Ein Gastbeitrag von Katinka und Dirkson.
Auch in diesem Jahr beging die Freie Linke den Internationalen Arbeiterkampftag, nun zum zweiten Mal. Zogen wir im letzten Jahr gemeinsam mit anderen durch Lichtenberg, so fand in diesem Jahr unsere 1. Mai-Demo im Berliner Stadtteil Wedding statt. Startpunkt war der Nettelbeckplatz und dort beginnt auch dieser kleine Bericht.
Neben anderen hatte die FREIE LINKE unter dem Motto „Pandemie und Krieg = Profit für die Konzerne!“ zu einer systemkritischen Protestkundgebung im Wedding mit anschließendem Protestzug durch den Bezirk aufgerufen. Am Treffpunkt versammelten sich einige Hundert Teilnehmer um 13 Uhr auf dem von der Polizei eingehegten Platz. Während von einem der Wagen erste Redebeiträge gehalten wurden, begrüßten sich alte und neue Mitstreiter. Viele verschafften sich einen Überblick und wurden dann auch der kleinen Gruppe sogenannter Antifa-Gegendemonstranten im wohlbekannten Einheitslook gewahr. Gleich hinter einer kleinen Rasenfläche hatten sich die vielleicht 50 zumeist noch jugendlichen Schreihälse samt ihrer ideologischen Einheizer aufgestellt. Mit den üblichen immer gleichen Parolen in rüpelhaftem Ton und aggressiver Gestik begrüßten sie beharrlich die Teilnehmer unserer freiheitlichen 1. Mai-Demo. Und da man ja nicht unhöflich sein mag, gab’s dann auch prompt ein kleines antifaschistisches Ständchen zurück – „Pharmavertreter, Arbeiterverräter“ – das klarstellte, was von derartigen Pöblern zu halten ist.
Dieser erste kleine Spaß sorgte durchaus für Erheiterung, obwohl man ja eigentlich mit diesen jungen Leuten viel lieber gemeinsam für die Interessen der Menschen auf die Straße gehen würde. Doch 2022 ist die Situation wie schon seit 2 Jahren unverändert. Während einige linke Gruppierungen realen Protest auf die Straße bringen, verbeißen sich andere in den Protest gegen ihnen nicht genehme Linke. Also links gegen links? Keineswegs! Denn schaut man sich Ideologie und Handeln der sogenannten Antifa genau an, ist unübersehbar, dass diese nicht mit linken Idealen vereinbar sind. Die Rede ist von der irrationalen Fokussierung auf Regierungskritiker und Friedensaktivisten (wie man es stets am Rande von systemkritischen Protesten beobachten kann) dieser Teile der Antifa, die im Folgenden aufgrund ihrer ideologischen Ausrichtung jedoch passender „Profa“ genannt wird. Wer in dem Kontext den lachenden Dritten spielen möchte, scheint klar und erweckt zugleich die Frage Qui bono?
Von einem der Wagen rief noch während dieser kleinen Episode ein Redner zum Bereitmachen für den Umzug auf, und die mit Transparenten und Mainelken geschmückten Wagen brachten sich in Position. Der Redner wagte noch die Ankündigung, dass sich erfahrungsgemäß beim Umzug die Teilnehmerzahl noch deutlich erhöhen würde und behielt damit auch recht. Laut Polizei wurden es dann etwa 800 Teilnehmer.
Begeistert vom frühlingshaft schönen Wetter, perfektem Fahnenwind, Musik und linker Aufbruchsstimmung setzte sich der Demo-Zug mit der FREIEN LINKEN an der Spitze und ihrem Banner „FREIHEIT WIRD NICHT MIT KRIEG VERTEITIGT“ in Bewegung und zog viele weitere Menschen an. Ein buntes Fahnenmeer, darunter die schönen roten der FREIEN LINKEN, blaue Friedensfahnen, schwarze mit „GEGEN NAZIS“-Aufschrift oder dem A im Kreis sowie den schwarzen der FreieLinkeAnarchisten wurden zum Takt der Musik und der Protestrufe der Demonstranten geschwungen. In vielen kleineren und größeren Redebeiträgen wurde vor allem Kritik gegen die Ausbeutung der Menschen durch den neoliberalen Kapitalismus und den Aufbau totalitärer Strukturen durch die Macht- und Finanzeliten thematisiert. Aber auch die Ablehnung jeglicher Kriegsbeteiligung in der Ukraine seitens Deutschlands – sei es durch Waffenlieferungen oder militärische bzw. geheimdienstliche Aktivitäten – wurde vehement vertreten. Verbal wurde das auch immer wieder lautstark durch Rufe wie „FRIEDEN SCHAFFEN OHNE WAFFEN“, „NATO UND US-STRATEGEN WERDEN WIR DAS HANDWERK LEGEN“ und „FRIEDEN, FREIHEIT, SELBSTBESTIMMUNG“ bekräftigt. Dazu wurde die Internationale gesungen und das Hochhalten der internationalen Solidarität ausgedrückt. Auch gab es viele tolle Transparente, im Folgenden nur eine kleine Auswahl aus den darauf dargestellten Slogans:
„KRIEG NUTZT IMMER NUR DEN REICHEN“ – „CHAMPAGNER FÜR ALLE STATT GEN-INJEKTION“ – „NIE WIEDER KRIEG, FASCHISMUS UND DIKTATUR“
Der Zug war noch nicht lange unterwegs, da ereignete sich auch noch eine ganz eigenartige Geschichte, man könnte in ihr sogar eine false flag vermuten. Zwei optisch nun gar nicht zu uns passende Gesellen – sagen wir es offen: Die sahen aus, wie scheiß Nazis eben aussehen, einer hatte groß „Patriot“ als Brustaufdruck auf dem Shirt – hatten sich unter uns geschlichen. Aber recht schnell hatten einige Teilnehmer das Nazi-Gespann umkreist und forderten vehement und lautstark dessen Verschwinden, bis die Polizei dann diesen Wunsch zu verwirklichen half. Durch wundersame Fügung tauchten passend dazu auch noch andere seltsame Vögel am Wegesrand auf: der rechte „Experte“ Sudelmeier und ein Spezialist für Denunziation, Jörg R., fanden sich wie von Zauberhand zum Fotoshooting ein. Wollte man hier der Protestbewegung mal wieder ein paar faule Eier ins Nest legen? Es mache sich hier jeder selbst seinen Reim.
Und wo wir gerade bei den Vögeln am Wegesrand sind: An strategischen Stellen erschienen in regelmäßigen Abständen kleinere Grüppchen desorientierter Profa – man kann vermuten, dass es sich hier um „Plätzchen wechsle dich“-Grüppchen handelte –, die in immer gleicher Manier mit wenig variierendem, aggressivem Gebaren ihren dümmlichen Hass gegen die nun gut angewachsene Gruppe systemkritischer Demozügler ausdrücken wollten. Im Wesentlichen waren das „Alerta … Stinkefinger … Wir impfen euch alle … Stinkefinger … Raus aus den Kiezen“, naja ihr kennt das ja.
Wie man auch an diesem 1. Maitag sehen konnte, richten sich, im Gegensatz zu den Ursprüngen der Antifa, Kritik und Handeln der Profa tatsächlich nicht mehr nach oben gegen die gewaltausübende autoritäre Herrschaft, sondern nach unten gegen die widerständigen ungehorsamen und dreist an linken Idealen festhaltenden Menschen mit ungebrochen kritischem Bewusstsein. Die Profa fordert Gehorsam gegenüber staatlichen Anmaßungen und verkündet ja auch ganz offen, wie gern sie selbst diesen mit Gewalt gegen nicht fügsame Menschen durchsetzen möchte. Das Ganze nennt sie dann Solidarität. „My body – my choice“ war scheinbar einmal, die ideologische Schieflage hier ist nicht zu übersehen. Es ist nicht rational erklärbar, dass das Zurückfallen hinter die aus dem Feminismus geborenen Errungenschaften der Forderungen nach Selbstbestimmung über den eigenen Körper, die in der Weiterentwicklung für alle Menschen gleichermaßen gelten, von der Profa befürwortet wird.
Ihre Aktivitäten beschränken sich sichtbar auf Hetze, Denunziation, Ausgrenzung und Verfolgung Andersdenkender und fokussieren damit vor allem auf Destruktivität. Bereits im Vorfeld des Protestes zum 1. Mai wurden von der Profa im Sinne eines öffentlichen Prangers und im Stil von Kopfgeldplakatierungen rund um den Nettelbeckplatz Wände, Stromverteilerkästen und andere Flächen reihenweisen mit Plakaten beklebt, die Porträtfotos, Namen und teilweise Adressen von widerständigen Menschen zeigen, darunter Mitglieder der Freien Linken. Dies kann als Aufruf zur Verfolgung Andersdenkender verstanden werden und bildet die pro-faschistischen Auswüchse der neuen obrigkeitshörigen und gehorsamen Profa in erschreckender Weise ab. Insgesamt ergibt das das Bild einer identitätsgestörten Gruppierung. Es ist anzunehmen, dass es für diese Erkenntnis noch eine Weile braucht, da hier eine reflektierte Analyse der realen und der Scheinidentität von Nöten wäre. Denn hier liegt ganz offensichtlich eine enorme Diskrepanz bei der Profa vor. Die eigene Identität wird als links umgedeutet und mit einiger Vehemenz so verkauft, trägt in der Realität jedoch oft zumindest proto-faschistische Züge.
Man kann annehmen, dass der Konflikt beide Seiten beschäftigt halten soll, um die Einen von der berechtigten Systemkritik fernzuhalten und als billiges PR-Organ staatlicher Propaganda zu nutzen und die Anderen durch Auseinandersetzung mit ersteren an Nebenschauplätzen zu binden und sie von öffentlichen Diskursräumen auszuschließen. Und leider funktioniert es, eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der Gegenseite war auch an diesem Tag größtenteils nicht möglich.
Einige Freie Linke versuchten während des Umzuges, diese Denunziations-Plakate zu entfernen, wo sie sie entdeckten, aber leider hatten einige Polizisten etwas gegen diese Bemühung um die öffentliche Sauberkeit, da die Entfernung der Dinger „Sachbeschädigung“ sei – einfach unfassbar.
Am Franz-Naumann-Platz machte der Demo-Zug dann eine Pause für einige stationäre Rede- und Live-Musikbeiträge. Insgesamt gab es in der Veranstaltung viele gute, informative wie mahnende Beiträge. Der Ernst der geopolitischen Situation rund um den Ukraine-Konflikt, die reale Gefahr eines drohenden Weltkrieges haben viele emotional sehr ergreifende Momente entstehen lassen. Aber es gab auch Momente der Zuversicht und des Kampfeswillens, ja der Stärke, wie sie zum Beispiel in den kraftvollen Reden unserer Mitstreiterin Sandra zum Ausdruck kamen.
Nach dieser kleinen Pause setzte sich der Demo-Zug wieder in Bewegung, und durch die energiegeladene Stimmung, die lauten Rufe und die Musik wurden auch viele Anwohner in ihren Fenstern sowie Passanten auf den Gehwegen auf uns aufmerksam. Wir konnten viel Zuspruch in Gestik und Mimik bis hin zu echter herzlicher Freude und guten Gesprächen wahrnehmen. Das sollte uns Anspruch und Ansporn sein: Unsere 1. Mai-Demo muss zu einem festen Bestandteil des Demo-Kalenders werden. Wir bleiben auf der Straße!
Die Außerparlamentarische Opposition stellt momentan das einzige Korrektiv für das unverantwortliche Handeln der etablierten Akteure in Politik und Medien dar. Die käuflichen Diener der Oligarchen scheren sich offensichtlich einen Dreck um die Interessen der Menschen.
An ein, zwei Stellen tauchten dann noch ein paar versprengte Gegendemonstranten auf, aber bei dem guten Wetter hatten die wohl keinen Elan mehr, und so lief der Zug ungestört bis zu seinem Endpunkt am Bahnhof Gesundbrunnen. Man soll ja die Hoffnung nicht aufgeben, vielleicht ist ja einigen auch ein Licht aufgegangen und sie haben kapiert, dass es da draußen auch noch die echten Nazis von NPD oder III. Weg gibt. Klar versuchten die auch vom Anti-Maßnahmen-Protest zu profitieren und an Stellen, wo linkes oder gesellschaftliches Engagement aus der Mitte fehlte, diesen sogar zu übernehmen – aber nicht da, wo die Freie Linke auf der Straße ist. Vielleicht erkennen ja noch einige der Profa, welchen Bärendienst sie durch ihr tun den Menschen erwiesen haben. Empört euch gegen totalitäres Handeln, Unterdrückung und Machtwahn von Seiten des Staates und der Kapitaleliten! Manchmal muss man sich im Leben entscheiden. Will man lieber das störende Sandkorn oder lieber der Schmierstoff sein, der das kranke System am Laufen hält?
Die Abschlusskundgebung am Bahnhof Gesundbrunnen endete dann nach einigen weiteren Redebeiträgen. Für viele war dies sicher ein langer, mitreißender und intensiver Tag, aber es war auch eine gelungene Demo, die man für sich betrachtet als Erfolg werten kann. Es bleibt, allen Teilnehmern und im Besonderen allen an der Orga Beteiligten einen herzlichen Dank auszusprechen. Unbedingt im nächsten Jahr wieder!
Lasst uns widerständig bleiben!
Seien wir das Sandkorn im Getriebe des Faschismus!
Schaut auch hier gern rein: https://t.me/FreieLinkeAnarchisten
Erstveröffentlicht: https://wordsmith.social/freielinkeanarchisten/auf-gehts-zum-1