktionen. (Einmal situs inversus!)
Die ersten Nächte. Niemand hilft. Oh je, einen Blasenkatheter legen, sonst läuft die Blase über und drückt Urin in die Niere, die dabei kaputt geht. Und unangenehm dazu, Ekel, Angst. Einmal zurücktreten. Sich klar machen! Kann man dennoch etwas tun, ein Schritt fällt ein, Wasserhahn anmachen, psychologische Unterstützung. Hilft. Aber wenig gepinkelt. Gut, von außen auf Blase drücken, abschätzen, gegen den Beckenknochen. Schmerzen? Geht so. Ah, noch Zeit zum Überlegen. Sind Sie Bayer? Ja. Gut, da können wir länger warten, Sie haben eine größere Blase, wegen der Massen. Wirklich? Wirklich! Und weniger Nierensteine.
Später Fachmann für Katheter, immer ein Grund für richtige Schwierigkeiten. Die planschende Urologin rammt die Blasenspritze quer in die Plastikflasche, und spült, Blutiges, altes Dunkles, Fadiges, Krümeliges, alles Blut. („Planschen“: mit Literweise Wasser eben und überall. Wir spülen die Blase mit 3-Literbeuteln, einem nach dem anderen, 9 – 12 Liter am Tag.)
Deren OP kannst Du Dir nicht vorstellen. Geschlechtsumwandlung? 300.000,– damals schon.
Im Zimmer gefällts mir nicht. Warum?
Es riecht im Zimmer. Na gut. Saubermachen. Warum hat der sich nicht gemeldet? Viel Wasser. Überschwemmung. Viel Material, viel Wäsche, Creme, Nase unten, warme Luft steigt nach oben. Fenster auf.
Hier riechts nach Hefe!
Das ist nicht gut. Pilzinfektionen bekommt man nicht. Und wenn man eine Pilzpneumonie (Lungenentzündung durch Pilze) hat, hilft nicht mehr viel, und das ist sehr giftig, was es an schwachen Medikamenten dagegen gibt. Dein Körper hat wichtigste Sachen verlernt.
Hier riechts nach Aceton.
Der hübsche, zarte afrikanische Junge mit dem fürchterlichen Durchfall, entzündliche Darmerkrankung unklarer Ursache, afrikanische Infektion?, seit Monaten, kann nicht mehr, er will sterben. Er sagt es mir. Wieso immer bei mir? Entspannen sie bei mir? Nicht bei mir. Ich bleibe. Eine Woche später ist er tot. (War das vermeidbar? Gab Riesenärger.)
Eine Nacht Fieber, acht Stunden, Kathetersepsis, erst 38,2, Medikament, etwas runter, zwei Stunden später 40,1, Notfall, anderthalb Stunden Arbeit, Infusion, Pat. gehts später etwas besser.
Eine Woche später: Ich lese die Berichte der Kollegen nach mir im Nachtdienst, drei weitere Nächte Fieber, der Katheter, er muss unbedingt gezogen werden, dann: er soll sogar „bedient“ werden, darf benutzt werden, dann: er muss gezogen werden – und schließlich schaffen sie es sogar, ihn zu ziehen: Er hatte eine Schlaufe geschlagen und hing fest. Da hätte das Herz schon hin sein können. (Um die Katheterschlaufe war das Blut geronnen, der Katheter hatte sich an der Gefäßwand an/eingebacken und hing fest. Mit Gewalt kann man da was los- oder kaputtreißen. Wenn du geronnenes Blut im Körper losreißt, wandert es darin, in die Lunge, das Herz, das Hirn, verstopft als Embolie oder Infarkt.)
Letzter Rundgang, Dauerkatheterbeutel leeren, Menge aufschreiben, Gesamttagesmenge notieren, Bilanz, es ist hell, Sommer, Urinflaschen, Nachttöpfe, Stomata leeren, deren Ablaufbeutel, es wurden mehr die letzten Jahre, viele, zu viele, die kommen alle zu Hause nicht klar. Zum Glück klebt jeder Stomabeutel.
Fenster auf.
Hier absaugen aus dem Luftröhrenschnitt, Husten Husten, ich stehe neben dem Patienten nicht gegenüber in der Schußbahn. Weniger absaugen, löst jedes Mal einen Hustenreiz aus. Zum Glück hat er Reflexe.
Ich bin ja nicht auf Intensiv, viel Intervention, viel Komplikation. Kein Apparateheld mit viel Wissen. Die sind dort alle sediert und in Narkose, sprechen nicht, schützen sich nicht mit Reflexen, das müsste ich übernehmen. Sie sprechen nicht, da kriegst du einen Vogel, wie Kinderkrankenschwestern, wirst gewalttätig.
Nimmst dir selbst keine Pause, erste Gewalt, pflaumst den Patienten an, zweite Gewalt, der dich, dritte Gewalt, du den Kollegen, der dich, vierte Gewalt. Gewalt in der Pflege … tabu.
Alles ruhig! Erste Regel, gehe verdächtigen Geräuschen nach.
Ein Knall!
Ich laufe den Flur ab, lausche! Nichts! Doch, da ein Pfeifen, Fauchen, leise, ganz unbestimmt. Ohne Richtung. Dann weg. Hmm.
Dreiviertelstunde später Rundgang. siebtes Zimmer o.k., achtes Zimmer, Bett leer, hm Toilettengang? Im Hinausgehen. Der kann doch gar nicht aufstehen.
Ums Bett rum, er liegt dahinter, ich erschrecke, verdammt, das war das Geräusch. Entschlossene Kollegin und ich wuchten den jungen Mann, 70 Kilo, ins Bett. Neurochirurgie, wohl ein epileptischer Anfall, jetzt nicht mehr. Erfahrene Kollegin geht. ? Macht sich wohl keine Sorgen. Telefon. Patient ist so weit nicht wach, aber locker und sicher nicht im Krampf.
(Was war passiert? Es stellte sich heraus, er war einige Tage zuvor von der Intensiv verlegt worden, sie hatten aber im Arztbrief das Mittel gegen epileptische Anfälle vergessen. Das hält sich einige Tage im Blut, erst nach drei Tagen Pause wirkte es nicht mehr, er krampfte. Jede Dokumentation ist falsch, oder gefälscht, jede.)
In letzter Zeit schreien sie, die Alten im Delir, sollen doch bei uns frührehabilitert werden. (Ihnen kann ich leichter autoritär das Sterben verbieten, sie sind durchs Leben härter. Oft traumatisiert. Und zwar heftig. Es weiß nur keiner, sie nicht, wir nicht.)
Markerschütternd. Zum Kollegen: Kann ich helfen? Neinnein, geht schon, ist schwierig.
Die geriatrische Frührehabilitation soll alte Leute fit machen zur Selbständigkeit zu Hause. Die kommen, teils sterbenskrank, und werden wie ein Sack in den Sessel geschliffen. Das verwirrt sie noch mehr, bis sie ganz zu machen oder vorher schon in schwer zugänglichem Zustand waren. Zwei Wochen Aufenthalt werden einfach abgerechnet. Auch wenn es den Leuten nichts nützt. Unser Uniklinikum betreibt selbst Rehas. Die GeriReha ist gleichzeitig eine Akutgeri. Keine Ahnung, wer das auseinanderhält. Das ist, was die Krankenkassen bezahlen, das entzieht sich in vielem der Kontrolle des Krankenhauses, die suchen sich nur geschickt passende Patienten aus. Es entzieht sich noch mehr uns Beitragszahlern.
Wir waren mal zu zweit im Nachtdienst, wegen der vielen vorzubereitenden Infusionen. Da war das Personal am gleichmäßigsten über den Tag verteilt. Der Nachtdienst war die sicherste Schicht. Als es einer weniger wurde, begannen die Fehler.
Drei Fehler in Folge sind tödlich.
Es gab Zeiten, da hieß die Übergabe: Alle am Leben.
Diesmal: Nicht nachdenken. Miss vor Entlassung bloß kein Fieber!!
Wir sehen das und sollen nicht. Krankenbeobachtung können wir.
Übergabe morgens. Das hast du falsch gemacht, das und das und alles. Warum ist die Arbeit für den Frühdienst nicht erledigt?
Weil ich jetzt schlafen geh, sonst musst du heut Abend meinen Dienst machen. Gut Nacht. Schlaf gut, säuselts.
Habe ich nun Angst vor dem nächsten Nachtdienst? Ich kenne die Patienten, keiner stirbt, keiner entgleitet, dekompensiert, alle kommentieren ihre Notdurft, meckern und ekeln, wunderbar. Das bringt Glück, das ist gesund.
Jeder Beruf hat etwas Banales. Was denn?
Wer will den Nachtdienst machen?
## Die Heldengeschichte
Ich sitze neben dem Bett, der Frau darin gegenüber, und stelle ihr Fragen, Pflegeanamnese: Sind die Blumen gegossen? Ist die Katze gefüttert? Sie antwortet. Dann auf einmal hebt sie den Blick an die Decke und auch beide Arme und beginnt, damit grob zu schlackern. Ich kriege keinen eigentlichen Schreck, was ist das, frage ich mich so heftig, dass es mich zum Handeln bringt, ich will den langen Flur entlang mir Hilfe holen, werfe meinen Stuhl um, stürze zur Tür, drücke dort mehrmals verzweifelt einen Knopf und laufe den Flur Richtung Arztzimmer, es kommen Kollegen entgegengerannt, ich drehe mit ihnen um und sie bleiben im Zimmer kurz stehen und dann werden Ansagen gemacht und die Frau verschwindet zwischen den Leuten und geschobenen hüfthohen Apparaten. Rief jemand: Zurücktreten!?
Ein paar Tage später sitzt die Frau im Zimmer ungehalten und beschwert sich bei mir, grenzwertig über mich. Ja, ist sie denn nicht dankbar, dass ihr das Leben gerettet wurde, sogar von mir, aber sie kennt mich nicht. Offensichtlich nein. Sie wollte wohl nicht gerettet werden. Warum hat sie es nicht gemerkt? Weil sie tot war. Oder fast. Kammerflimmern, das Herz drückt nicht mehr richtig, die Muskeln arbeiten zu kurz und zu schnell und zu oberflächlich, es wird kein Blut mehr gepumpt, der Kopf wird dunkel, das Blut steht in den Lungen und verbraucht seinen Sauerstoff. In fünf Minuten. Wir waren vorher da. Zufällig. Ich wollte an der Tür einen anderen Knopf drücken, traf den richtigen, deshalb kamen sie, sonst hätte das zwei Minuten, drei gedauert, die Kardiologen standen schon bei allen vorherigen Notfällen gelangweilt auf und stöhnten.
So, das war mein Kampf dem Tod als inneres Erlebnis nicht in Monitorgewittern, herrlich imperial, was kostets, militärisch gewalttätig befehlshierarchisch organisiert, ich habe mir kein eisernes Heldenkreuz verdient.
Diese Erfindung der Art des Lebenrettens ist von zirka 1962, als man die längst bekannten Einzelteile zusammenbrachte, Beatmung, Mund zu Mund, wenn man keinen Ambubeutel in der Tasche hat, Herzdruckmassage (vom offenen Herzen bekannt) und Defibrillation, Elektroschocks fürs Herz. Sie funktioniert oft. Der Oma brechen die Rippen vom Drücken, dauert es länger, zu lang, war zu wenig Sauerstoff unterwegs, wirst du ein Apalliker, liegst im Wachkoma, meist für immer. Aber es braucht eine Erfolgsgeschichte und Abrechnung.
Jetzt schreibe ich eine Beschwerde über den Staub im Flur an die Hygiene wegen TBC-Gefahr. Diphterie.
Wie viel haben heut Nacht Durchfall. Drei? Sauber!