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Das neue Normal oder alter Mist?

    Ein Gastbeitrag von Dirkson.

    Um mich herum wurden neuerlich Menschen ausgetauscht.

    Bevor man mich nun zu einer besonders abgefahrenen Sorte von Verschwörungstheoretikern zählt, muss ich das wohl erklären. Ich saß kürzlich auf Arbeit im Büro in einer kleinen Kollegen-Runde, und irgendwie kam das Gespräch auf die Entwicklung der Spritpreise. Schön wäre es, wenn es das gewesen wär’, dann könnte ich nach diesen paar Zeilen das Blatt zerknüllen und in den Papierkorb werfen, aber leider kam von dem am Rande sitzenden Ingo (Name geändert) die Bemerkung: Na hoffentlich knallen sie den Putin bald ab.

    Ingo kenn’ ich schon seit vielen Jahren als einen freundlichen und auch toleranten netten Mann, von dem ich derartige Äußerungen noch bis vor kurzem nicht erwartet hätte. Was ist also mit Ingo geschehen? War es echt nur die Spritpreis-Entwicklung, die ihn derartiges sagen ließ? Ich glaube, es gab auch schon vorher deutsche Politiker, die eine solche Preis-Entwicklung forderten, um den Deutschen ihr liebstes Fortbewegungsmittel für die „gute Sache“ in Zeiten des kriselnden Klimas abzugewöhnen. Denen jedoch hat Ingo, meine ich, nicht so ein Schicksal gewünscht. Ist es der Einmarsch der russischen Streitkräfte in die Ukraine und der sich seitdem dort ausbreitende Krieg? Ja schon, irgendwie, aber auch hier gab es ja zuvor ebenfalls schon vergleichbare Ereignisse. Und dann auch noch so schnell, nach nur zwei Wochen ist der Hass in dem zuvor des Hasses unverdächtigen Ingo angelangt.

    Leider ist er nicht der einzige, von dem ich in den letzten Tagen etwas in dieser Art, gegen Putin oder die Russen im Allgemeinen Gerichtetes gehört habe. Auf den von den „Qualitätsmedien“ bejubelten Pro-Ukraine Demos sind „Kill-Putin“-Plakate und ähnliches keine Randerscheinung. Man erinnere sich an den Aufschrei wegen der vereinzelten Reichsfahnen auf den sogenannten Querdenkerdemos – aber hier kein Vergleich, nichts. Für diese neue „gute Sache“ ist Russophobie jetzt Staatsräson.

    Da bricht sich etwas Bahn. Nach den nun schon zwei Jahren der Corona-Selbstkasteiung mit all den Entbehrungen und aufgezwungener „Solidarität“ platzt es jetzt aus den deutschen Gemütern heraus. Es darf ganz offen gehasst werden, solange es Putin und die Russen sind, denn sie wurden vom Wertewesten zum Hassen freigegeben, was der artige Konforme auch sofort in heuchlerischer Hingabe freudig umsetzt. Ein neues altes Feindbild ist gefunden. Nur was hat die Veränderung auch in Ingo bewirkt?

    An dieser Stelle müssen wir über die Medien reden, denn was gerade in den sogenannten „Qualitätsmedien“ an Ressentiments, Hass und Hetze verbreitet wird, ist tatsächlich unerträglich. Nein, das ist zu schwach: Es ist selbst ein Verbrechen.

    Man muss sich im Ernst fragen, haben die Deutschen nichts aus der Geschichte gelernt? Im durch das damalige Deutschland verursachten Zweiten Weltkrieg kamen geschätzte 27 Millionen Russen ums Leben und insgesamt schätzt man die Opfer des Zweiten Weltkrieges auf 65-80 Millionen Tote. Die deutschen Medien sollten sich angesichts dieser grausamen Geschichte auf ihre Verantwortung besinnen und einen deeskalierenden Kurs einschlagen. Gespräche und Friedensverhandlungen müssen jetzt gefördert werden und nicht etwa Aufrüstung und mentale Scharfmachung auch der deutschen Bevölkerung. Wir erleben hier gerade einen Missbrauch mit Mitteln der systematischen Massenbeeinflussung. Erste Übergriffe und Ausgrenzungen gegenüber in Deutschland lebenden Russen zeigen bereits die furchtbare Wirkung.

    Ich möchte hier in aller Deutlichkeit sagen: Ich verurteile den kriegerischen Akt Russlands gegenüber der Ukraine. Es ist politisches Versagen, wo das Wort verstummt und die Waffen sprechen. Aber hier ist ein Versagen auf allen Seiten festzustellen, und leider ist es vermutlich auch noch viel mehr als das. Wurden die Bemühungen um den Frieden in dieser Region gezielt hintertrieben? Fakt ist, vor dem Rückzug der sowjetischen Truppen aus den Gebieten des ehemaligen Warschauer Paktes wurden seitens der Verantwortlichen auf Nato-Seite Zusicherungen gemacht, ihr Einflussgebiet nicht weiter nach Osten auszudehnen. Fakt ist auch, die Nato steht heute mit vielen Stützpunkten an der russischen Grenze. Wer stellte der Ukraine, der es außerdem danach gelüstet, sich atomar zu bewaffnen, einen NATO-Beitritt in Aussicht? Wer förderte den Nationalismus in der multiethnischen Ukraine, initiierte und heizte so den seit nunmehr 8 Jahren andauernden Bürgerkrieg an? Dass die echten Nazis des Regiment Asow , der Banderisten oder des Prawyj Sektors schon länger Teil der regulären militärischen Strukturen der Ukraine sind, ist ebenfalls ein bekannter Fakt. 2014 und sogar noch 2019[1] berichteten die „Qualitätsmedien“ noch über diese Faschisten, heute sind diese meuchelnden Verbrecher trotz ihrer Angriffe auf Zivilisten, darunter Frauen und Kinder, die gefeierten Helden.

    Die Frage nach dem cui bono ist auch hier zu stellen. Es scheint erst einmal die Rüstungsindustrie zu sein, die sich nach der Verkündung der Etat-Erhöhung durch den skandalumwobenen Kanzler Scholz der zu erwartenden Gewinne erfreuen darf, und entsprechende Kursgewinne haben sich am Aktienmarkt auch sogleich eingestellt. Nach Big-Pharma ist jetzt also die Rüstungslobby an der Reihe. Wer steckt hinter all diesen Geschäften und wie sind die Verbindungen zur Medienbranche des Westens?

    Es ist auch keineswegs das erste Mal, dass sich der „Leitjournalismus“[2] an seinen Mitmenschen versündigt. In jüngerer Vergangenheit fällt mir da der Irakkrieg 1991 mit der durch eine PR-Agentur erdachten Schock-Strategie samt dreister „Brutkastenlüge“ ein. Vergleichbare Muster in der Berichterstattung sahen wir auch unter anderem zu Jugoslawien, zum zweiten Irakkrieg, zur Krise in Libyen und Syrien. Und da haben wir sogleich das Kernproblem des „Leitjournalismus“ oder der „Qualitätsmedien“ wie ich die Troubadoure der Herrschenden samt ihrer Hauspostillen oft nenne. Er darf kritisieren und das eine oder andere Skandälchen aufdecken, aber er darf nicht den „demokratischen“ kapitalistischen Staat als solchen infrage stellen. Gleiches gilt insbesondere für die transatlantischen Bündnispartner aus Übersee, die USA und die NATO. Bei Themen, die diese Bereiche berühren, werden die „Qualitätsmedien“ und hier ganz besonders die Öffentlich-Rechtlichen zu Presseorganen der Regierung. Also ist gerade bei diesen wichtigen Fragen von Krieg und Frieden ein chronisches Versagen der sogenannten „vierten Gewalt“ festzustellen und jede Vorstellung von einer auch nur annäherungsweise objektiven Berichterstattung ein fataler Trugschluss.

    „Das erste Opfer des Krieges ist die Wahrheit“.

    Um auf Ingo zurückzukommen, ich sagte ihm, die Tötung Putins würde vermutlich weder den kriegerischen Konflikt in der Region noch das Leiden der dort lebenden Ukrainer und Russen beenden. Ich sagte ihm außerdem, dass wir hier eine absichtsvoll herbeigeführte Kriegssituation sehen, der eine gezielte Destabilisierung vorausging und die man eben bei uns dafür hernehmen wird, um Dinge umzusetzen, die man sowieso vorhatte zu tun. Die Erhöhung der Spritpreise ist da miteinkalkuliert. Ein immer autoritärer auftretender deutscher Staat, genauso wie der undemokratisch entstehende und mindestens ebenso autoritäre europäische Superstaat, sind Werkzeuge der Oligarchen der westlichen Welt, (zu) denen auch die „Qualitätsmedien“ gehören.

    Für mich als Anarchisten wäre der Fall eines autokratischen Herrschertyps wie Putin, wiewohl ich gänzlich gegen das Töten von Menschen bin, zwar vermutlich keine besonders schmerzliche Angelegenheit, aber mir ist bewusst: Es sind die Strukturen, welche die Herrschaft erhalten und in der ein Anderer seine Stelle einnehmen würde. Letztlich liegt es an den Menschen zu erkennen, dass die ‚Herrenmenschen‘ sowie die in ihrem Dienst stehenden Eliten samt ihrer instrumentalisierten Medien auch durch Desinformation einen permanenten Krieg gegen sie führen. Oben gegen Unten.

    Um Brot und Freiheit, und ich ergänze: auch Wahrheit, müsst ihr kämpfen. Einen Kampf um Selbstbestimmung, Gleichwertigkeit, Freiwilligkeit und Friedfertigkeit.

    Nie wieder Faschismus! Nie wieder Krieg!

    Schaut auch hier mal rein: https://t.me/FreieLinkeAnarchisten

    Erstveröffentlicht: https://wordsmith.social/freielinkeanarchisten/das-neue-normal-oder-alter-mist


    [1] Süddeutsche Zeitung: https://www.sueddeutsche.de/politik/kolomoisky-praesidentschaftswahl-in-der-ukraine-selensky-1.4418172

    [2] Den Begriff „Leitjournalismus“ habe ich dem sehr empfehlenswerten Artikel von Jimmy C. Gerum: „Wie ich das Vertrauen in die Leitmedien verlor“, entnommen. Erschienen im Free21 Magazin Nr. 1, 9. Jg., Februar 2022.

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