Zum Inhalt springen
Startseite » Beiträge » Wahl in der Krise

Wahl in der Krise

    Redaktion Aufruhrgebiet – 24. Februar 2025.

    Die Bundestagswahl 2025 findet in einer krisenhaften Situation statt. Schon die Vorverlegung des Wahltermins durch das Zerbrechen der Ampel-Regierung ist Ausdruck dessen. Die Wirtschaft befindet sich in einer Flaute, der Rückstand Deutschlands und Europas gegenüber China, den USA und selbst gegenüber einigen „Schwellenländern“ wird immer größer. Das Erstarken der AfD ist ein Zeichen dafür, dass die etablierten Parteien des Kapitals immer mehr an Anziehungskraft einbüßen.

    Das vorläufige amtliche Endergebnis

    Die Wahlbeteiligung lag bei 83,5% (zuletzt 76,4%) – die höchste Beteiligung seit 1990. Das zeigt, dass die These von der „Demokratieverdrossenheit“ falsch ist, und dass es eine Verdrossenheit nur gegenüber den etablierten Parteien gibt. Die Parteien schnitten wie folgt ab: CDU/CSU: 28,52% (+4,3); AfD 20,8% (+10,3); SPD 16,41% (-9,3); Grüne 11,61% (-3,1); LINKE 8,77% (+3,9); BSW 4,97%; FDP 4,33%.

    Insgesamt war das Wahlergebnis ein Desaster für die Ampelparteien. Es bestätigt die politische Polarisierung nach Rechts und Links. Einerseits durch den Erfolg der AfD, andererseits durch den Erfolg der LINKEN, aber auch durch das äußerst knappe Scheitern des BSW. LINKE und BSW vereinen damit fast 14% auf sich gegenüber knapp 5,0% bei der letzten Bundestagswahl. Der Trend zu Weimarer Verhältnissen mit einem breiteren Parteienspektrum, stärkerer politischer Polarisierung  und instabilerer Regierungen hält an. Höchstwahrscheinlich wird es eine Koalition aus Union und SPD – ehemals die Große Koalition – geben.

    Bei der Analyse der Wähleranteile fällt auf, dass die LINKE und die AfD besonders bei jungen und Erstwählern punkten konnten, während Union und SPD v.a. von Rentnern gewählt werden. Ca. 40% der Wahlberechtigten sind Rentner und deren Wahlbeteiligung ist besonders hoch. Das bedeutet, dass die Bevölkerungsgruppe, die nicht mehr arbeitet und z.T. das Ende der Legislaturperiode gar nicht mehr erleben wird, einen besonders großen Einfluss auf den Ausgang von Wahlen hat. Zudem wählen Rentner überproportional Union und SPD. Dieses übergroße Gewicht von Wählern im Rentenalter bewirkt (zusammen mit der Festlegung des Mindestwahlalters auf 18 Jahre) zweifellos eine undemokratische und konservative Verschiebung der Demokratie zugunsten der „Volksparteien“ CDU/CSU und SPD. Genauso undemokratisch und eine die etablierten Parteien bevorzugende Regelung ist die 5%-Hürde. Ohne diese Regelungen sähe das Wahlergebnis sehr anders aus. Es ist ein untrügliches Merkmal der bürgerlichen „Demokratie“, dass diese undemokratischen Regelungen weder geändert noch auch nur adäquat diskutiert werden.

    Wie wählte die Arbeiterklasse?

    Ein Blick auf die soziale Herkunft der Wähler ist aktuell nur eingeschränkt möglich, da die bürgerliche Soziologie keine Klassen kennt und tw. absurde soziale Einordnungen vornimmt. Immerhin ermöglicht die Rubrik „Arbeiter“ (zu denen nicht die „Angestellten“ zählen), annähernd zu sagen, wen die Arbeiterklasse gewählt hat. Das ergibt folgendes Bild: AfD 38%, Union 22%, SPD 12%, LINKE 8% und BSW 5% Stimmen von „Arbeitern“. Die frühere Präferenz der SPD bei den Arbeitern ist Geschichte. Zudem sind viele „Arbeiter“-Wähler Funktionäre im DGB oder Betriebsräte. Die SPD ist die Partei mit dem höchsten Anteil an Staatsbeamten. Eine (bürgerliche) Arbeiterpartei – bürgerliche Politik, aber proletarische Basis – ist sie nur noch insofern, als sie immer noch über Betriebsräte und Gewerkschaftsfunktionäre einen entscheidenden Zugriff auf die Klasse, v.a. auf deren organisierten Teil hat. Ihre wirkliche Arbeiterbasis hat sie im Laufe von Jahrzehnten bürgerlicher Politik vergrault. Dasselbe kann man von der LINKEN sagen. Eine Verankerung der PDS/Linkspartei in der Arbeiterklasse gab es ohnehin fast nur im Osten und in Form einer Basis in den Kommunen und in Sozialverbänden, die aber stark erodiert ist. Die aktuelle Beitrittswelle und die Stimmenzugewinne kommen fast nur aus dem Bereich der studentischen Jugend, dem akademischen Milieu und der „radikalen Linken“, v.a. der Antifa. Das BSW verfügt über keine relevanten Verbindungen zum Proletariat mehr, außer über einige Funktionäre, die man schon von „Aufstehen“ kennt.

    Der besonders hohe Anteil von Arbeiterwählern bei der AfD heißt natürlich keinesfalls, dass diese nun eine Arbeiterpartei wäre. Die AfD stützt sich auf und vertritt v.a. die Interessen des Klein- und Mittelbürgertums. Der hohe Arbeiteranteil (bei Wählern, nicht bei Mitgliedern) zeigt aber, dass (v.a. im Osten) Arbeiter wenig Grund sehen, „linke“ Parteien zu wählen, auch nicht die LINKE. Kein Wunder: in puncto betrieblicher Aktivität oder klassenkämpferischer Mobilisierung kommt von der LINKEN wenig. Wo es Kämpfe gab, z.B. bei „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“ war sie v.a. bei der „parlamentarischen Entsorgung“ der Bewegung aktiv. Wesentliche Angriffe und reaktionäre Projekte (Klimahysterie, Energiewende, Atomaustieg, Coronahysterie usw.) trug und trägt sie mit. Zum Ukrainekrieg nahm sie eine passive und zweideutige Haltung ein. Selbst ihre Position zur Migration stellt sich zwar dem reaktionären Vorstoß von AfD, Union und Co. entgegen – aber nur, um selbst die absurde Position „Für offene Grenzen“ zu vertreten. Jeder denkende Mensch aber weiß, dass damit die verschiedenen gravierenden Probleme, die durch die Massenmigration entstanden sind, nicht nur nicht gelöst werden können, sondern noch zunehmen würden.

    Ost-West-Spaltung

    Ein Merkmal dieser Wahl war auch die krasse Spaltung zwischen Ost und West. Im Osten erhielten AfD, LINKE und BSW die Mehrheit der Stimmen. Die AfD gewann im Osten (außer in Berlin und zwei weiteren Wahlkreisen) alle Direktmandate. Im Westen dagegen waren die „Etablierten“ deutlich stärker. Dieses Ergebnis zeigt nicht nur, dass nach über drei Jahrzehnten von einer Einheit in politischer wie in sozialer Hinsicht keine Rede sein kann. Im Osten schlagen nicht nur die sozialen Probleme stärker durch, es gibt dort auch eine kritischere, durch die Erfahrungen in zwei Systemen und mit dem Überstülpen des Westsystems „gereifte“ Haltung.

    Anti-Rechts-Kampagne

    Vor der Wahl gab es in Politik und Medien eine massive Kampagne gegen die AfD. Dabei wurde die AfD als rechtsextrem oder gar als faschistisch geframt, was völlig absurd ist. Sicher gibt es in der AfD ein extrem-rechtes, völkisches Milieu aus Leuten wie Höcke, sicher gibt es auch Verbindungen zu faschistoiden Gruppierungen außerhalb der Partei, doch insgesamt ist die AfD eine sich im Rahmen der bürgerlichen Demokratie bewegende Partei. Alle wesentlichen Merkmale  einer faschistischen Partei bzw. Bewegung fehlen ihr. Die AfD wird auch fast immer nur auf die Migrationsfrage reduziert. Selbst da wird ihre Position aber meist falsch dargestellt und absurd überzeichnet (Remigration=Abschiebung aller Menschen mit Migrationshintergrund usw.) Andere Fragen, wie z.B. die Haltung zur Ukraine, zu Klima und Energie, wo die AfD eindeutig bessere Positionen einnimmt als alle anderen (größeren) Parteien, werden meist ausgeblendet oder durch einen Wust von Lügen und falscher Ideologie verdeckt. Insofern ist die Politik der AfD auch keineswegs nur populistisch, sondern sie hat konkrete Antworten auf reale Probleme.

    Obwohl die AfD viele Positionen aufweist, die auch andere bürgerliche Parteien vertreten, steht sie doch für eine andere bürgerliche Strategie als alle anderen Parteien. Ihre Positionen zur EU, zur Ukraine oder zur Klima- und Energiepolitik kollidieren mit dem Rest des bürgerlichen Establishments. Das – nicht die Asylpolitik, die inzwischen von den anderen Parteien weitgehend übernommen wurde – ist der Grund, warum alle anderen auf Bundesebene nicht mit ihr koalieren wollen.

    Neben dem medialen Kampf gegen die AfD gab es auch massive Mobilisierungen „gegen Rechts“, die Hunderttausende auf die Straße brachten. Im Kern war das eine Bewegung gegen die AfD und für die Ampel-Parteien und die LINKE, die zusammen mit Kirchen, Sozialverbänden und der „grünen Szene“ die Aufmärsche organisiert haben. Natürlich ist eine Bewegung gegen Rechts an sich gut, doch wir müssen auch die Frage stellen, wo all diese Menschen waren, um gegen die Aufrüstung und gegen die Ampel-Politik zu protestieren und für Frieden einzutreten?! Auf jeden Fall hat selbst diese massive Bewegung die Mehrheit der Menschen nicht hinters Licht führen und zur Wahl der Ampel-Parteien motivieren können.

    Die Union

    CDU/CSU haben die Wahl zwar gewonnen, ihr Ergebnis, v.a. das der CDU, ist aber trotzdem schlecht – nicht nur angesichts des Debakels der Ampel und dem Absturz der SPD, sondern auch im Vergleich zu früher. Die langsame Erosion dieser Volkspartei hält weiter an. Auch ihr „Fauxpas“ der Abstimmung mit der AfD in der Migrationsfrage und der damit verbundene Wortbruch, nicht mit der AfD zu kooperieren, hat ihr wohl eher Stimmen gekostet als gebracht.

    Die SPD 

    Die Sozialdemokraten fuhren ihr historisch schlechtestes Ergebnis ein und setzen damit ihren historischen Abwärtstrend fort. Obwohl sie in der Ampel noch einen relativ (!) sozialeren Kurs verfolgten und selbst in der Ukraine-Politik zögerlicher agierten als die Kriegstreiber der Grünen und der FDP hat ihr das wenig genutzt. Letztlich wirkt sich für sie verheerend aus, dass sie seit Jahrzehnten fast immer (mit)regiert und anstatt den Kapitalismus zu reformieren letztlich nur dessen Krisen mitverwaltet. Diese Politik des begrenzten „Klassenkompromisses“ konnte nach 1945, in der Periode des Langen Booms und der relativen Stabilisierung des Systems noch funktionieren. Mit dem Beginn der Periode des Spätimperialismus in den 1990ern mit der Zunahme von Krisen, Konflikten, Kriegen und Sozialabbau ist das vorbei.

    Die Grünen

    Sie kamen als einzige Ampelpartei mit einem blauen Auge davon. Das liegt nicht nur daran, dass sie die Ampelpolitik sehr stark geprägt haben und das Gros der Medien auf ihrer Seite hatten. Ihr Klientel, die lohnabhängige (akademische) Mittelschicht, ist am wenigsten von der Krise betroffen. Ihre starke Ideologiebezogenheit schützt sie tw. davor, ihre Einstellungen durch die „Zumutungen der Realität“ zu ändern.

    Die AfD

    Der enorme Erfolg der AfD – trotz der Ablehnung aller Parteien, mit ihr zu koalieren – speist sich aus mehreren Quellen: 1. dem Versagen der etablierten Parteien, v.a. der Ampel, aber auch der Linken und der Arbeiterbewegung, die als Opposition in den meisten Fragen komplett ausfielen; 2. aus ihrer Haltung der „konsequenten Opposition“ gegen „das Establishment“; 3. durch weitgehend korrekte Positionen zur Ukraine, zu Klima, Energie und Kernkraft und die teilweise (!) berechtigte Kritik an der bisherigen, unhaltbaren Migrationspolitik und 4. daraus, dass die Kritik an der AfD in weiten Teilen absurd war und dadurch deren tatsächlich neoliberale und unsoziale Wirtschafts-, Steuer- und Sozialpolitik aus dem Focus geriet. Gerade das Letztere sorgte dafür, dass auch viele Lohnabhängige AfD wählten.

    Die LINKE

    Die LINKE ist neben der AfD die große Gewinnerin. Sie hat zwar gegenüber 2021 Stimmen an das BSW verloren, doch sie konnte das mehr als wettmachen durch große Zuwächse aus der SPD, von den Grünen sowie von Jung- und Erstwählern. Sie war die einzige (große) Partei, die konsequent gegen die Asylrechtsverschärfung und für Soziales auftrat, u.a. durch zwei engagierte Reden ihrer Spitzenkandidatin Heidi Reichinnek im Bundestag. Außerdem war sie sehr aktiv im Haustürwahlkampf und im kommunalen Bereich. Der Beitritt sehr vieler junger Leute, aber auch der relativ große haupt- und ehrenamtliche Apparat machten das möglich.

    Der Erfolg der LINKEN sollte aber nicht darüber hinweg täuschen, dass ihre Politik immer noch derselben reformistischen Logik folgt wie bisher und auch die wichtigsten Positionen der Partei dieselben sind wie bisher. Die LINKE ist weder eine Arbeiterpartie noch eine des Klassenkampfs, vom Sozialismus ganz zu schweigen. Der Zustrom nicht von lohnabhängig Beschäftigten, sondern von jungen akademischen Mittelschichtlern und von der Antifa unterstreichen das. Die LINKE unterstützt nach wie vor reaktionäre Projekte (Coronahysterie, Klimawahn, Energiewende u.a.) und ist kein Faktor, der den Klassenkampf voran bringt. Die jetzt erfolgende leichte „Linkswendung“ ändert an ihrer falschen Methode, dem Reformismus, nichts.

    Das BSW

    Obwohl das BSW sein Ziel, den Einzug in den Bundestag, nicht erreicht hat, kann es das sehr knappe Scheitern doch als Teilerfolg werten. Es war durchaus mehr möglich, doch wie schon bei Aufstehen erwiesen sich Wagenknecht und ihre Crew als politisch-taktisch unfähig. Ihre Programmatik blieb Stückwerk. Die angekündigten „Expertengremien“ gab es nicht. In typisch reformistischer Manier wurden jede tiefere Analyse der Krise der Linken und der SPD – also des Reformismus – und umso mehr jede Alternative dazu vermieden. Begriffe wie Arbeiterklasse, Klassenkampf, Widerstand tauchten nicht auf, die Systemfrage wurde gar nicht gestellt. Konkrete Vorschläge für die betriebliche oder gewerkschaftliche Arbeit gab es überhaupt nicht. Damit kann sie keinen Arbeiter hinterm Ofen hervorlocken oder gar eine Alternative zur SPD sein. Immer wieder hat sie sich als Partei der linken Mitte inszeniert und damit geprahlt, zwei Unternehmer im Vorstand zu haben. Selbst in der Ukraine-Frage – ihrem Kernthema – war Wagenknecht weniger klar als z.B. die AfD. Andauernd sprach sie sachlich falsch von „Putins Angriffskrieg“ und von der „Annektion der Krim“. Dazu kam noch die absurde Praxis, keine Mitglieder außer ein paar handverlesene aufzunehmen. Das hat viel Linke genauso abgestoßen wie die Zustimmung des BSW zur rechten Asylpolitik von AfD und Union sowie zur Bezahlkarte für Migranten.

    Neue Regierung?

    Friedrich Merz hat großes Glück gehabt, dass er nun eine Regierung mit der SPD bilden kann und nicht die Grünen für eine Mehrheit braucht, denn dann gäbe es wieder eine in sich zerstrittene Regierung wie die Ampel. Es bleibt abzuwarten, auf was sich Union und SPD einigen können. Fest steht aber wohl, dass die forcierte Aufrüstung und die Ukraine-Hilfe – mit oder ohne Taurus – weitergeführt werden – nicht zuletzt, weil Trump das Engagement der USA zumindest reduzieren will. Auch Merz´ Ankündigung von Einschnitten beim Bürgergeld und von strikten Maßnahmen gegen Migranten lassen Schlimmes befürchten. Allzu rabiat wird er andererseits aber wohl nicht vorgehen, weil sonst die SPD nicht mitspielen wird – weil sie sonst droht, sich endgültig zu zerlegen.

    Neue Arbeiterpartei!

    Die entscheidende Schlussfolgerung für Antikapitalisten, Linke und die Arbeiterbewegung muss sein, dass die reformistischen Formationen SPD, Linkspartei (und BSW), aber auch die diversen linken Kleingruppen unbrauchbar dafür sind, Widerstand zu leisten und den Klassenkampf voran zu bringen. Statt immer wieder auf eine (erneuerte) alte oder auf eine neue reformistische Kraft zu setzen oder auf ein Wunder zu hoffen, das die linken Sekten nach oben trägt, sollte die Energie in den Aufbau einer neuen antikapitalistischen Arbeiterpartei investiert werden!

    Du interessierst dich fürs Thema. Nimm Kontakt zu uns auf.