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Was ist Vergesellschaftung?

    Teil 1 von 2.

    Von Hanns Graaf.

    Für jeden Linken und Antikapitalisten sollte die Frage, wie die Alternative zur kapitalistischen Wirtschaft aussehen kann, von besonderer Bedeutung sein – schon deshalb, weil die sog. Planwirtschaften des Ostblocks es nicht vermochten, die Lebensinteressen der Bevölkerung ausreichend, geschweige denn immer besser zu befriedigen und die Bürgerlichen dieses Desaster dazu nutzen, jede Alternative zum Kapitalismus als gescheitert und unmöglich darzustellen. Gerade in Deutschland ist die These, dass der Sozialismus ja nicht funktioniert habe, stark ausgeprägt. Die stalinistischen Länder hätten sich in jeder Hinsicht als dem Westen unterlegen erwiesen. Während bürgerliche Ideologen, aber auch viele Linke behaupten, dass der Ostblock sozialistisch gewesen sei, wollen wir hier zeigen, dass die dortige Wirtschaftsweise keine Vergesellschaftung im Sinne von Marx darstellte, dass es kein Sozialismus war und der Stalinismus und sein staatskapitalistisches System gerade daran gescheitert ist, eine sozialistische Entwicklung blockiert zu haben.

    Allgemein bedeutet Vergesellschaftung, dass die Verfügung über die Produktionsmittel (PM) und die Produktionsverhältnisse (PV) der Gesellschaft bzw. sozialen Kollektiven unterliegen und nicht besonderen minderheitlichen Gruppen, egal ob Gilden oder Ständen, Feudalherren, Kapitalisten, Rentiers, Aktionären oder einer Staats- oder Parteibürokratie. Wie alle Klassengesellschaften beruht auch der Kapitalismus darauf, dass es herrschende Minderheiten gibt, welche die politische und staatliche Macht ausüben bzw. kontrollieren und direkt oder indirekt über die Produktivkräfte (PK) und die PV bestimmen, um sich einen überproportionalen privaten Anteil am gesellschaftlich erarbeiteten Reichtum anzueignen.

    Bürgerliche Vergesellschaftung

    Der Kapitalismus hat eine Periode der forcierten Entwicklung der PK eingeleitet. Gewinnstreben und Konkurrenz sorgen dafür, dass die Verhältnisse immer wieder umgewälzt werden und die Entwicklung der PM vorangetrieben wird – allerdings im engen Rahmen der kapitalistischen Produktionsweise. Konzentration und Zentralisation des Kapitals nahmen immer mehr zu, das Finanzkapital und große Konzerne bildeten sich, die das wirtschaftliche und soziale Leben der Welt heute stärker bestimmen als je zuvor. Die wirtschaftlichen und sozialen Verflechtungen, aber auch die Konflikte, werden immer globaler und komplexer. Damit einher geht, dass die Rolle des Staates als „Regulator“ der Widersprüche der kapitalistischen Gesellschaft zunimmt – ohne dabei jedoch wesentliche Effekte zu erzielen. Ja, oft genug „verschlimmbessert“ er die Probleme.

    Die Grundlage des Kapitalismus ist die Ausbeutung von Lohnarbeit durch die Besitzer der PM. Zwar nimmt die Produktion im Kapitalismus immer stärker gesellschaftlichen Charakter an, doch die Verfügungsgewalt darüber bleibt trotzdem wesentlich privat. Dazu kommt, dass die Bourgeoisie selbst sich immer mehr vom realen Produktionsprozess, der immer mehr von Managern bestimmt wird, entfernt und oft nur noch als Rentier, als Shareholder und „Cuponschneider(Lenin) agiert.

    Die Tendenz der „Vergesellschaftung“ im Kapitalismus verbleibt aber in den Grenzen des Systems und verringert tatsächlich den Zugriff des Proletariats und der Massen auf Produktion und Verteilung und stellt insofern keine „echte“ Vergesellschaftung dar. Für Marx bedeutete Vergesellschaftung u.a. Überwindung der Entfremdung, der Unterordnung der Produzenten unter  eine „fremde Macht“ und die Beendigung der überkommenen Arbeitsteilung. Marx ging es um die allseitige Befreiung von jeder Form von Unterdrückung, Ausbeutung und Entfremdung; es ging ihm darum, „an die Stelle der alten bürgerlichen Gesellschaft mit ihren Klassen und Klassengegensätzen (…) eine Assoziation, worin die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist“, zu setzen, wie es im Kommunistischen Manifest heißt.

    Abwege der Theorie

    Die „unechte“, kapitalistische Vergesellschaftung wurde von vielen Theoretikern der Sozialdemokratie der II. Internationale an der Wende zum 20. Jahrhundert einseitig als „fortschrittlich“ interpretiert und daraus der Schluss gezogen, dass die Wirtschaft verstaatlicht werden müsse, wobei die Funktionäre der Arbeiterbewegung den Staatsapparat leiten sollten. Diese Strategie ging damit einher, dass der Weg zum Sozialismus (wobei unter „Sozialismus“ eher ein konsequenter Sozialstaat verstanden wurde und nicht eine qualitativ andere Gesellschaft) wesentlich nur als eine Summe von Reformen angesehen wurde und der revolutionäre Bruch unterschätzt oder abgelehnt wurde. Der Klassenkampf wurde nur noch als ein parlamentarischer und gewerkschaftlicher angesehen. Marx´ Postulat von der Zerschlagung des bürgerlichen Staates und des Absterbens jedes (!) Staates im bzw. bis zum Kommunismus wurde aufgegeben oder durch deren Vertagung auf die Zukunft und durch die Position der Übernahme und Säuberung des Staatsapparats ersetzt. Die sozialistische Wirtschaft sollte keine genossenschaftliche, sondern eine Staatswirtschaft sein.

    Auch Lenin übernahm diese Strategie einerseits, indem er mehrfach betonte, dass auch Sowjetrussland in der Übergangsperiode eine staatskapitalistische Wirtschaft brauche, diese jedoch – und das war die Differenz zur II. Internationale – der Regie eines proletarischen, nicht eines bürgerlichen Staates unterstehen solle. Für Lenin war dieser „Staat“ aber kein Rätesystem, sondern wesentlich ein hyperzentralisierter Partei-Staat. In seinem Hauptwerk zum Staat, „Staat und Revolution“, werden die Räte nicht einmal erwähnt. Damit einher ging eine generelle Unterschätzung bzw. Ablehnung von genossenschaftlichen Strukturen und proletarischer Selbstverwaltung. Zwar trat Lenin im Unterschied zur II. Internationale für die Revolution und für die Enteignung des Kapitals ein, doch sein Ziel – eine Staatswirtschaft (zumindest für die Übergangsphase) – war wesentlich dasselbe wie bei den Reformisten. Die Folge dieser Strategie war, dass die Verfügungsgewalt des Proletariats über die PM, welche die Arbeiterklasse 1917 mit der Revolution sich anzueignen begonnen hatte, unterminiert und von Stalin schließlich komplett beseitigt wurde. Es bildete sich eine Schicht von Bürokraten, die anstelle der enteigneten Bourgeoisie und des entmachteten Proletariats nun als neuer Manager auftrat und schließlich zur herrschenden Klasse in einem staatskapitalistischen System wurde. Dieses überwand, minimierte oder modifizierte zwar einige Elemente des Privatkapitalismus (Privateigentum, Konkurrenz), bewahrte aber andere (Lohnarbeit, Entfremdung).

    Positionen von Marx und Engels

    Marx hat immer alle Konzeptionen, die das Proletariat „beglücken“ wollen, anstatt deren Selbstständigkeit und Selbstorganisation zu fördern, kritisiert. Im Kommunistischen Manifest heißt es dazu: „Die Erfinder dieser Systeme (hier meint Marx u.a. die Frühsozialisten, d.A.) sehen zwar den Gegensatz der Klassen wie die Wirksamkeit der auflösenden Elemente in der herrschenden Gesellschaft selbst. Aber sie erblicken auf der Seite des Proletariats keine geschichtliche Selbsttätigkeit, keine ihm eigentümliche politische Bewegung.

    Zwar haben Marx und Engels keine theoretische Konzeption einer nachkapitalistischen Ökonomie ausgearbeitet, doch unterschieden sich ihre Auffassungen grundsätzlich von denen der II. Internationale oder auch Lenins. So schrieb Friedrich Engels: „Aber weder die Verwandlung in Aktiengesellschaften und Trusts noch die in Staatseigentum hebt die Kapitaleigenschaft der Produktivkräfte auf. Bei den Aktiengesellschaften und Trusts liegt dies auf der Hand. Und der moderne Staat ist wieder nur die Organisation, welche sich die bürgerliche Gesellschaft gibt, um die allgemeinen äußeren Bedingungen der kapitalistischen Produktionsweise aufrechtzuerhalten gegen Übergriffe sowohl der Arbeiter wie der einzelnen Kapitalisten. Der moderne Staat, was auch seine Form, ist eine wesentlich kapitalistische Maschine, Staat der Kapitalisten, der ideelle Gesamtkapitalist. Je mehr Produktivkräfte er in sein Eigentum übernimmt, desto mehr wird er wirklicher Gesamtkapitalist, desto mehr Staatsbürger beutet er aus. Die Arbeiter bleiben Lohnarbeiter, Proletarier. Das Kapitalverhältnis wird nicht aufgehoben, es wird vielmehr auf die Spitze getrieben. Aber auf der Spitze schlägt es um.

    Das Staatseigentum an den Produktivkräften ist nicht Lösung des Konflikts, aber es birgt in sich das formelle Mittel, die Handhabe der Lösung. Diese Lösung kann nur darin liegen, dass die gesellschaftliche Natur der modernen Produktivkräfte tatsächlich anerkannt, dass also die Produktions-, Aneignungs- und Austauschweise in Einklang gesetzt wird mit dem gesellschaftlichen Charakter der Produktionsmittel. Und dies kann nur dadurch geschehen, dass die Gesellschaft offen und ohne Umwege Besitz ergreift von den jeder anderen Leitung außer der ihrigen entwachsenen Produktivkräften.(MEW 19, S. 221/22)

    Dieses „offen und ohne Umwege“ bedeutet aber gerade, dass kein ungeplanter Markt, keine  dominanten Privatinteressen, aber auch keine Bürokratie Produktion und Austausch der Gesellschaft beherrschen oder stören.

    In diesem Sinn äußerte sich Engels z.B. auch in einem Brief an Bebel 1875: „Die deutsche Arbeiterpartei erstrebt die Abschaffung der Lohnarbeit und damit der Klassenunterschiede vermittelst Durchführung der genossenschaftlichen Produktion in Industrie und Ackerbau auf nationalem Maßstab.(MEW 19, S. 6)

    Nirgends haben Marx und Engels die Vorstellung geäußert, dass die nach-kapitalistische Wirtschaft eine Staatswirtschaft sein solle. Auch die von ihnen durchaus geforderte Verstaatlichung oder Nationalisierung (im Sinne der Enteignung des Kapitals) darf nicht so verstanden werden, da die Verstaatlichung, die Enteignung der Kapitalisten,  nur einen ersten Schrittdarstellt. Mehrfach betonte Marx auch, dass die Produzenten (die Arbeiter) direkten (!) Zugriff auf die PM haben sollen, ohne dass ein „separater“, „abgehobener“ Staatsapparat dazwischen tritt. Staatseigentum aber bedeutet notwendig, dass das Lohnarbeitsverhältnis (wenn auch in modifizierter Form) bestehen bleibt. Lenin hingegen betonte in „Staat und Revolution“, dass die Arbeiterklasse zu „Staatsangestelltenwerden und damit das Lohnverhältnis also nicht aufgehoben werden solle.

    Schon in seinen Frühschriften führt Marx aus, worauf Sozialismus und wirkliche Vergesellschaftung beruhen: auf „Individuen, die vereint sind auf der Grundlage der gemeinsamen Aneignung und Kontrolle der Produktionsmittel. (Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie)

    Engels hebt für den Sozialismus hervor: „Die Gesetze ihres eigenen gesellschaftlichen Tuns, die ihnen bisher als fremde, sie beherrschende Naturgesetze gegenüberstanden, werden dann von den Menschen mit voller Sachkenntnis angewandt und damit beherrscht. Die eigene Vergesellschaftung der Menschen, die ihnen bisher als von Natur und Geschichte aufgezwungen gegenüberstand, wird jetzt ihre eigene freie Tat. Die objektiven, fremden Mächte, die bisher die Geschichte beherrschten, treten unter die Kontrolle der Menschen selbst. Erst von da an werden die Menschen ihre Geschichte mit vollem Bewusstsein selbst machen, erst von da an werden die von ihnen in Bewegung gesetzten gesellschaftlichen Ursachen vorwiegend und in stets steigendem Maße auch die von ihnen gewollten Wirkungen haben. Es ist der Sprung der Menschheit aus dem Reiche der Notwendigkeit in das Reich der Freiheit.(Anti-Dühring, MEW 20, S. 264)

    Eine „sozialistische“ Staatswirtschaft hingegen bedeutet, dass anstelle des Kapitals erneut eine „fremde, „aufgezwungene“ Macht statt der direkt-demokratischen Räteorgane der Produzenten und Konsumenten entscheidet. Die Entfremdung, die Ausbeutung, die Entmachtung bleiben bestehen – sie haben nur die Form gewechselt.

    Eng mit Vorstellungen einer Vergesellschaftung verbunden war in der II. Internationale, im Bolschewismus und bei Stalin die Idee der Überwindung der Marktbeziehungen und der Konkurrenz durch eine geplante Wirtschaft. Auch Marx und Engels sahen das so. Doch verstanden sie darunter eine Planung durch Organe, die von den Produzenten und Konsumenten demokratisch bestimmt werden und nicht (nur) von einer bürokratischen staatlichen Zentrale. Zumindest müsste der proletarische Staatsapparat, soweit er noch notwendig ist, der direkten Kontrolle der Basis unterliegen. In der UdSSR wurde diese Kontrolle nach 1917 jedoch immer weiter eingeschränkt und schließlich im Stalinismus komplett beseitigt.

    Viele Vorstellungen einer nachkapitalistischen Wirtschaft leiden darunter, dass sie die Räte – die wesentlich politische Organe sind – als „Kern“ des Rätesystems ansehen. Doch administrative  Entscheidungen etwa über die Wirtschaft können nicht durch mehr oder weniger „fachfremde“ Organe getroffen werden. Dafür sind Betriebskomitees, Konsumentenvertretungen, Branchen- und Gewerkschaftsgliederungen usw. viel geeigneter. Ein wirkliches Rätesystem umfasst daher mehr als nur die „Räte an sich“. 1917 schufen sich die Arbeiter daher zuerst Betriebskomitees, die auch die proletarische Basis der Sowjets stellten. Gerade diese Betriebskomitees als ursprüngliche Machtorgane des Proletariats wurden aber schon bald nach 1917 entmachtet bzw. später ganz abgeschafft.

    Nach Marx wäre das Ziel einer geplanten proletarischen Ökonomie nicht mehr die Erwirtschaftung von Profit, sondern die Befriedigung der (differenzierten) Bedürfnisse der Gesellschaft. Somit stehe auch nicht mehr der Tauschwert, sondern der Gebrauchswert von Produkten im Zentrum. Statt Geld und Preis würde der Verbrauch von Ressourcen, v.a. die Arbeitszeit, zum Vergleichsmaßstab.

    Trotzkis Antistalinismus

    Leo Trotzki, der mit Lenins politischer Strategie ab April 1917 übereinstimmte, führte einen energischen Kampf gegen den Stalinismus, aber auch er vertrat die Ansicht, dass die Staatswirtschaft notwendig sei. Allerdings wollte er diese demokratisieren und die rätedemokratischen Elemente stärken. Doch auch eine demokratisierte Staatswirtschaft bleibt eine Staatswirtschaft. Bis ans Lebensende weigerte sich Trotzki einzusehen, dass die UdSSR ab 1930 ein staatskapitalistisches Regime und die Bürokratie zu einer neuen herrschenden Klasse geworden waren. Infolge dessen trat er lange für einen Reformkurs ein, ehe er für den Sturz der Bürokratie durch eine politische – nicht eine soziale (!)– Revolution plädierte. Trotzki ging es um die Säuberung der Bürokratie, die Reorganisation des Sowjetsystems und eine Rückkehr zur revolutionär-internationalistischen Politik der Bolschewiki. Doch indem auch er am Modell der Staatswirtschaft festhielt, begrenzte er die Wirksamkeit der Rätedemokratie auf eine Rolle als „Korrektor“, als „Ergänzung“ der Bürokratie. Die Abschaffung der Entfremdung, d.h. der Fremdbestimmung durch eine Bürokratie, war so nicht möglich. Das zentrale Ziel von Marx, die Überwindung der Lohnarbeit, war mit einem staatswirtschaftlichen System unvereinbar.

    Unter den konkreten Bedingungen Sowjetrusslands (Bürgerkrieg bis Frühjahr 1921, Rückständigkeit usw.) war es natürlich unmöglich, mit einem „großen Sprung“ in eine perfekte Rätedemokratie zu gelangen. Es war so teilweise unvermeidbar, dass alte Elemente sozialer und staatlicher Strukturen noch länger mit neuen widersprüchlich koexistierten. Es geht dort – und prinzipiell in jeder Übergangsgesellschaft – darum, die „kommunistischen“ Elemente immer weiter auszubauen. Unter Stalin (und beginnend schon unter Lenin) geschah aber das Gegenteil: der Einfluss der Bürokratie nahm immer mehr zu, während der Einfluss der Sowjets u.a. Organe des Proletariats  immer mehr abnahm – und sogar bewusst zurückgedrängt wurde. Selbst wenn als Übergangsphänomen noch ein „separater“ Staatsapparat existiert, muss dieser unter der (direkten) Kontrolle des Proletariats und der Massen stehen. Wir könnten dann von einem deformierten oder im Werden begriffenen Arbeiterstaat reden. Fehlt diese Kontrolle von unten aber, mangelt es nicht nur an Demokratie – es fehlt eine wesentliche Grundlage dafür, dass die Werktätigen überhaupt die Verfügungsgewalt über die PM und letztlich die Macht inne haben können.

    Die Linke heute

    Die falsche Vorstellung von „Vergesellschaftung“, die mit einer Verstaatlichung „verwechselt“ wird, prägt auch heute große Teile der Linken und teilweise die organisierte Arbeiterbewegung. Die Notwendigkeit und Möglichkeit der Schaffung von Bereichen proletarischer Selbstverwaltung wird sträflich unterschätzt oder gar abgelehnt. Stattdessen wird nur nach dem Staat gerufen, wenn es darum geht, soziale, wirtschaftliche, ökologische u.a. Probleme zu lösen. Bestenfalls wird eine „Verstaatlichung unter Arbeiterkontrolle“ gefordert. Diese Orientierungen verstärken aber nicht nur die Illusionen in den (bürgerlichen) Staat, sie unterminieren auch das Klassenbewusstsein und die Versuche des Proletariats, sich ohne und gegen Staat und Kapital zu organisieren. Diese Politik erschwert es, sich kritisch von den Verbrechen und Obskuritäten des Stalinismus (aber auch der Sozialdemokratie) abzuheben; sie verhindert, den Kommunismus als freiheitlich-humanistische Alternative zum Kapitalismus darzustellen.

    Die Schaffung von genossenschaftlichen und selbstverwalteten sozialen und wirtschaftlichen Strukturen schon im Rahmen des Kapitalismus und deren Vernetzung durch Räte-Organe , die unter Kontrolle der gesamten Klasse stehen,  ist wesentlich, damit das Proletariat gesellschaftliches und wirtschaftliches „Management“ zu erlernen vermag und sich – wenn auch nur in Keimform – eine andere kooperative, „vergesellschaftete Gesellschaft“ entwickeln kann.

    Entgegen den Behauptungen vieler „Marxisten“ stand Marx genossenschaftlichen Strukturen immer positiv gegenüber – sowohl für eine nachkapitalistische Gesellschaft als auch schon im Kapitalismus. Als ein Beleg dafür sei hier ein Passus aus dem 3. Band des „Kapitals“ angeführt: „Die Kooperativfabriken der Arbeiter selbst sind, innerhalb der alten Form, das erste Durchbrechen der alten Form, obgleich sie natürlich überall, in ihrer wirklichen Organisation, alle Mängel des bestehenden Systems reproduzieren und reproduzieren müssen. Aber der Gegensatz zwischen Kapital und Arbeit ist innerhalb derselben aufgehoben, wenn auch zuerst nur in der Form, dass die Arbeiter als Assoziation ihr eigener Kapitalist sind, d.h. die Produktionsmittel zur Verwertung ihrer eigenen Arbeit verwenden. Sie zeigen, wie auf einer gewissen Entwicklungsstufe der materiellen Produktivkräfte und der ihr entsprechenden gesellschaftlichen Produktionsformen naturgemäß aus einer Produktionsweise sich eine neue Produktionsweise entwickelt und herausbildet. Ohne das aus der kapitalistischen Produktionsweise entspringende Fabriksystem könnte sich nicht die Kooperativfabrik entwickeln und ebenso wenig ohne das aus derselben Produktionsweise entspringende Kreditsystem. Letzteres, wie es die Hauptbasis bildet zur allmählichen Verwandlung der kapitalistischen Privatunternehmungen in kapitalistische Aktiengesellschaften, bietet ebenso sehr die Mittel zur allmählichen Ausdehnung der Kooperativunternehmungen auf mehr oder minder nationaler Stufenleiter. Die kapitalistischen Aktienunternehmen sind ebenso sehr wie die Kooperativfabriken als Übergangsformen aus der kapitalistischen Produktionsweise in die assoziierte zu betrachten, nur dass in den einen der Gegensatz negativ und in den andren positiv aufgehoben ist.“ (MEW 25, 456)

    In einer Resolution für die Internationale Arbeiterassoziation (IAA) schreibt Marx 1866 zum Genossenschaftswesen: „Wir anerkennen die Kooperativbewegung als eine der Triebkräfte zur Umwandlung [sic!] der gegenwärtigen Gesellschaft, die auf Klassengegensätzen beruht. Ihr großes Verdienst besteht darin, praktisch zu zeigen, daß das bestehende despotische und Armut hervorbringende System der Unterjochung der Arbeit unter das Kapital verdrängt werden kann durch das republikanische und segensreiche System der Assoziation von freien und gleichen Produzenten.“T

    Teil 2 ist hier zu finden.

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