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„Lasst uns die weißen Tauben wecken!“[1]

    Über Krieg, Frieden und eine Bewegung im Dornröschenschlaf

    Von Klaus Mehrbusch.

    Zu den Begrifflichkeiten:

    Krieg und Frieden

    Krieg, so sagt Platon, sei das Gegenteil der rechten Ordnung, das Gegenteil von Einheit und Zusammenstimmung, Krieg sei Wirrwarr und Zweispalt, ein Zustand, der von der hierarchisch gegliederten Ordnung abweicht, weil Menschen sich in einem Streit um Rechte befinden[2]. Krieg hat jedoch viele Gesichter und Bezeichnungen. Wirtschaftskrieg, Preiskrieg, Sternenkrieg, Bandenkrieg, Bürgerkrieg, Bruderkrieg, Befreiungskrieg, Informationskrieg, Gotteskrieg, Krieg gegen Konkurrenten, Krieg der Geschlechter, Verteidigungskrieg oder Angriffskrieg.

    Somit geht Krieg weit über die Definition einer kriegerischen Handlung hinaus und darf nicht auf die direkte Konfrontation mit militärischen Mitteln, auf einen ausgetragenen Konflikt oder eine größere Auseinandersetzung zwischen Staaten, Völkern, Bevölkerungs- oder Interessengruppen reduziert werden. Diesbezüglich lässt sich auch für eine Vielzahl von nicht militärischen Vorgängen eine Verbindung zu Kampfhandlungen und somit zu Krieg herstellen. Dies darf nicht verschwiegen werden und muss immer auch Teil der Beurteilung von militärischen Auseinandersetzungen sein.

    Auch Frieden bedeutet nicht nur den Verzicht auf Säbelrasseln und Kanonendonner. Frieden ist nicht nur die bloße Abwesenheit von Krieg oder der Zustand des Nicht-Krieges. Frieden geht weit über diese Zuschreibungen hinaus. Frieden stellt, als gesellschaftlicher Prozess, der permanent zum Dialog herausfordert, einen fluiden Zustand dar, dessen Daseinsberechtigung sich aus der ständigen Auseinandersetzung mit der ihm zugewiesenen Bedeutung ergibt.

    Frieden definiert sich damit also aus sich selbst heraus, kann verstanden oder missverstanden, kann benutzt oder missbraucht werden, ohne sich dagegen „zur Wehr setzen zu können“. Auch lässt sich, wie es häufig gehandhabt wird, Frieden nicht örtlich zuweisen oder begrenzen, z. B. als Zustand zwischen zwei Mächten oder Kontrahenten. Frieden verortet sich räumlich unbegrenzt auch in den Lebensentwürfen der Menschen, deren Alltag sich im friedvollen Miteinander manifestiert.

    Frieden ist nicht nur ein Zivilisationsmerkmal, sondern ein Zivilisationsprozess. Der Friedensbegriff ist somit einem steten Wandel unterworfen und muss immer im geschichtlichen Kontext und unter einer politisch-gesellschaftlichen oder auch religiösen Folie betrachtet werden. Er unterliegt jedoch einem permanenten Definitionsmissbrauch. So widerspricht der Versuch der Aneignung einer Definitionshoheit – auch durch eine sogenannte Friedensbewegung – in seiner Anlage grundsätzlich der dem Frieden innewohnenden besitzverneinenden Eigenschaft.

    Friedensbewegung

    Die eine Friedensbewegung als solche kann es nicht geben. Dieser Begriff ist rechtlich weder geschützt noch mit einer allgemein gültigen Definition belegt. Auch gibt es für die Friedensbewegung keine offiziellen Mitgliedschaften oder Beitrittsregeln. Alle, egal ob Einzelpersonen, Gruppen, Parteien oder Organisationen aus dem linken und alternativen Spektrum, ja selbst rechte, könnten sich des Labels ‚Friedensbewegung‘ bedienen, es für sich in Anspruch nehmen und ihr korrektes politisches Handeln damit nachweisen bzw. rechtfertigen. Diese Heterogenität des Begriffs Friedensbewegung beinhaltet damit gleichzeitig auch die Gefahr einer missbräuchlichen Nutzung oder Fehlinterpretation und widerspricht somit andererseits auch dem Begehren einzelner Initiativen oder Personen, über ein ‚Alleinstellungsmerkmal‘ zu verfügen.

    Echte Friedensaktivisten und solche, die es sein wollen, es aber nicht sind

    Während der Friedensbewegung der 1980er Jahre Antiamerikanismus vorgeworfen und ihr nachgesagt wurde, dass sie sich mit Kritik an Konflikten und Kriegen der damaligen Sowjetunion eher zurückhalte, so muss heute zunehmend festgestellt werde, dass sich ein meist von politischem Unwissen bestimmtes, regierungskonformes Klientel als Propagandamasse für Friedensforderungen instrumentalisieren lässt, die ebenso einseitig sind, wie es staatliche Medien verlangen, und eine kriegstreibende NATO bzw. USA völlig außer Acht lassen bzw. totschweigen.

    So marschierten im Jahr 2022 sogenannte Friedensaktivisten anlässlich des russischen Einmarschs in die Ukraine, eitel in gelb-blau posierend, selbstherrlich und geschichtsleugnend zu Tausenden in der Hauptstadt auf, um Waffenlieferungen in Kriegsgebiete zu fordern oder sich an Rache- und Tötungsfantasien zu ergötzen. Für diese sich zynischerweise Friedenskundgebung nennende Veranstaltung wurden nahezu 100.000 regierungsgläubige Protagonisten in die Hauptstadt gekarrt, um platte antirussische Parolen zu skandieren, eine Aufrüstung der NATO zu fordern und mehr Steuergeld für Waffenkäufe zu verlangen.

    Für sofortige Verhandlungen im Ukrainekonflikt zu sein, bedeutet nicht automatisch, auf der Seite Russlands zu stehen. Die Kriegshandlungen der ukrainischen Führung gegen die eigene Bevölkerung im Donbass seit 2014 zu thematisieren, heißt nicht gleichzeitig, Putins Handeln zu legitimieren. Ein Ende der in erster Linie selbstschädigenden Sanktionen gegen Russland zu fordern, ist kein Beleg rechter Gesinnung.

    Solche Zuschreibungen bezeugen einen Totalausfall politischer Urteilsfähigkeit und sind angesichts einer in den vergangenen Jahren – entgegen allen Versprechen und Vereinbarungen – kontinuierlich praktizierten Osterweiterung der NATO mit Sicherheit auch das Ergebnis einer jahrzehntelangen medial gesteuerten Manipulation der Bevölkerung. Die aktuell stattfindenden Demonstrationen der etablierten Friedensinitiativen unterlassen meist die Darstellung der Hintergründe bzw. Vorgeschichte sowie die namentliche Nennung weiterer Aggressoren im Ukraine-Konflikt. So bleiben sie ein stumpfes Schwert, eine abstrakte pazifistische Beteuerung der friedenspolitischen Aktivisten und spielen eben genau den Verantwortlichen, den Kriegstreibern und grünen Feldherren, in die Hände.

    Viele Akteure der früheren Friedensbewegung sind in die Jahre gekommen, sind bereits im Ruhestand oder kurz davor. Ungeachtet dessen lassen sich viele von ihnen – vielleicht als Folge von zwei Jahren Corona-Propaganda – derzeit als blinde Manövriermasse staatlichen Handelns missbrauchen. Einige wenige Aufrechte (wie z. B. Stopp Ramstein, Friko Berlin, Frieden-links) haben mit Rechtsframing und Diffamierungen zu kämpfen und sehen sich mit Klischees und Vorwürfen wie Naivität, pauschaler Amerika-Feindlichkeit oder Rechtsoffenheit konfrontiert.

    Angesichts eines Krieges, der über Europa hereinbrach, wie es nicht inszenierter und logischer hätte sein können, steht die heutige Friedensbewegung vor der alles bestimmenden Entscheidung, aus ihrer Hippie-Widerstands-Romantik zu erwachen und sich für oder gegen ihr selbstauferlegtes Dogma der Regierungstreue zu entscheiden, also einem kriegslüsternen Herrscherhandeln die Stirn zu bieten oder gemeinsam mit den Kriegsherren unterzugehen.

    Neue Bewegung braucht das Land

    Auch die Friedensbewegung stellt heute selbstkritisch fest, dass ein Generationenwechsel stattfinden und der Überalterung der Aktivisten etwas entgegengesetzt werden muss. Doch wie soll das funktionieren, wenn die jungen neuen, aus der Asche der Bewegung auferstandenen Aktiven einen Frieden mittels Waffenlieferungen in Kriegsgebiete oder Milliarden für die Aufrüstung fordern? Ohne eine Rückbesinnung auf die Tugenden einer wahren Friedensbewegung und ohne die Fokussierung auf klare, eindeutige poltische Forderungen wird sie sich von ihrem Werteverlust nie erholen können.

    Friedensforderungen haben nicht diejenigen für sich allein gepachtet, die möglichst wenig an der Regierungspolitik auszusetzen haben oder sich in einem abstrusen Kampf gegen sogenannte rechte Schwurbler verirren, sondern dieses Recht gebührt eher denjenigen, die sich eben klar und deutlich gegen eine Politik der Kriegstreiberei und blinden Russenhass positionieren und die ihre Kritik laut, ohne Angst vor Verfolgung und Repression öffentlich äußern.

    Aktuell sehen wir eine völlig zersplitterte, sich gegenseitig bekämpfende und diskreditierende Friedensbewegung, deren Akteure völlig widersprüchliche Vorstellungen eines Kriegsendes haben und die es nicht schaffen, über Gräben hinweg, die sie nicht selbst gegraben haben, sondern die medial vor ihren Füßen ausgehoben wurden, zu einer Massenbewegung zu werden. Immer wieder brechen alte und neue Meinungsverschiedenheiten auf, werden unterschiedliche Standpunkte unversöhnlich propagiert und für politische Polarisierungen missbraucht, statt nach einem Konsens zu suchen.

    Eine auf weite Akzeptanz stoßende Friedensbewegung muss die Sorgen und Ängste möglichst vieler Menschen aufnehmen und ihnen konstruktive, friedensfördernde Lösungsmöglichkeiten anbieten.

    Eine mobilisierungsfähige Friedensbewegung muss sich auf gemeinsame klare Forderungen verständigen und diese auch solidarisch gegenüber Anfeindungen oder Diffamierungen organisationsübergreifend verteidigen.

    Eine neu geeinte Friedensbewegung muss ihren inneren Zwist fallen lassen und ihre Spaltung öffentlich überwinden.

    Eine für alle Beteiligten glaubwürdige Friedensbewegung muss die Menschen im Ringen um die Rettung des Friedens vereinen und das Streben nach Frieden, ungeachtet existierender Gräben, über alles stellen.


    [1] „Die weißen Tauben sind müde“, Lied von Hans Hartz, 1982.

    [2] vgl. Kleemeier, Ulrike (2002): Grundfragen einer philosophischen Theorie des Krieges, Platon – Hobbes – Clausewitz, Band 16 der Reihe Politische Ideen, Berlin, S. 301.

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