Von Klaus Mehrbusch – Foto: Geraldine.
Die digitale Transformation der betrieblichen Arbeitswelt ist nicht erst seit Corona ein vieldiskutiertes Thema, erfährt jedoch durch die Auswirkungen der sogenannten Pandemie einen deutlichen Schub (vgl. Bertelsmann-Stiftung 2020: o. S.). Förmlich über Nacht sahen sich Beschäftigte mit einer radikalen Versetzung ins heimatliche Digitalbüro konfrontiert. Als hätten sie nur darauf gewartet, haben im Eiltempo Manager und Konzernleitungen Büros geräumt und einen Großteil ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in eine häusliche, so bisher nicht gekannte und meist ungenügend ausgestattete digitale Arbeitswelt katapultiert. Eine solche Veränderung geht aber nicht ohne Verwerfungen vonstatten und häufig bringt sie soziale und psychische Isolation mit sich sowie die Angst vor Stellenabbau, Lohneinbußen oder auch die Sorge um die eigene Gesundheit. „Gerade für Beschäftige mit Kindern ergaben sich durch die Schließung von Schulen und Betreuungseinrichtungen weitere Herausforderungen und oft auch Konflikte. Viele mussten extremes Multi-tasking betreiben, eine Trennung von Arbeit und Privatleben war vielfach nicht möglich und Stress war und ist weit verbreitet“ (Böhm & Baumgärtner 2022: o. S.).
Immer mehr Menschen wollen selbstbestimmter arbeiten und auf den sogenannten Chef verzichten. Schlagworte wie ‚Flex Work‘, ‚New Work‘, ‚Crowdworking‘[1] oder ‚Remote Work‘[2] sind Ausdruck für ein neues, verändertes Verständnis von Arbeit. Hier verschwimmen die Grenzen zwischen Freizeit und Arbeit, zwischen Büro und Privatwohnung. Selbst arbeiten am Urlaubsort ist für viele Menschen nicht nur vorstellbar, sondern bereits zur Realität geworden. Nachhaltigkeit oder ein ressourcenschonender ganzheitlicher Ansatz von Arbeit bestimmen dabei die Diskussion um eine Flexibilisierung, Digitalisierung und Virtualisierung der zukünftigen Arbeitswelt und verlangen nach einer veränderten Sichtweise auf Erwerbsarbeit (vgl. Hofmann et al. 2019: 34). Trotzdem ist ‚New Work‘, auch 30 Jahre nach ihrer Entstehung, noch immer eine Idee, die auf ihren Durchbruch wartet, deren Zeit aber durch Corona gekommen zu sein scheint. (vgl. Väth 2016: 20). Neben der Hoffnung vieler Menschen, auf diese Weise mehr persönliche Freiheiten wie z. B. Selbst- und Mitbestimmung oder Souveränität und Selbstverwirklichung zu erlangen, geht mit der Flexibilisierung der Arbeitswelt im Gegenzug aber auch eine Stärkung der Macht der Unternehmen, kurz als ‚Gig Economy‘[3] bezeichnet, einher, indem Aufträge z. B. an unabhängige Selbständige nur kurzfristig oder geringfügig vergeben und Risiken auf die Auftragannehmenden übertragen werden. Verantwortungen wie Arbeitssicherheit, Gesundheitsschutz oder Ergonomie werden an die freien Mitarbeiter abgegeben und das soziale Kapital von Teamarbeit verliert zunehmend seine Bedeutung. „Nicht selten kommt es […] auch zu Spannungen und Konflikten in den Teams, da die rein virtuelle Kommunikation und Zusammenarbeit erhöhte Anforderungen an Empathie, Aufmerksamkeit und Selbstkontrolle stellt“ (Böhm & Baumgärtner 2022: o. S.). In der Folge führt dies ebenfalls zu Problemen bei der notwendigen Einarbeitung neuer Kollegen oder von Berufsanfängern, weil keine verlässliche Teamstruktur vorhanden ist, auf die zurückgegriffen werden könnte. Auch ist Mobil- oder Home-Office, im Gegensatz bspw. zu Heim- oder Telearbeit, bisher arbeitsrechtlich nicht definiert.
Eine Studie der Züricher Hochschule für angewandte Wissenschaften aus dem Jahre 2017 belegt, dass sich unter den Studienteilnehmerinnen und -teilnehmern eine große Mehrheit mehr Selbstführung und Partizipation bei Entscheidungen wünscht, während auf der anderen Seite ‚Change Management‘[4] als Führungsaufgabe für die Befragen an Bedeutung gewonnen hat (vgl. Genner 2017: 17ff.). Anstatt der Auswahl einer Führungskraft von oben wünschen sich viele Mitarbeiter eher eine demokratische Wahl mit der Pflicht zur Bewährung. Dies würde ebenfalls zu einer erfolgreicheren Unternehmensentwicklung führen, so die mehrheitliche Einschätzung der Probanden (vgl. Hofmann et al. 2019: 35).
Der zunehmend deutlich werdende Fachkräftemangel führt dazu, dass mittlerweile vielfach die Unternehmen um Bewerber buhlen und nicht umgekehrt. Wichtig für die Entscheidung bzgl. einer Arbeitsaufnahme sind für Mitarbeiter Autonomie, hohe Flexibilität, was Arbeitszeit und -ort betrifft, sowie das Fehlen starrer Hierarchien (vgl. Väth 2016: 8). Demgegenüber nutzen Unternehmen weiterhin Hierarchien, um funktionieren zu können, und verzichten eben ganz bewusst nicht auf eine versteckte Kontrolle durch Firmenleitungen. Es gilt auch zu bedenken, dass flexibilisierte Arbeitsverhältnisse letztlich die Transaktionskosten[5] erhöhen und somit, so eine geläufige Sichtweise, die Wettbewerbsfähigkeit gefährden. Zwar können Berufstätige im Zuge der Digitalisierung auch von mehr Autonomie im beruflichen und privaten Bereich sowie von einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf profitieren, andererseits leiden viele Beschäftigte unter der permanenten Erreichbarkeit, an Informationsüberlastung und zunehmender Entgrenzung zwischen Privatleben und Arbeit.
Aber bedeutet ‚New Work’– und alles, was unter diesem Begriff zusammengefasst wird – wirklich die Befreiung von der ‚Knechtschaft der Lohnarbeit‘, oder sind Multitasking, chronischer Stress, Termindruck, eine der Globalisierung geschuldete, zeitzonenübergreifende ständige Erreichbarkeit, Arbeitsverdichtung durch Eigenverantwortung und Outsourcing mittels kleinteiligem Spezialistentum nicht eher Ursache für, durch die Krankenkassen vermehrt festgestellte, psychische Problemlagen aufgrund einer zunehmend belastenden Berufstätigkeit (vgl. ebd.: 27)? Aus ‚Work-Life-Balance‘ wird so schnell ‚Work-Life-Blending‘[6] und „[d]ie Folge ist die Zunahme von Stressfaktoren wie „Techno-Stress“ und „Always-on“-Mentalität“ (Böhm & Baumgärtner 2022: o. S.). So ist die Generation der sogenannten ‚Millennials‘[7] schon jetzt auf der verzweifelten Suche nach ‚9-to-5-Jobs‘[8], weil die Grenzen des Privaten verschwimmen und das heimische Office zur neuen Arbeitswelt zu werden droht (vgl. Väth 2016: 36f.).
Die Bedrohungsvision eines lebensgefährlichen Virus bot die einmalige Chance, eine bisher nur zögerlich in Gang gekommene Digitalisierung der Arbeitswelt von fast Null auf Lichtgeschwindigkeit zu beschleunigen und Bedingungen zu schaffen, die kaum noch umkehrbar sind. Noch bewegt sich die Transformation der Arbeitswelt auf einer Balance aus virtueller und physisch präsenter Bürokultur, doch die Zeichen am Horizont weisen den Weg, wie ein zukünftiges Arbeitsleben aussehen könnte. Telearbeit, Homeoffice, digitale Dienstleistungen und begegnungsfreie Kundenkommunikationskanäle werden auch nach der Krise noch verstärkt zum Einsatz kommen. Begründet mit einer sich zunehmend verfestigenden Hygienehysterie auch am Arbeitsplatz werden Unternehmen in eine Entwicklung gezwungen, die die tägliche Arbeitswelt ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter langfristig und einschneidend verändern wird.
Quellen
Böhm, Stephan / Baumgärtner, Miriam (2022): Wie verändert Corona die Arbeitswelt? Verfügbar unter: https://www.barmer.de/firmenkunden/gesund-arbeiten/gesundheitsthemen/social-health-at-work-firmen/corona-arbeitswelt-247436 [28.01.2022]
Bertelsmann-Stiftung (2020): Die Auswirkungen der Corona-Krise auf die Arbeitswelt: Was bleibt und was nicht? Verfügbar unter: https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/unsere-projekte/betriebliche-arbeitswelt-digitalisierung/projektnachrichten/die-auswirkungen-der-corona-krise-auf-die-arbeitswelt [28.01.2022].
Genner, Sarah (2017): Der Mensch in derArbeitswelt 4.0. Institut für angewandte Psychologie, IAP Studie, Zürich. Verfügbar unter: chrome-extension://efaidnbmnnnibpcajpcglclefindmkaj/viewer.html?pdfurl=https%3A%2F%2Fdigitalcollection.zhaw.ch%2Fbitstream%2F11475%2F1861%2F1%2F2017_Genner_IAP_Studie_ZHAW.pdf&clen=1894420 [28.01.2022].
Hofmann, Josephine / Piele, Alexander / Piele, Christian (2019):NEW WORK, Best Practices und Zukunftsmodelle. Fraunhofer Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO, Stuttgart. Verfügbar unter: http://publica.fraunhofer.de/starweb/servlet.starweb?path=urn.web&search=urn:nbn:de:0011-n-5436648 [28.01.2022].
Väth, Markus (2016):Arbeit, Die schönste Nebensache der Welt — Wie New Work unsere Arbeitswelt revolutioniert. Offenbach.
[1] Hier findet sich ein Team nur für ein spezifisches Projekt zusammen.
[2] Remote Work bezeichnet die Möglichkeit, den Arbeitsort jeden Tag uneingeschränkt frei wählen zu können.
[3] englisch ‚Gig‘ für Auftritt
[4] Change Management beschreibt die strukturierte Planung und Umsetzung von Veränderungsprozessen z. B. in Unternehmen vom Beginn bis zur Zielerreichung.
[5] Transaktionskosten sind diejenigen Kosten, die nicht bei der Herstellung von Gütern, sondern bei deren Übertragung oder der Transaktion von Rechten oder Kapital entstehen.
[6] Unterschiedliche Bereiche des Lebens – wie Arbeit oder Privatleben – lassen sich nicht mehr eindeutig trennen, sondern überlappen sich (engl. ‚to blend‘).
[7] Millennials ist die Bezeichnung für die um die Jahrtausendwende geborene Generation.
[8] Arbeitszeit von acht Stunden täglich an fünf Tagen in der Woche.