Gerechtigkeit jetzt! Für jeden natürlich, außer … – Da könnte sonst ja jeder kommen!
Von Bert Kartesas.
Offener Brief zur Demonstration „Gerechtigkeit jetzt!“ in Potsdam:
Gerechtigkeit jetzt! Für jeden natürlich, außer … – Da könnte sonst ja jeder kommen!
Von Bert Kartesas.
Am 15. Oktober 2022 veranstaltete ein breites Brandenburger Bündnis eine Demonstration auf dem Alten Markt in Potsdam für „gute Löhne“, eine „gerechte Steuer- und Sozialpolitik“ und … ja, Gerechtigkeit jetzt! – Da gehe ich doch unbedingt hin! Denn was fehlt in diesen Zeiten mehr als Gerechtigkeit? Und wer da nicht alles aufruft! Die „Partei die LINKE“, IG Metall, ver.di, Arbeiterwohlfahrt, „Die Tafel“ … und und und!
Doch oh, wie bin ich vor Ort verwundert: Nur an die 400 Leute stehen hier für die Gerechtigkeit in unserem Land? Doch das wird nicht so bleiben.
Schon nach wenigen Minuten werde ich von Ordnern aufgefordert zu gehen. Also nur noch 399 für Gerechtigkeit? Nein, so ist es nicht. Denn zuvor schon wurde ein Nachbar aufgefordert, die Kundgebung zu verlassen. 398 also. Warum? Er hat ein Schild dabei, auf dem er fordert, es solle keine ökonomische Operation gegen Russland geben, Frieden mit Russland!
Ein solcher Text ist hier nicht erlaubt, sagen die Ordner, die uns umringen. Auf Nachfrage, wo das inhaltliche Problem sei, bekommt der Betroffene nur die Antwort: „Keinen Wirtschaftskrieg“ zu schreiben, das wäre noch in Ordnung. – Ah ja. Aber, genau besehen: Versteht einer den Unterschied? Die Ordner verstehen ihn ja selbst nicht, denn sie geben keine Auskunft mehr zu ihrer Quadratur des Kreises.
Klar jedoch ist: Man darf an der Kundgebung für Gerechtigkeit teilnehmen, allerdings nur mit Gedanken, die zugelassen sind. Das ist gerecht, denn wer die Macht hat, der bestimmte schon immer die Regeln, so auch hier. Und die Gerechtigkeit hat sich damit noch immer abfinden müssen.
Hätten die Veranstalter doch gleich einen Katalog dazu veröffentlicht, welche Gedanken auf ihrer Demonstration erlaubt sind und welche nicht! Dann hätte mancher die Gerechtigkeit auch woanders suchen können.
Das habe ich nicht geahnt, und nun bin ich der Nächste. Meine Fahne, die ist zwar rot, aber sie hat einen fünfzackigen Stern in der Mitte und darin stehen zwei Worte. Und eben genau die sind hier nicht erlaubt: Freie Linke. „Links“ und „frei“, das geht hier nicht. – Ist das verwunderlich? Ich wundere mich und frage nach. Diesmal gibt es aber doch eine Begründung: Die „Freie Linke“ ist rechtsoffen. Ah ja, das neue Schlagwort der großen, regierungskonformen Medien seit 2020. Ich frage noch einmal nach, was „rechtsoffen“ bedeuten soll. Und ich bekomme ein interessantes Beispiel erzählt: Ein „Freier Linker“ unterzeichnete einst in Forst für die Stadtverordnetenversammlung eine Forderung gegen finanzielle Verschwendung: Keine Versetzung des Jugendklubs in ein teureres Objekt!
Zu dumm, oder zu viel Hoffnung auf die Gerechtigkeit. Denn diese Forderung hatte ebenso die AfD unterzeichnet. Und wo die AfD unterschreibt, da ist kein Platz für Gerechtigkeit, da geht es nur um korrekte Abgrenzung. Die hat mein Bruder im Geiste aus Forst eben versäumt. Und deshalb bin ich jetzt in Potsdam mit meiner Fahne verboten.
Ich blicke hinüber zu den jungen Leuten, die zehn Meter weiter weg stehen. Die tragen eine Fahne der „Grünen Jugend“. Aha, die Grüne Partei also hat nie eine Unterschrift neben eine AfD-Unterschrift gesetzt. Da dürfen ihre Jünger hier für die Gerechtigkeit sein. Ich aber nicht. Ich kenne den Freien Linken aus Forst zwar nicht, aber Unwissenheit schützt vor Strafe nicht, im Sinne der Gerechtigkeit. Die jungen Grünen da drüben sind nicht unwissend. Die wissen, dass ihre „Mutter-Partei“ schwere Waffen in die Ukraine schicken möchte, dass sie lieber Atomwerke am Netzt lässt, als Friedensverhandlungen mit Russland zu führen, dass ihre Gaspolitik die Profite der Energiekonzerne aufbläst und die kleinen Leute dafür schröpft. Und das durchkreuzt hier nicht das erlaubte Denken, ist hier also kein Thema der Gerechtigkeit. Und so dürfen die grünen Jugendlichen für Gerechtigkeit sein, ich aber nicht. Für mich hat die Gerechtigkeit hier keinen Platz.
Ich blicke hinüber zu den Kollegen von der IG Metall. Die haben wahrscheinlich nur Kontakt zu Kollegen, die niemals mit AfD-Leuten reden, geschweige denn etwas gemeinsam unterzeichnen würden. So etwas gibt es in Gewerkschaftskreisen gar nicht, denn die organisierte Arbeiterschaft ist immer korrekt auf der Seite von linksliberalen Veranstaltern wie diesen hier. Deshalb stehen um mich herum auch 400 Leute statt 40 Tausend. Darunter der Rest einer korrekten Arbeiterschaft in Brandenburg? Aber Arbeiter mit „Sippen- und Kontaktschuld“ sind hier wohl auch nicht erlaubt.
Dann gibt es ein weiteres Vergehen, das meinen Ausschluss von der Sorge um die Gerechtigkeit rechtfertigt: Ich habe Friedens-Flyer von der „Freien Linken“ in der Hand, wahrscheinlich, um Fragen zum Frieden hier mit anderen zu diskutieren. Diskussion? Oh nein, das geht nur mit dem Segen der Ordner dieser Veranstaltung. Und in meinem Fall geht das eben nicht … denn da ist ja ein Bruder in Forst, der … Ich erinnere mich. Die Ordner wollen meine Flyer gar nicht erst lesen, es reicht, die und mich zu verbieten. Der alte Metternich von Österreich hätte es nicht besser machen können. Seine Zensurbehörden im 19. Jahrhundert haben aber, oh wie dumm, noch gelesen! Der moderne Kontrolleur braucht nur noch Schlagworte und Etiketten.
Und dann finden sie noch ein Indiz: Ich habe ein Sweatshirt vom Festival „Folklorum“ in der Lausitz auf dem Leib. Das ist zwar von 2017, aber trotzdem steht unter einem Elefantenbild das Wort „Querdenker“. Jetzt ist die Sache natürlich klar. Ich bin also ein Querdenker, und das sogar schon seit 2017! Und diese Querdenker sind nicht etwa rechtsoffen, nein: die sind ganz klar rechts. Das weiß ein jeder Bürger von den Medien! Über meine Gedanken zu Rassismus und Faschismus braucht da niemand mehr mit mir zu sprechen – denn da ist das Etikett auf meinem Rücken. 2017, also eine extrem erfolgreiche Verschwörungstat von Lausitzer Folkfreunden!
Ich muss gehen. Ordnung muss sein! Gespräch und Debatte aber doch nicht. Das könnte die Gerechtigkeit stören.
Ich kenne den Eifer dieser „Ordner für Gerechtigkeit jetzt“ von deutschen Ämtern. Nun ist dieser Fortschritt von Amts wegen also endlich bei einem linksliberalen Bündnis für Gerechtigkeit angekommen. Ordnung, Regel und keine Widerrede, geschweige denn Argumente! Du gehst jetzt!
Ich gehe.
Hat diese Vorschrift „korrekter Gedanken“ eine Chance bei IG-Metall-Kollegen? Bei Bedürftigen am Tafel-Tisch? Bei Hilfesuchenden vor den Türen der AWO? Bei … der Arbeiterschaft?
Ich brauche hier in meinem Bericht wohl keine Antwort zu geben. 400 Besucher der Kundgebung für „Gerechtigkeit“. Jetzt 398.
Am nächsten Tag höre ich von Söder: Wir brauchen Raketenschutzschilde für unsere Städte. Aha. Das ist doch mal eine wirklich nachvollziehbare Ansage im Sinne der Gerechtigkeit: Jeder hat das Recht, im Krieg von Söder geschützt zu werden. Und wenn soziale Gerechtigkeit im Krieg auch nicht funktioniert: Raketenschutzschirme werden schon richten, was das „Bündnis“ der Betroffenen nicht zu verhindern vermochte.
Wer so weiter macht, steht immer alleine da und riskiert unser aller Leben und vorab – die Gerechtigkeit …
P.S.: Am Dienstag, dem 8.11.2022 um 18 Uhr, trifft sich das Bündnis in Bernau auf dem Marktplatz, hoffentlich mit allen Freunden der Gerechtigkeit.
Anmerkung der Redaktion: Das reiht sich ganz ungut ein, zum Beispiel hier: https://freie-linke-berlin.de/infos/augenzeugenbericht-zu-den-vorfaellen-am-3-10-22/