Von Hanns Graaf.
Am 10. Februar wurde das „Manifest für den Frieden“ von Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht öffentlich bekannt (vollständiger Wortlaut am Ende des Beitrags). Nach 69 bekannten Persönlichkeiten als Erstunterzeichnern sollen bis zum 10.2. bereits 500.000 Menschen den Aufruf unterschrieben haben. Das spricht schon jetzt für große Resonanz.
Das Manifest richtet sich gegen die Ukrainepolitik der Ampel-Regierung und die massive Kriegshetze von Politik und Medien. Es wird betont, dass die militärische Unterstützung des Kiewer Regimes keine Friedensperspektive bietet und sofort vom Westen ernsthaft Verhandlungen eingeleitet werden müssten, anstatt wie bisher Gespräche zwischen der Ukraine und Russland zu torpedieren. Nicht Waffenlieferungen, sondern nur Verhandlungen böten eine Friedenslösung. Diese Anliegen des Aufrufs sind richtig und unterstützenswert.
Dieses Manifest ist nicht der erste Versuch von Prominenten, ihre Opposition gegen den aggressiven Kriegskurs der Ampel öffentlich zu machen. Neu ist aber, dass der Aufruf damit verbunden ist, konkret Widerstand zu animieren – indem für den 25. Februar zu einer Anti-Kriegs-Demonstration in Berlin am Brandenburger Tor aufgerufen wird. Nach einigen nur sehr kleinen Kundgebungen, die es bisher gab, könnte die Dimension diesmal deutlich größer und ein Signal für einen Aufschwung der Anti-Kriegs-Bewegung werden.
Mobilisierung?
Natürlich ist es positiv, eine erste größere Mobilisierung gegen den Kriegskurs der Ampel, der Nato und des „Wertewestens“ zu starten. Doch die Art und Weise, wie das geschieht, wie Schwarzer und Wagenknecht aufrufen, zeigt zugleich auch, an welche Art „Widerstand“ hier gedacht ist. Zunächst einmal zeugt es nicht gerade von Insiderwissen darüber, wie eine Mobilisierung funktioniert, wenn eine bundesweite Großkundgebung gerade einmal zwei Wochen vorher angekündigt wird. Es müssen Plakate gedruckt und geklebt werden, es sollten örtliche und regionale Strukturen entstehen, die aktiv werden usw. Wie soll das in nur zwei Wochen effektiv erfolgen?!
Wäre ein etwas späterer Termin nicht besser gewesen? Hätten nicht als erste Stufe Demos in mehreren Großstädten stattfinden sollen? Wäre nicht eine Verknüpfung mit dem 8. März, dem Internationalen Frauentag, sinnvoll gewesen – zudem der 8. März in Berlin und MeckPomm sogar ein Feiertag ist. Wäre es nicht generell notwendig – unabhängig von der Demo am 25.2. -, lokale Anti-Kriegs-Gruppen als organisatorische Basis einer starken bundesweiten Bewegung zu initiieren?!“ Ist es nicht naheliegend, auch die Bewegung der Montags-Proteste anzusprechen, die schon seit vielen Monaten (!) gehen den Kriegskurs der Ampel auf die Straße gehen?! Ist es nicht von grundlegender Bedeutung, die Gewerkschaften aufzufordern, gegen den Kriegs- und Aufrüstungskurs und die dadurch noch verstärkte soziale Abwärtsentwicklung für Millionen von Lohnabhängigen und Mittelständlern aktiv zu werden? Wer ist so naiv zu glauben, man könne eine Massenbewegung schaffen, ohne dass die Gewerkschaften oder wenigstens Teile ihrer Basis einbezogen werden?! Wer ist so naiv zu glauben, das wäre möglich, ohne die Politik der Gewerkschaftsbürokratie anzuprangern, die jede Schweinerei der Ampel und „ihrer“ SPD mitträgt oder dazu schweigt?!
All diese Fragen werfen Wagenknecht und Schwarzer nicht auf – geschweige denn, dass sie Antworten darauf hätten. Der Grund dafür ist nicht schwer zu finden. Ihnen geht es sicher ernsthaft darum, das Sterben und die Zerstörungen in der Ukraine zu beenden und der wachsenden Gefahr eines 3., diesmal atomaren, Weltkriegs zu begegnen – es gibt keinen Grund, an ihrer Lauterkeit zu zweifeln. Im Gegenteil: ihnen gebührt Anerkennung dafür, dass sie, ungeachtet der offiziellen Stimmungsmache gegen sie, so couragiert auftreten.
Doch es geht v.a. darum, wie am effektivsten Widerstand aufgebaut werden kann. Und in dieser Hinsicht ist das Vorgehen, sind die Intentionen von Wagenknecht und Schwarzer höchst unzureichend. Sie wollen v.a. für eine medial sichtbare Aktion zu sorgen, um Druck auf die offizielle Politik auszuüben. So weit, so gut – doch das war´s dann auch schon. Notwendig ist eine wirklich starke Bewegung nicht nur gegen den Ukraine-Krieg, sondern gegen den Imperialismus insgesamt! Das bedeutet u.a.: Austritt aus der Nato!, Nato raus aus Deutschland!, Stopp der Aufrüstung und Einsatz dieser Milliarden für soziale Zwecke! Auch wenn ein Aufruf nicht alles enthalten kann, was nötig wäre zu sagen; auch wenn ein unvollkommener Aufruf besser als keiner ist: bestimmte Fragen komplett auszublenden, kann nicht richtig und förderlich sein.
Eine starke Bewegung kann nur durch die massenhafte Mobilisierung der Lohnabhängigen erreicht werden. Das wiederum ist nur möglich, wenn der Zusammenhang zwischen Kapitalismus, Kriegspolitik und Sozialabbau aufgezeigt wird. Dazu muss von der Linken und fortschrittlichen und demokratischen Kräften auch gegen die Politik der SPD und der mit ihnen verbandelten DGB-Bürokratie gekämpft werden, weil sie wesentlich dafür verantwortlich sind, dass die Arbeiterklasse, v.a. deren gewerkschaftliche Teile, passiv bleiben. Davon ist jedoch wenig zu spüren.
Anti-Kapitalismus?
Auch wenn Sahra Wagenknecht zu recht die Positionen im Aufruf teilt, war es trotzdem falsch, ihn zu unterzeichnen. Warum? Von einer Politikerin der LINKEN, die sich als sozialistische Partei versteht, muss man erwarten, dass sie sozialistisch-antikapitalistische Positionen vertritt und nicht nur diesen und jenen Auswuchs des Kapitalismus anprangert. Davon kann leider bei Sahra Wagenknecht keine Rede sein. Ob in ihren Reden, in Talkshows oder in ihren Büchern – immer wird nur der entfesselte, neoliberale, unregulierte usw. Kapitalismus kritisiert und beklagt – nie der Kapitalismus selbst, aus dessen Grundstrukturen heraus es mit Notwendigkeit zu solchen „Auswüchsen“ kommt und kommen muss. Dass sie mit dieser rein reformistischen und völlig unmarxistischen Haltung aus der LINKEN eher noch positiv herausragt, spricht Bände über deren Gesamtcharakter. Der Begriff „Imperialismus“ wird tunlichst vermieden. Anstatt aus den permanenten Katastrophen des Kapitalismus den Schluss zu ziehen, ihn endlich zu überwinden, wird immer nur gefolgert und gefordert, dass er sozialer, ökologischer, friedlicher usw. werden solle. Um nicht falsch verstanden zu werden: der Kampf für diese Anliegen ist richtig, doch er muss anders, mit Mitteln des Klassenkampfes und mit der Orientierung auf die Arbeiterklasse und -bewegung erfolgen und in eine revolutionäre Strategie eingebettet sein. Daran mangelt es der LINKEN als Partei genauso wie Wagenknecht als Person komplett.
Die Position von Schwarzer wie von Wagenknecht betont richtigerweise, dass verhandelt werden soll. Dass der Ukraine-Konflikt letztlich aber Ausdruck imperialistischer Interessen und wachsender – objektiver – ökonomischer Krisenpotentiale ist, wird ausgeblendet. Selbst ein Frieden durch Verhandlungen wäre nur ein Kompromiss, der die grundlegenden Widersprüche zwischen den imperialistischen Blöcken um die USA bzw. China/Russland nicht beseitigt, sondern deren erneuten Ausbruch nur aufschiebt. Wenn Wagenknecht bzw. die LINKE inhaltlich nichts anderes zu sagen haben als die bürgerliche Pazifistin Schwarzer, dann stellt sich schon die Frage, worin der „Sozialismus“ dieser „Sozialisten“ besteht?!
Wagenknecht bzw. die LINKE hätte einen eigenen, besseren Aufruf vorbringen können und müssen als den von Alice Schwarzer. Zumindest hätte Wagenknecht sofort (!) deutlich machen müssen, wo neben den Übereinstimmungen auch Unterschiede bestehen. So aber läuft alles auf eine Unterordnung unter eine links-bürgerliche, nur pazifistische Auffassung hinaus und blockiert die Stärkung des antikapitalistischen Potentials. Man vergleiche dazu die Position von Rosa Luxemburg mirt der von Sahra Wagenknecht …
Das Anliegen von Schwarzers Aufruf und v.a. der Protest am 25.2. müssen natürlich trotzdem unterstützt werden – nach dem Motto „Getrennt marschieren, vereint schlagen!“
• Stärkt den Anti-Kriegs-Protest am 25.2.!
• Für den Aufbau einer klassenkämpferischen anti-imperialistischen Bewegung!
• Nieder mit den Kriegsparteien SPD, Union, FDP und Grüne!
• Für eine sofortige Verhandlungsinitiative!
• Keine Waffen für Kiew! Kein Embargo gegen Russland!
• Deutschland raus aus der Nato, Nato raus aus Deutschland!
• Aufrüstung des Sozialen, nicht des Militärs!
Manifest für den Frieden
Von Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht
Heute ist der 352. Kriegstag in der Ukraine. Über 200.000 Soldaten und 50.000 Zivilisten wurden bisher getötet. Frauen wurden vergewaltigt, Kinder verängstigt, ein ganzes Volk traumatisiert. Wenn die Kämpfe so weitergehen, ist die Ukraine bald ein entvölkertes, zerstörtes Land. Und auch viele Menschen in ganz Europa haben Angst vor einer Ausweitung des Krieges. Sie fürchten um ihre und die Zukunft ihrer Kinder.
Die von Russland brutal überfallene ukrainische Bevölkerung braucht unsere Solidarität. Aber was wäre jetzt solidarisch? Wie lange noch soll auf dem Schlachtfeld Ukraine gekämpft und gestorben werden? Und was ist jetzt, ein Jahr danach, eigentlich das Ziel dieses Krieges? Die deutsche Außenministerin sprach jüngst davon, dass „wir“ einen „Krieg gegen Russland“ führen.
Im Ernst?
Präsident Selenskyj macht aus seinem Ziel kein Geheimnis. Nach den zugesagten Panzern fordert er jetzt auch Kampfjets, Langstreckenraketen und Kriegsschiffe – um Russland auf ganzer Linie zu besiegen? Noch versichert der deutsche Kanzler, er wolle weder Kampfjets noch „Bodentruppen“ senden. Doch wie viele „rote Linien“ wurden in den letzten Monaten schon überschritten?
Es ist zu befürchten, dass Putin spätestens bei einem Angriff auf die Krim zu einem maximalen Gegenschlag ausholt. Geraten wir dann unaufhaltsam auf eine Rutschbahn Richtung Weltkrieg und Atomkrieg? Es wäre nicht der erste große Krieg, der so begonnen hat. Aber es wäre vielleicht der letzte.
Die Ukraine kann zwar – unterstützt durch den Westen – einzelne Schlachten gewinnen. Aber sie kann gegen die größte Atommacht der Welt keinen Krieg gewinnen. Das sagt auch der höchste Militär der USA, General Milley. Er spricht von einer Pattsituation, in der keine Seite militärisch siegen und der Krieg nur am Verhandlungstisch beendet werden kann. Warum dann nicht jetzt? Sofort!
Verhandeln heißt nicht kapitulieren. Verhandeln heißt, Kompromisse machen, auf beiden Seiten. Mit dem Ziel, weitere Hunderttausende Tote und Schlimmeres zu verhindern. Das meinen auch wir, meint auch die Hälfte der deutschen Bevölkerung. Es ist Zeit, uns zuzuhören! Wir Bürgerinnen und Bürger Deutschlands können nicht direkt auf Amerika und Russland oder auf unsere europäischen Nachbarn einwirken. Doch wir können und müssen unsere Regierung und den Kanzler in die Pflicht nehmen und ihn an seinen Schwur erinnern: „Schaden vom deutschen Volk wenden“.
Wir fordern den Bundeskanzler auf, die Eskalation der Waffenlieferungen zu stoppen. Jetzt! Er sollte sich auf deutscher wie europäischer Ebene an die Spitze einer starken Allianz für einen
Waffenstillstand und für Friedensverhandlungen setzen. Jetzt! Denn jeder verlorene Tag kostet bis zu 1.000 weitere Menschenleben – und bringt uns einem 3. Weltkrieg näher.