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Filmkritik: Tatort – Der Pott (1989)

    Von Roland McHale.

    Unsere unfreiwillig entrichteten GEZ-Gebühren werden selten, aber manchmal doch, für sinnvolle Dinge verwendet: in der WDR-Mediathek gibt es derzeit alle „Tatort“-Episoden mit Götz George als Horst Schimanski zu sehen, noch dazu digital restauriert! Große Klassiker der (west-)deutschen Fernsehgeschichte, in denen der Ruhrpott der 80er-Jahre quasi als zweiter Hauptdarsteller zu bestaunen war. Zwar sind die eigentlichen Krimi-Handlungen manchmal nur mäßig spannend, der Soundtrack manchmal schlecht gealtert und einige Episoden storytechnisch auf dem Level von handelsüblichen B-Actionfilmen – die Milieustudien und das gesamte 80er-Jahre-Flair sind jedoch einfach unerreicht (woran auch die späteren „Schimanski“-Revivals in den 2000er-Jahren gekrankt haben, so gut auch diese teilweise noch waren). Und einige Episoden haben es richtig in sich, besonders der Opener „Duisburg-Ruhrort“, „Moltke“ und „Der unsichtbare Gegner“ sind meine Favoriten. Für eine politische Homepage wie diese ist aber vor allem „Der Pott“, Schimanskis 20. Fall, besonders interessant:

    Ein Duisburger Stahlwerk wird im Zuge eines Streiks von den Arbeitern besetzt, der Protest richtet sich gegen den Abbau von einigen hundert Arbeitsplätzen und wird von der Gewerkschaft ausdrücklich nicht unterstützt. Während einer Soli-Veranstaltung (mit Rio Reiser + Band) rauben zwei bewaffnete Täter die Streikkasse in Höhe von 500.000 D-Mark an Spenden aus der Arbeiterklasse, wodurch der Streik finanziell gefährdet ist. Als kurze Zeit später einer der Überfallenen ermordet aufgefunden wird (mit drei Schüssen hingerichtet), kommt Kommissar Schimanski (Götz George) ins Spiel, dessen Kollege Thanner (Eberhard Feik) gerade nach Bonn ins BKA befördert wurde, zu einer Task-Force, die eigens zur Beobachtung der Arbeitskämpfe im Ruhrgebiet eingerichtet wurde. Bei seinen Ermittlungen bekommt Schimanski daher einen neuen Kollegen namens Wilms (Thomas Rech) zur Seite gestellt, der fürs Raubdezernat den Fall mit der Streikkasse ermittelt. Schnell machen Schimanski und Wilms bei ihren Ermittlungen unliebsame Bekanntschaft mit dem Verfassungsschutz-Beamten Hochmaier (Miroslav Nemec), der mit der Sache etwas zu tun haben scheint …

    „Wenn die Ruhr brennt, reicht der Rhein nicht zum Löschen.“ (Konrad Adenauer)

    Dieses Zitat wird in diesem Film von allen Seiten sehr häufig bemüht, und für eine öffentlich-rechtliche Produktion ist beachtlich, dass kaum etwas ausgelassen wird: Die Polizei kommt – abgesehen von unseren bekannten Protagonisten – eher schlecht weg, BKA und Verfassungsschutz ebenso, auch die häufig unrühmliche Rolle der offiziellen Gewerkschaften wird thematisiert. Der Soundtrack kommt von Rio Reiser, wenn auch aus dessen Pop-lastigerer Phase (der Abspann-Song, „Schicht“, ist ein ganz besonderer Ohrwurm!). Man merkt auch, dass damalige „Tatort“-Folgen fast doppelt so viele Drehtage wie heutige hatten, weshalb das Ganze auch filmisch betrachtet einiges hermacht. Beeindruckende industrielle Drehorte wie die Essener Zeche Zollverein tun ihr übriges. Das digitale Remaster ist sehr gut gelungen, wie bei bisher allen anderen Episoden auch. Bis in die kleinsten Nebenrollen ist die Besetzung perfekt ausgewählt, und das Milieu im Stahlwerk und der Wohnsiedlung kommt sehr stimmig rüber, die kühle Bürokraten-Atmosphäre bei BKA, Verfassungsschutz und Werksleitung ebenso. Sogar ein kleiner Seitenhieb auf die Medien kommt vor, wenn Schimanski bei Feierabend-Bier und Tagesschau Interviews mit ausgewählten Passanten sieht, deren blumig umschriebene Verachtung für das streikende Proletariat hört und dann folgerichtig lieber eine Rio-Reiser-Platte auflegt. Einen ähnlich schönen Seitenhieb gibt es auf Kapitalisten, die sich als „Alt-68er“ bezeichnen – hier wird wirklich nichts ausgelassen, was uns schon immer an der pseudo-linken BRD-Fassade gestört hat! Thanner (ohne den Schimanski undenkbar ist) hat in diesem Fall eher weniger Screentime, aber wenn, dann handelt es sich um großartige Momente, sitzt er doch mit BKA und Verfassungsschutz an einem Tisch im aalglatt polierten Bonner Büro, das ein visuell bestens gestalteter Gegenpol zum Duisburger Morddezernat ist. Die schauspielerischen Leistungen sind durch die Bank großartig, wie es bei heutigen „Tatorten“ nur noch vereinzelt der Fall ist.

    Die Regisseurin Karin Hercher stammte ursprünglich aus der DDR und war in den 60er-Jahren als Darstellerin, in den 70er-Jahren als Regisseurin beim Fernsehen tätig, ehe sie in den späten 1980ern nach Westdeutschland übersiedelte, wo sie bis in die frühen 2000er vorwiegend als Episodenregisseurin für konventionelle TV-Ware zuständig war. „Der Pott“ bleibt ihr einziger Beitrag zur „Tatort“-Reihe und ihre bekannteste Regiearbeit, wobei sie auch an dem DDR-Klassiker „Wege übers Land“ (1968) als Regieassistentin beteiligt war.

    Auch wenn die Auflösung der Krimi-Handlung an sich keine große Überraschung ist und relativ früh klar wird (wie in vielen von Schimanskis Fällen): Es ist vor allem eine sehr interessante Milieu-Studie aus einer untergegangenen Welt, und als solche sehr gut gelungen. Absolutes Must-see!

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