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Homeredaktion

MedienschaffEnde war gestern ?

PLING!- es riss mich aus dem Schlaf. Die Stummschaltung funktioniert nicht für die Wetter-App.
Die beinahe ewig gleiche Meldung: „Heute frühlingshafte Temperaturen und lange Sonnenschein – wenig Pollenflug“.
Ich schaute noch flink in die Pandemie-App. „Heute keine neuen Mutationen vom Mokola-S7a-Virus, die Fallzahlen gleichbleibend. Bei anderen, aber wenigen Viren, werden Progressionen erwartet.“
Als ich die Vorhänge aufzog, sah es graufinster aus. Sehr starker Regen, schneevermischt. Und das im Mai.

Seit ich vor fünf Jahren ins Homeoffice switchte, das war (so) ungefähr im sechsten Jahr der Pandemiezeit, habe ich immer noch täglich meine Riesenfreude am vollverglasten Balkon, pollen- und virensicher, mein „Aquarium“.
Die Wetter-App benötige ich eigentlich nicht, aber sie gehört unlöschbar zum Keyphone, meinem elektronischen Ausweisgerät. Schaut man früh kurz auf die Morgenmeldung, ist sie einen Tag lang wieder still.
Jetzt jodelt der „Küchen-Chef“. Ja, dieses praktische Einzimmer-Appartement ist genial. Die Wetter-App steuert den „Küchen-Chef“, und der hat täglich einen anderen Witz auf Lager. Manchmal weckt die Wetter-App zuerst ihn, dann zieht mir der Geruch vom Kaffee noch im Schlaf in die Nase.  Oder er erzählt eben dumme Witze. Kennt jemand den, mit dem „Mehr Salz“? Erzähle ich euch gern.
Nein, das ist nicht der über Goethe, der auf dem Sterbebett gesagt haben soll „Meersalz“. Haha.

Ich muss flink sein, die Redaktionskonferenz beginnt in wenigen Minuten. Zum Glück kann man dabei nackt sein und in der Nase bohren, da wir am Konferenztisch sitzend eingeblendet werden.
Ich muss mich ja nicht weiter vorstellen, ihr kennt mich. Ich bin der Ressortleiter für Politik und Wirtschaftsnachrichten bei Radio „SeiDuDu“. Und der Boss ist Gypsie Ward, genannt die Unheimliche (gywarp). Sie tritt stets im Camouflage-Anzug „Herbstwald“ auf und der verdammte Fichtennadelgeruch ihrer E-Zigaretten scheint sogar durch die Leitung zu kommen.

Apropos „durch die Leitung“, den Text hier schreibe ich so locker, weil ich die Kameras im „Aquarium“ manipuliert habe. Sonst hätte ich Bedenken, dass Gywarp meine Frechheiten übermittelt bekommt. Es geht gleich los. Mein altes Smartphone schreibt den Text des Konferenzgeschehens gleich automatisch mit. Es liegt, genau, im Aquarium, wo es nun draußen ein dichtes Schneetreiben gibt. (Hallo Wetter-App, Smiley)
Gywarp beginnt:

-gy- „Hallo Mädels, gibt es Neuigkeiten? Wer hat krasse Ideen? Kommt mir nicht mit dem Schmus von dem Zugunglück. Das will keine mehr hören.“

„Schöne Sache hier: Letzten Monat hatten wir doch die Ehetauglichkeit von Haustier:innen im neuen Ehegesetz erläutert. Einer Frau ist der Ehegatte entflogen. Upps oder EheGattin? Ehetier:in? Dürfen wir bei Tieren ….?“

-gy-  „Das „Ehetier“ geht schon noch! Sonst blickt es niemand mehr (sie grinst sardonisch).“

„Also die Person hatte einen Papagei geehelicht. Der ist ihr weggeflogen. Sie verklagt ihn auf Schadenersatz.“ 

-gy- „Gut, das machen wir, ist irgendwie Alltag und tut auch ein bisschen weh. Wer hat etwas Politisches?“

„Na das mit dem Sperlingsaussterben wäre was. Nachdem die Brzezińskiallee auf 15 km/h geschwindigkeitsbegrenzt wurde, sind alle Sperlinge, also Hausspatzen, jetzt weggeflogen.“

-gy-  „Warum sind die weg? Wohin! In den Iran etwa? –  Dann wird‘s politisch!“

„Ist schon politisch. Artensterben menschheitsbedingt!“ – sage ich.

-gy-  „Klaro, verstehe! Kann da ein Experte etwas Deftiges als Grund herleiten?“

„Genau das kann man nicht. Und damit wird es echt kontrovers.“

-gy-  „Gut, Du machst das! Bitte heute ab den Mittagsnachrichten bis früher Abend. ….
Und Leute, Mädels, es geht nicht darum, hier irgendeinen Wahrheitsscheiß rauszuhauen. Die Mädels da draußen wollen Unterhaltung. Kapiert!  So nun kurze Einweisung vom Hausphilosophen Dr. Schneideis über die neue Medienstrategie – ich bitte um Aufmerksamkeit.“
(gywarp pustet Wolken von Fichtennadeldampf um den hutzeligen Herrn)

Dr. Schneideis: „Frauen und Leute, alle, es geht nicht mehr so wie früher weiter. Der Faktencheck ist tot. Die Zuhörer:nnen wollen so akademische Analysen und Reports aus den Tiefen der Wissenschaft nicht mehr. Hauptsache Experten! Es langweilt diese Mensch:innen  über Krankheiten, Virenausbrüche und Todeszahlen zu hören. Wir bedürfen neuer Konzepte der Information, jenseits des Üblichen. Seit wir verschiedene Sendeformate wesentlich mehr dem Fiktiven, den schönen und glaubensintensiven Erzählungen geöffnet haben, steigt die Zustimmung ……..“

Bla-Bla -Bla …“
Ich bin jetzt wieder ohne Ton, das merkt keiner, da ich den Empfangs-Geber ein wenig manipulieren konnte. Solange der Trottel da referiert, ich vermute so 30 Minuten, kann ich ja eine Story schreiben.
Ich habe Chinaerfahrung: Drei Wochen Intensivkurs bei Innsbruck – ein wunderschönes Dorf. Es gab dreimal sogar echtes Fleisch.

Meine Story handelt vom Kannibalismus in den Führungszirkeln der KPC. Ein Sonderauftrag von Gywarp. Sie meinte, das sei näher an den Hörer:innen dran, als der Schmus von der Konkurrenz. Die malen noch immer die Sache mit den Gehirntransplantationen von Oppositionellen in China aus. Dabei hat sich das schon längst als Wahrheit erwiesen. Wahrheiten sollen vermieden werden. Was zählt, sind Ideen, genau.
Ich bin ja schon dran. An der Fortsetzungsgeschichte von Wetterumlenkungen und Luftverdünnung zur Verhinderung von Pfeifkonzerten des „Chors der Demokratie“.
Coole Sache.
Oder über die russische Nierenproduktion im arktischen Eis, mit sehr derben Schönheitsfehlern. Was jede Menge Robben an die norwegischen Küsten spülte, die die Reste gefressen hatten.
Gywarp kann über mich nicht meckern, diese Fichtennudel. lol

Upps, was is‘n jetzt los?!
Sirenengeheul! Laut!
Die Rauchmelderdrohne kreist im Aquarium. Der „Küchen-Chef“ verglüht im Funkenregen.

Ich fasse es nicht. Entweder ist mir Gywarp auf dem Fersensporn (haha) oder meiner Anstellung wurde der Stecker gezogen. Es knattert und knistert in allen Ecken.
Gywarps Stimme jetzt:
„Hey Jungchen, wem schreibst Du da eine Story? Sounds quite old school.
Die kannste bei den Linken als Kolumne platzieren. My way or the highway – you’re fired!“

Und sofort war es wieder still.  Peng, das hatte gesessen! Was war das? Ich bin also arbeitslos geworden?

– Und danach rief mein Kumpel Abdullah von der Arbeit an und sagte mir, dass wir alle gekündigt seien. Er hatte es schon vorher geahnt. Diesem Schneideis hatte gar keiner mehr zugehört. Und Gywarp nutzte den Termin als Loyalitätstest. Um dem „System“ zu beweisen, dass wir nun wirklich alle ersetzbar geworden sind. Und wir nicht einmal mehr die Instruktionen verfolgten.
Abdullah hatte aus geheimer Quelle erfahren, dass Gywarp ein Cyborg ist, und dieser Quatsch mit der E-Zigarette menschliche Echtheit vorgaukeln sollte. Der Cyborg wurde vor 2 Monaten eingestellt, um die AI (deutsch: Künstliche Intelligenz) plangemäß einzuführen. Nun wurde damit die gesamte Redaktionstätigkeit von Radio „SeiDuDu“ dem KI-Zentral-Computer des Medienministeriums übergeben. Alle rausgeflogen. Wie die Sperlinge von der Brzezińskiallee (siehe oben).

Die neue Vielfalt der Medien wird somit sichergestellt, heißt es. Die Hörer:innen können jetzt in Echtzeit die Beiträge manipulieren bzw. diese auf sich selbst abgestimmt modulieren.
Mensch:innen haben ab sofort eigene Radio-Sender. „SeiDuDu“ wurde mediale Wirklichkeit. Also wahr! Und für jeden anders. Wie es Kant schon wusste. Reine Vernunft eben.

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