Von Hanns Graaf – 10.10.2024.
Erstveröffentlichung: https://aufruhrgebiet.de/2024/10/die-linke-im-sinkflug/
Die Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg endeten für Die LINKE katastrophal. In Thüringen kam sie auf 13,1% und verlor dramatische 17,9%. In Sachsen erreichte sie 6,4% bei Verlusten von 5,9%. Immerhin errang sie ein Direktmandat, wodurch sie weiter im Landtag vertreten ist. Ein komplettes Fiasko erlebte die Partei in Brandenburg, wo sie nur noch 2,9% holte und sagenhafte 17,9% verlor. Auch ihre Direktkandidaten scheiterten klar, so dass die LINKE nicht mehr im Brandenburger Landtag vertreten ist.
Jede dieser Wahlen hatte ihren eigenen Charakter. So konnte die LINKE in Thüringen von der Popularität ihres Ministerpräsidenten Ramelow profitieren. In Brandenburg spitzte sich alles auf den Zweikampf zwischen der SPD und der völlig übertrieben als „rechtsradikal“ diffamierten AfD zu. Das hat der SPD und ihrem Ministerpräsidenten Woidke zusätzliche Stimmen von Wählern gebracht, die unbedingt verhindern wollten, dass die AfD stärkste Partei wird. Alle drei Landtagswahlen wurden stark von der Krise der Ampel-Regierung bestimmt. Deren Unbeliebtheit führte einerseits zu den starken Verlusten v.a. bei den Grünen und der FDP, andererseits zu den Erfolgen der AfD und des BSW.
Die allgemeine politische Lage und die Krise der Ampel-Parteien waren für die Opposition – egal, ob rechts oder links orientiert – sehr günstig. Daher fragt es sich, warum die LINKE als Oppositionsparteien davon nicht nur nicht profitieren konnte, sondern dramatisch an Einfluss und Unterstützung verlor.
Hausgemachte Krise
Seit Monaten werden Spitzenfunktionäre der LINKEN nicht müde, die Krise ihrer Partei dem Streit mit Sahra Wagenknecht und der Gründung des BSW anzulasten. Sicher ist ein kleiner Teil der Mitglieder und ein erheblicher Teil ihrer Wähler zum BSW gewechselt. Doch diese Entwicklung ist Ergebnis der jahrelangen politischen Differenzen und der Fehler der LINKEN. Im Zentrum des Streits standen zwei Probleme: 1. die Kritik von Wagenknecht an der Unterstützung und Übernahme bürgerlicher Kampagnen und Bewegungen (Klima, Corona, Genderismus u.a.) und eine im Verhältnis dazu unterbelichtete soziale Frage. 2. ging es um die Ukrainepolitik. Die LINKE unterstützte hier weitgehend das Narrativ vom „bösen Putin“, blendete weitgehend die Hauptverantwortung der NATO aus und befürwortete die Unterstützung des reaktionären Kiewer Regimes – auch wenn man parallel dazu für Verhandlungen eintrat. Im Vergleich zur LINKEN war aber die Position von Wagenknecht – obwohl auch ihre Argumentation tw. fehlerhaft ist (russische „Aggression“, „Annektion“ der Krim) – besser. V.a. war es Wagenknecht und eben nicht die Linkspartei, die wenigstens zwei Mal Menschen gegen die Kriegspolitik mobilisierte. Insofern ist die LINKE selbst daran schuld, dass sich viele Menschen von ihr ab- und dem BSW zugewandt haben.
2006 fusionierte die PDS mit der WASG zur Linkspartei. Damit war die Westausdehnung der bisherigen Ostpartei PDS gelungen. 2009 erreichte die LINKE den Höhepunkt ihres bundesweiten Einflusses bei Wahlen, als sie 11,9% holte. Doch seitdem ging es fast nur noch bergab – nicht nur bei Wahlen, sondern auch hinsichtlich der Mitgliedschaft. Die Mitgliederzahl stagniert insgesamt bei um die 60.000 – etwa so viel wie bei der Klientel-FDP, obwohl diese sicher nicht die Interessen von Massen vertritt. Schwerer wiegt dagegen, dass die Mitgliedschaft v.a. im Osten stark überaltert ist. Immerhin liegt die Wählerresonanz bei jüngeren Wählern etwas über dem Wählerschnitt der LINKEN. Anstatt sich aber um Schulpolitik, um Probleme der Jugend, um Ausbildung und um Unis zu kümmern, indem man für andere Inhalte und andere Strukturen eintritt, ging es allenfalls darum, mehr Geld zu fordern. Von einer Kritik an der bürgerlichen Wissenschaft kann bei der LINKEN ohnehin keine Rede sein.
Wirklich desaströs aber ist der Umstand, dass die Arbeiterbasis der LINKEN – Mitglieder wie Wähler – zum großen Teil verloren wurde. Lt. infratest dimap wählten bei der Brandenburger Landtagswahl gerade einmal 3% der „Wählergruppe mit schlechter wirtschaftlicher Situation“ die LINKE. Inzwischen kann die LINKE auch nicht mehr als „bürgerliche Arbeiterpartei“ – politisch bürgerlich, aber sozial stärker im Proletariat verankert – bezeichnet werden. Sie stützt sich v.a. auf die städtische akademische Mittelschicht. Die „Entproletarisierung“ ist – wie im größeren Stil auch bei der SPD – das Ergebnis ihrer reformistischen Politik, die nicht auf Klassenkampf und auf Mobilisierung, sondern nur auf Kompromisse, das „Austarieren“ von Konflikten und Parlamentarismus setzt. Wer sich v.a. gesellschaftlichen Minderheiten anstatt den Millionen Lohnabhängigen widmet, muss sich nicht wundern, dass diese die LINKE nicht (mehr) unterstützen. Der Hauptkonkurrent der LINKEN im Proletariat und in den Gewerkschaften ist die SPD. Ohne alternative Politik und oppositionelle Strukturen im DGB ist es der LINKEN aber unmöglich, gegen die SPD zu punkten.
Mitregieren oder Klassenkampf?
Die Grundlinie der Politik der LINKEN (wie schon der PDS) ist die Kritik an bestimmten „Auswüchsen“ des Kapitalismus. Durch eine Reformpolitik unter Ausnutzung der Parlamente und durch das Mitregieren soll der Kapitalismus sozialer, friedlicher und ökologischer gemodelt werden. Ein löbliches Ziel, das leider immer an den Realitäten scheitert – und scheitern muss. Warum? 1. kann selbst eine Reformierung des Systems, die diesen Begriff verdient, nur gelingen, wenn die Arbeiterklasse dafür kämpft. Dazu müsste die LINKE aber den Reformismus überwinden. Doch sie war allenfalls eine etwas linkere Variante der SPD, aber keine Alternative. 2. kann Reformpolitik nicht über die Parlamente durchgesetzt werden, da die Macht nicht nicht beim Parlament liegt. Das heißt nicht, dass Parlamente nicht ausgenutzt werden können – doch wenn, dann als Podien, um den Kapitalismus zu kritisieren und den Klassenkampf „anzuspornen“. Genau das macht die LINKE aber nicht.
Noch fataler ist die Beteiligung der LINKEN an (bürgerlichen) Regierungen. Jedes Mal wurde mit dem Versprechen, für „die Menschen etwas zu verbessern“, geworben; jedes Mal gab es nur Enttäuschungen für die Wählerschaft und die Unterstützung ließ nach. Das Problem daran war weniger, dass die gewählten Vertreter der LINKEN keine Reformen wollten. Der Haken war vielmehr, dass wirkliche Reformen im Rahmen der kapitalistischen Ordnung unmöglich und nur mit grundlegenden Eingriffen in die Verfügungsgewalt des Kapitals denkbar sind. Dazu aber brauchte es nicht nur geeignete Koalitionspartner sondern v.a. die kämpferische Mobilisierung der Lohnabhängigen. An beidem aber mangelte es. Und wo Unterstützung da war, wie im Fall der Bewegung „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“, wurde das Potential nicht genutzt.
Die LINKE sieht sich zudem auch immer als Interessenvertreter des Staates bzw. der Kommune (und ihrer Kasse) und weniger als Sachwalter der Interessen der Arbeiterklasse. So beteiligte sie sich z.B. an Wohnungsprivatisierungen, um die Stadtkasse zu sanieren – auf Kosten der Mieter. Als dann in Berlin die Initiative „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“ sogar eine Mehrheit der Bevölkerung hinter sich brachte, war der LINKEN das weitere Mitregieren wichtiger als der Erfolg der Bewegung. Diese wurde in einem parlamentarisches Gremium, das „die Sache diskutiert“, entsorgt.
Auf der Ebene der Kommunen war es oft auch so, dass berechtigte Initiativen der Bevölkerung wegen unsinniger Entscheidungen und Projekte gegen die Interessen der Bürger, z.B. zum Straßenbau, abgelehnt wurden. Ergebnis? Die LINKE verlor an Unterstützung an Bürgerbewegungen wie die „Orangenen“ von Peter Vida im Land Brandenburg. In vielen Kommunen ist die LINKE aktiv – doch immer im Rahmen der bürgerlichen Politik. Immer mehr Menschen sind von „der Politik“ und “der Demokratie“ enttäuscht. Doch anstatt deren berechtigte Kritik aufzugreifen, die systemischen Ursachen zu benennen und Alternativen zu fördern – Protest, Basisaktionen, Selbstverwaltung usw. -, verbleibt man im „gewohnten Rahmen“.
Linke Flanke des Mainstreams oder Opposition?
Sahra Wagenknecht hat in ihrer Kritik an der LINKEN zurecht einen wunden Punkt angesprochen: den Hang der LINKEN, jede bürgerliche Mode mitzumachen und jeder „grünen“ Bewegung hinterherzurennen. Ob es um die Corona-Lockdowns, um den Klimaalarmismus, um absurde Projekte im Rahmen der Energiewende, um das Gendern oder um den Atomausstieg geht – immer mischte die LINKE mit, ja sie wollte oft sogar besonders radikal sein. Während man die verrückten und die Sicherheit gefährdenden (Flughafenbesetzungen) Klimakleber verteidigte, wurden Umweltschützer, die gegen Windräder in Wäldern protestierten, als reaktionär verunglimpft. Nie war die LINKE bereit und in der Lage, die Unwissenschaftlichkeit der diversen „links-bürgerlichen“ Kampagnen und deren massenfeindliche Folgen zu erkennen. So kam es, dass sich immer mehr Menschen von der LINKEN abwandten, weil deren Politik gegen die Interessen der Menschen und des Landes verstießen, und sich der AfD zuwandten. Man bekämpfte die AfD, doch man war nicht bereit, auch nur einmal darüber nachzudenken, ob die AfD trotzdem in einigen Punkten (Klima, Energie, Kernkraft u.a.) richtig liegen könnte. Diese Unfähigkeit der LINKEN zur Analyse hat auch damit zu tun, dass man nicht in zentralen Fragen eine andere Position haben kann (oder will) als die potentiellen Koalitionspartner.
Selbst da, wo die LINKE richtig lag, z.B. in der Kritik an der reaktionären Asylpolitik, schüttete sie das Kind mit dem Bade aus, indem sie die abstruse Losung „Für offene Grenzen“ aufstellte. Damit demonstrierte sie, dass ihr eine abstrakte Ideologie wichtiger ist als die realen Sorgen der Bevölkerung über die Konsequenzen der Masseneinwanderung, z.B. die zunehmenden Messerattacken, die sich zuspitzende Wohnungsfrage u.v.a. Probleme, die sich aus der Massenmigration ergeben oder (meist) schon vorhandene Probleme verschärfen. Jede Kritik an dieser durchaus weltfremden Politik wurde als rassistisch und rechts diffamiert.
Historische Erblast
Die PDS ging aus der stalinistischen SED hervor. Eine konsequente Aufarbeitung des Stalinismus und der von ihm zu verantwortenden historischen Niederlagen der Arbeiterbewegung erfolgte nie. Der Autor kann sich noch gut daran erinnern, wie 1989/90 die Opfer des Stalinismus rehabilitiert worden sind – nur Leo Trotzki, der konsequenteste Kritiker und Kämpfer gegen Stalins Kurs, blieb unerwähnt. Das war kein Zufall, denn der Trotzkismus steht für eine Politik der revolutionären Überwindung des Kapitalismus. Das passte freilich nicht zur neuen Ausrichtung der Partei als einer sozialdemokratischen. Bei dieser „Erneuerung“ wurde auch die Tatsache ignoriert, dass die Sozialdemokratie seit 1914 jeden Klassenkampf verraten und zwei Weltkriege und den Faschismus mitzuverantworten hat, weil sie den Widerstand dagegen boykottiert hat. Auch der Umstand, dass vom Sozialismus, den die SPD einmal herbeireformieren wollte, nichts zu merken ist, spielte für die Debatte in der PDS oder der LINKEN keine Rolle.
Dieser nicht geführte strategische Klärungsprozess – die Übernahme des Reformismus der Sozialdemokratie ist keine Klärung – war damit verbunden, dass überhaupt nicht gefragt wurde, warum zentrale Klassenkämpfe wie z.B. in Spanien 1936 oder in Griechenland 1944-46 verloren worden waren. Genauso wenig wurde verstanden, warum die UdSSR in den 1920ern degenerierte. Ergebnis dessen war, dass die LINKE nicht auf die Selbstorganisation der Lohnabhängigen und die Schaffung von Räte-Strukturen setzte, sondern auf den Staat, was u.a. bedeutet, dass die Massen nur Objekt sind – früher der herrschenden Bürokratie, heute des bürgerlichen Staates, der letztlich der Interessenvertreter des großen Kapitals ist. Um das zu „begründen“ verbreitet man die sozialdemokratische Mär vom „neutralen Staat“. Frei nach dem Motto „Da auch der Hund vom Wolf abstammt, kann man auch den Wolf zum Schafe hüten einsetzen.“
Von Anfang an war klar, dass die PDS sich in die Tradition von Ebert und Brandt stellt und nicht in die von Luxemburg. Um das zu verschleiern, bedient man sich der Formel von der „pluralistischen linken Partei“. Freilich bietet diese Raum für Diskussionen und unzufriedenes Gemecker – aber das ist immer völlig folgenlos. Was auch gar nicht anders sein kann, denn da man mit Klassenkampf nichts am Hut hat, muss man auch nicht darüber reden, wie man diesen führt und welche historischen Lehren dabei beachtet werden können. Es gab und gibt ein riesiges Manko an politischer Schulung der Mitglieder, aber auch das ist nicht nicht weiter schlimm, denn wozu sollten sie geschult werden – um Kämpfe zu führen, um Strukturen aufzubauen, um das Lügengebäude der bürgerlichen Ideologie, in dem man sich selbst eingerichtet hat, zu zerstören?!
Die Linken in der LINKEN
Es gab und gibt natürlich allerlei linke Kritiker am Kurs der Partei, die in diversen Plattformen, Initiativen und Flügeln agieren. Dazu zählen u.a. einige „Trotzkisten“, die im Zuge der Vereinigung der PDS mit der WASG in die LINKE eintraten. Deren prominenteste ist die LINKEN-Vorsitzende Janine Wissler. Diese Linken eint – trotz diverser Differenzen -, dass die LINKE keine reformistische Partei wäre, sondern eine „sozialistische“, deren Charakter noch „offen“ wäre, Daraus folgern sie, dass sie durch politischen Druck noch linker und aktiver werden könnte. Dieser „Wandel durch Annäherung“ erfolgte tatsächlich – allerdings in gegensätzlicher Richtung. So, wie sich die PDS bzw. die LINKE dem Staat und den bürgerlichen Spielregeln angepasst haben, haben sich die Linken in der LINKEN mehr oder weniger deren Reformismus angepasst.
Die „Trotzkisten“ (Linksruck bzw. Marx21, SAV) bezeichnen ihr Agieren in der LINKEN als Entrismus. Doch diese Taktik bedeutet eigentlich etwas ganz anderes als das, was diese Linken praktizieren: 1. ist Entrismus nur sinnvoll, wenn die Organisation, in die man eintritt, in einer Krise ist und sich ein linker, klassenkämpferischer oder revolutionärer Flügel gebildet hat. 2. muss man offen mit einem revolutionären (!) Programm agieren und 3. muss der Entrismus zeitlich begrenzt sein – nämlich dadurch, dass man die gewonnenen Mitglieder in eine revolutionäre Organisation führt. Alle drei Prinzipien wurden missachtet. Das Ergebnis? Keine aktivere und linkere Linkspartei, sondern eine immer schlechtere und schwächere LINKE – und kein Fortschritt bei der Sammlung und Organisierung des Klassenkampfes und des revolutionären Milieus. Es geht eben nicht um die Reformierung der LINKEN, die gar nicht möglich ist; es geht um den Aufbau einer neuen revolutionären Arbeiterpartei!
Die LINKE wird untergehen, egal wie schnell und mit welchen Zwischenschritten. Und es ist nicht schade um sie, denn sie hat keinen Beitrag für die Überwindung des Kapitalismus geleistet, dafür aber Tausende subjektive Antikapitalisten in ein falsches Projekt eingebunden. Der Niedergang der SPD erfolgt schon seit über 100 Jahren, der Niedergang der LINKEN seit 35 Jahren, die Existenz des BSW, das ebenfalls der reformistischen Strategie der LINKEN folgt, wird noch kürzer sein.
Mit der sich verschärfenden Krise des Reformismus wird das Bedürfnis nach einer Partei, die wirklich die Interessen der Lohnabhängigen vertritt, größer werden. Die Enttäuschung über den Reformismus, die Abwendung von der SPD und von der LINKEN ist eine notwendige, wenn auch nicht hinreichende Bedingung dafür. Bisher war es das Glück des Reformismus, dass es keine reale antikapitalistische Alternative gab. Doch dieses Dilemma wird nicht ewig dauern. Der Kapitalismus selbst liefert die explosiven Gründe und Anlässe dafür, sich zur Wehr zu setzen. Was fehlt, ist der Zündfunke: eine revolutionäre Linke, die ihre politische Degeneration, ihr Sektierertum und ihre Zersplitterung überwindet und beginnt, eine neue Arbeiterpartei zu initiieren und aufzubauen. Das, nicht der x-te Versuch, den Reformismus zu reformieren, ist die Aufgabe der Stunde!